Chemie: Aus Minus mach Plus

Die Umpolung eines Moleküls ermöglicht eine Anziehung und somit Bindungsbildung. Copyright: Maulide Group/Universität Wien

Die Arbeitsgruppe um den Chemiker Nuno Maulide von der Universität Wien hat eine neue Methode der Bindungsknüpfung zwischen zwei Kohlenstoffatomen entwickelt. Dabei wird die natürliche Polarität der reagierenden Gruppe durch simples Reaktionsdesign umgekehrt und macht somit den Weg frei für völlig neue Reaktionen. Darüber hinaus konnten die Forscher zeigen, dass sich durch diese Innovation bekannte Synthesewege bedeutend verkürzen lassen. Die Ergebnisse erscheinen aktuell im renommierten Fachmagazin „Angewandte Chemie“.

Viele der wichtigsten chemischen Reaktionen, inklusive jener in unserem Körper, lassen sich auf simple Regeln der Polarität zurückführen. Analog zu unterschiedlich geladenen Alltagsgegenständen wie Magneten haben auch geladene Atome und Moleküle Anziehungskräfte untereinander. Diese Interaktionen stehen im Zentrum der organischen Chemie, jener Disziplin, die seit etwa 200 Jahren viele Moleküle unseres täglichen Lebens herstellt und entwickelt – seien es Pharmazeutika, Kosmetika, Solarzellen oder Konservierungsstoffe.

Alles hat intrinsische Polarität…

Chemische Verbindungen haben sogenannte intrinsische Polarität. Positiv geladene Gruppen werden als „Elektrophile“ bezeichnet (da sie negativ geladene Elektronen anziehen), während negativ geladene Gruppen „Nucleophile“ genannt werden (da sie den Nucleus, den in der Atomtheorie positiv geladenen Kern, anziehen).

… aber man kann sie auch umkehren!

Ein spezieller Ansatz in der Chemie ist die Umkehrung der intrinsischen Polarität eines Moleküls oder Atoms. Dieses Konzept wurde in den 1960er Jahre vom deutschen Chemiker Dieter Seebach entworfen und entwickelt – und in weiterer Folge unter dem Namen „Umpolung“ weitläufig bekannt und eingesetzt. „Was wir jetzt erreicht haben ist eine neue Art der Umpolung, so wie sie bisher nicht möglich war“, sagt Daniel Kaiser, Doktorand an der Fakultät für Chemie und Erstautor der Studie:

„Es ist uns unter einfachen und reproduzierbaren Bedingungen gelungen, einen Teil eines Moleküls, der normalerweise nucleophil ist, in ein Elektrophil zu verwandeln“, so Kaiser. „Das ermöglicht uns die Entwicklung einer breiten Palette neuer chemischer Reaktionen. Und: Diese Polaritätsumkehr eröffnet neue Synthesewege und Ansätze beim Planen einer synthetischen Sequenz“, erklärt Maulide weiter.

ChemikerInnen planen mehrstufige Synthesen neuer oder bekannter Moleküle auf Basis bekannter Reaktionen und Reaktivitätsmuster – durch neue, unkonventionell polarisierte Bausteine kann ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden, der völlig neue Ansätze und Ideen zulässt. Ein solcher neuer Ansatz zur Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungsbildung ist der Maulide-Gruppe in der vorliegenden Arbeit gelungen.

Unkonventionelle Forschung

„Diese neue Reaktion wirkt auf den ersten Blick unkonventionell. Aber unsere Forschungsgruppe hat schon einige Erfahrung mit ungewöhnlichen Reaktionen – demnach passt es ins Gesamtbild, dass wir nun eine weitere 'eigenartige', aber potenziell sehr nützliche Transformation gefunden haben“, sagt Maulide: „Darin liegt der Wert der Grundlagenforschung: Wir stellen unkonventionelle Fragen, unabhängig etwaiger praktischer Anwendungen“.

Im Fall von McN-5652 konnten Maulide und sein Team einen hochpotenten bioaktiven Stoff mit Anwendungen im Neuroimaging einfach und schnell herstellen. „Wer weiß, welche Fortschritte diese Entdeckung vielleicht noch bringt“, so der portugiesische Chemiker.

Publikation in „Angewandte Chemie“
„Metallfreie formale oxidative C-C-Kupplung durch In-situ-Erzeugung einer elektrophilen Enoloniumspezies“
Daniel Kaiser, Aurélien de la Torre, Saad Shaaban and Nuno Maulide,
in: Angewandte Chemie, 2017.
DOI: doi/10.1002/anie.201701538
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ange.201701538/abstract

Wissenschaftlicher Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Nuno Maulide
Institut für Organische Chemie
Universität Wien
1090 – Wien, Währinger Straße 38
T +43-1-4277-521 55
M +43-664-60277-521 55
nuno.maulide@univie.ac.at

Rückfragehinweis
Mag. Alexandra Frey
Pressebüro der Universität Wien
Forschung und Lehre
Universität Wien
1010 – Wien, Universitätsring 1
+43-1-4277-175 33
+43-664-60277-175 33
alexandra.frey@univie.ac.at

Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas: An 15 Fakultäten und vier Zentren arbeiten rund 9.700 MitarbeiterInnen, davon 6.800 WissenschafterInnen. Die Universität Wien ist damit auch die größte Forschungsinstitution Österreichs sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund 94.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit über 175 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes. Die Universität Wien ist auch eine bedeutende Einrichtung für Weiterbildung in Österreich. 1365 gegründet, feierte die Alma Mater Rudolphina Vindobonensis im Jahr 2015 ihr 650-jähriges Gründungsjubiläum. http://www.univie.ac.at

Media Contact

Stephan Brodicky Universität Wien

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Anlagenkonzepte für die Fertigung von Bipolarplatten, MEAs und Drucktanks

Grüner Wasserstoff zählt zu den Energieträgern der Zukunft. Um ihn in großen Mengen zu erzeugen, zu speichern und wieder in elektrische Energie zu wandeln, bedarf es effizienter und skalierbarer Fertigungsprozesse…

Ausfallsichere Dehnungssensoren ohne Stromverbrauch

Um die Sicherheit von Brücken, Kränen, Pipelines, Windrädern und vielem mehr zu überwachen, werden Dehnungssensoren benötigt. Eine grundlegend neue Technologie dafür haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bochum und Paderborn entwickelt….

Dauerlastfähige Wechselrichter

… ermöglichen deutliche Leistungssteigerung elektrischer Antriebe. Überhitzende Komponenten limitieren die Leistungsfähigkeit von Antriebssträngen bei Elektrofahrzeugen erheblich. Wechselrichtern fällt dabei eine große thermische Last zu, weshalb sie unter hohem Energieaufwand aktiv…

Partner & Förderer