Der demografische Wandel hält die menschliche Evolution nicht auf

In vielen Teilen der Welt leben die Menschen länger und haben weniger Kinder. Aber das ist nicht alles. In einer Studie über Menschen, die in ländlichen Gebieten Gambias leben, zeichnet sich ab, dass der moderne „demografische Wandel“ dazu führen kann, dass Frauen auch größer und schlanker werden.

Forscher des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Zusammenarbeit mit britischen, amerikanischen und gambischen Forschungseinrichtungen haben diese Entdeckung jetzt im wissenschaftlichen Fachjournal „Current Biology“ veröffentlicht.

„Das ist eine Mahnung daran, dass Verbesserungen der Gesundheit nicht unbedingt das Ende der Evolution, sondern eine Veränderung der Evolution bedeuten“, sagt Alexandre Courtiol vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Internationale WissenschaftlerInnen beschrieben zum ersten Mal die beiden zentralen evolutionären Konsequenzen demografischen Wandels.

Einerseits kann demografischer Wandel durch die Beeinflussung von Sterblichkeit und Fruchtbarkeit auf die Intensität und den Spielraum natürlicher Selektion einwirken. Andererseits kann der demografische Wandel wahrscheinlich auch die Beziehung zwischen der Ausgestaltung menschlicher Körpermerkmale und ihre Relevanz für Fortpflanzung und Überleben verändern, weil sich gleichzeitig das soziale, kulturelle, medizinische und wirtschaftliche Umfeld ändert.

Für ihre Untersuchungen verwendeten Alexandre Courtiol, Ian Rickard und ihre KollegInnen Datensammlungen, die über einen Zeitraum von 55 Jahren (1956-2010) vom UK Medical Research Council erhoben wurden. Die Daten repräsentieren detaillierte Informationen über Tausende von Frauen aus zwei ländlichen Dörfern des West Kiang Gebietes in Gambia. In den 55 Jahren erlebten diese Gemeinden wichtige demografische Verschiebungen von hohen Sterblichkeits- und Fortpflanzungsraten, die charakteristisch für vorindustrielle Gesellschaften sind, hin zu niedrigen Sterblichkeits- und Fortpflanzungsraten. Die ForscherInnen konnten für Ihre Studie sogar auf genaue Daten zu Größe und Gewicht der Frauen zurückgreifen.

Sie zeigten, dass die Veränderungen in Körpergröße und –gewicht bei den Frauen höchst wahrscheinlich auf die Verbesserung der medizinischen Versorgung zurückzuführen sind. 1974 wurde in dem Untersuchungsgebiet ein Krankenhaus eröffnet, das kostenlose medizinische Versorgung anbietet. Die Daten zeigen, dass dadurch die natürliche Selektion der Körpermaße verändert wurde. Die natürliche Selektion führte zunächst zu kleinen Frauen mit einem hohen Körpermasseindex [BMI]. Durch die bessere medizinische Versorgung verschob sich die Selektion mit der Zeit zugunsten von großen Frauen mit niedrigen BMI-Werten. Die äußeren Umstände beeinflussten somit direkt die Selektion der Körpergröße und des BMI bei Frauen. „Wodurch sich die Selektion von kleinen und stämmigen Frauen zu großen und dünneren verschoben hat, ist noch nicht vollends geklärt, es ist aber wahrscheinlich teilweise darauf zurückzuführen, dass die Sterblichkeitsrate erheblich gesunken ist.“, sagt Courtiol.

Die Erkenntnisse aus Gambia könnten weltweit von Bedeutung sein. „Unsere Ergebnisse sind wichtig, da die Mehrheit der menschlichen Bevölkerungen entweder kürzlich einen demografischen Wandel von hohen zu niedrigen Sterblichkeits- und Fortpflanzungsraten erlebt hat oder ihn derzeit durchlebt“, schreiben die Forscher. „Diese Untersuchung zeigt, wie sich die Gesellschaft im Laufe der Zeit durch Selektion verändern kann.“ Veränderungen in der natürlichen Selektion wurden bereits für andere Populationen dokumentiert, wie z. B. USA, Italien, Finnland, Schweden und Indien. Wie wir Menschen auf Selektionsdrücke reagieren, könnte Aufschluss darüber liefern, wie sich der Mensch in dieser sich ständig verändernden Welt weiter entwickelt.

Publikation
Courtiol A, Rickard IJ, Lummaa V, Prentice AM, Fulford AJC, Stearns SC (2013): The demographic transition influences variance in fitness and selection on height and BMI in rural Gambia. CURR BIOL 23, 1–6. http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2013.04.006
Kontakt
Alexandre Courtiol
alexandre.courtiol@gmail.com
+49 (0) 305168454 (office)
+49 (0) 15734056505 (mobile)
Ian Rickard
ian.rickard@durham.ac.uk
+44 (0) 191 334 0246
Gesine Wiemer
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