Choreografie der Moleküle – Röntgenblitze „filmen“ molekulare Schalter

Die untersuchte Schalteinheit besitzt die Form von Nanoröhrchen, die durch fettsäureähnliche Komponenten aufgebaut ist. Bild: Techert / Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie<br>

Die Aufnahmen erfolgten mit dem Freie-Elektronen-Laser FLASH am DESY. Wie die Experimente der Wissenschaftler zeigen, lassen sich strukturelle Momentaufnahmen der Moleküle ganz ohne Artefakte abbilden – trotz hoher Intensität des Röntgenlasers.

Die Lichtblitze des 260 Meter langen Freie-Elektronen-Lasers (FEL) am Deutschen Elektronensynchrotron sind nicht nur leistungsstark, sondern auch ultrakurz: Die kürzeste erreichte Wellenlänge ist gerade einmal sieben Nanometer (millionstel Millimeter). Ultrakurz ist auch die Dauer der Strahlungspulse, die zehn bis 50 Femtosekunden (billiardstel Sekunden) beträgt. Wie Wissenschaftler der Max-Planck-Institute für biophysikalische Chemie, für medizinische Forschung und für Kernphysik sowie des Deutschen Elektronen-Synchrotrons, der Universität Göttingen und des European XFELs zeigen, lassen sich damit ultraschnell Strukturen von Molekülen aufnehmen.

Gewöhnlich entschlüsseln Forscher die Strukturen von Molekülen, indem sie daraus Kristalle züchten und diese mit Röntgenlicht durchleuchten – eine mitunter langwierige und nicht immer erfolgsgekrönte Prozedur. Nicht alle Moleküle lassen sich kristallisieren – schon gar nicht in den benötigten Mengen. Auch die Zeitauflösung solcher Experimente ist sehr begrenzt. Langsame Transportphänomene in Festkörpern oder biologische Prozesse ließen sich bisher nur fragmentarisch aufnehmen.

Stop and go – die Struktur molekularer Schalter in Echtzeit “filmen”

Strukturen extrem schnell schaltbarer Nanokristalle mit ultraschnellen Freie-Elektronen-Laser-Pulsen aufzunehmen, gelang jetzt dem Wissenschaftlerteam um Simone Techert, Leiterin der Forschungsgruppe „Strukturdynamik (bio)chemischer Systeme“ am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.

Wissenschaftler erhoffen sich von molekularen Schaltern unter anderem ein wirksames Werkzeug, um chemische und biochemische Prozesse gezielt steuern und regulieren zu können. Neben ihrer Anwendung in der Optoelektronik könnten molekulare Schalter auch in der Molekularmedizin Einsatz finden. „Mittels Röntgenlaser könnte man beispielsweise einen „Live-Mitschnitt“ vom Wirkprozess eines medizinischen Wirkstoffs mit seinem molekularen Partner aufnehmen“, erklärt die Chemikerin Techert.

Doch die Stärke des Freie-Elektronen-Lasers ist zugleich seine Schwäche. Denn die hoch ionisierende Röntgenstrahlung kann zu Strahlenschäden führen; Messartefakte wären die Folge. Dass sich gefürchtete Artefakte vermeiden lassen, zeigen die Ergebnisse der Forscher eindrucksvoll. „Mit einer Pulslänge von 20 Femtosekunden sind die Aufnahmen „im Kasten“, bevor der Zerstörungsprozess der Moleküle durch die weichen Röntgenstrahlen einsetzt“, erklärt Techert. Die Arbeiten wurden durch die Advanced Study Group der Max-Planck-Gesellschaft sowie den SFB 602 („Complex structures in condensed matter from atomic to mesoscopic scales“) und den SFB 755 („Nanoscale photonic imaging“) der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt.

Durch die hohe Intensität der FEL-Strahlung ließen sich selbst kleinste Mengen eines Molekülkristalls untersuchen. Mit Freie-Elektronen-Lasern könnten so Strukturinformationen auch aus Nano-Teilchen beziehungsweise Nano-Kristallen gewonnen werden, die sich momentan herkömmlichen Strukturbestimmungsmethoden mit Röntgenstrahlung verweigern. „Mit härterer Röntgenstrahlung der Wellenlänge von weniger als einem Nanometer könnte es zukünftig möglich sein, chemische Strukturen in kristallografischer Manier im Angstrom-Bereich zu bestimmen. Bis zu welcher strukturellen Auflösung dies möglich sein wird, bleibt mit Spannung zu erwarten“, so Max-Planck-Forscherin Techert. Die Ergebnisse der Forscher lassen hoffen, dass Freie-Elektronen-Laser künftig Einsatz finden könnten, um kleine Strukturänderungen molekularer Wirkstoffe oder Proteine „live“ in Aktion zu filmen.

Originalveröffentlichungen:
[1] I. Rajkovic, W. Quevedo, G. Busse, J. Hallmann, R. Moré, M. Petri, F. Krasniqi, A. Rudenko, Th. Tschentscher, A. Foehlisch, A. Pietsch, M. Beye, N. Stojanovic, S. Düsterer, R. Treusch, M. Tolkiehn, S. Techert: Diffraction Properties of Periodic Lattices under Free Electron Laser Radiation. Phys. Rev. Lett. 104, 125503-125506 (2010).

[2] I. Rajkovic, J. Hallmann, S. Grübel, R. More, W. Quevedo, M. Petri, S. Techert: Development of a Multipurpose Vacuum Chamber for Serial Optical and Diffraction Experiments with Free Electron Laser Radiation. Rev. Sci. Instr. 81, 045105-1-6 (2010).

Kontakt:
Dr. Simone Techert, Forschungsgruppe Strukturdynamik (bio)chemischer Systeme
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
Tel.: +49 551 201-1268
Fax: +49 551 201-1501
E-Mail: stecher@gwdg.de
Dr. Carmen Rotte, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
Tel.: +49 551 201-1304
Fax: +49 551 201-1151
Email: crotte@gwdg.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neues topologisches Metamaterial

… verstärkt Schallwellen exponentiell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am niederländischen Forschungsinstitut AMOLF haben in einer internationalen Kollaboration ein neuartiges Metamaterial entwickelt, durch das sich Schallwellen auf völlig neue Art und Weise…

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Partner & Förderer