Mehr Status, mehr Hirn

Dominantes (rechts) und subdominantes Mahaliweber-Männchen. Bild: Max-Planck-Institut für Ornithologie

Singvögel sind ein beliebtes Objekt für Neurobiologen. An ihnen konnten Forscher erstmals zeigen, dass sich auch im ausgereiften Wirbeltiergehirn noch neue Nervenzellen bilden. Im Zentrum des Interesses steht das Gesangskontrollzentrum der Vögel: der HVC ist die neuronale Schaltstelle für den Vogelgesang und der wiederum stellt bei Singvögeln ein ganz wichtiges Verhaltenselement dar. Denn über den Gesang werden Territorien verteidigt und Weibchen angelockt. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie konnten nun zeigen, dass sich auch Änderungen im sozialen Status eines Vogels – ein Aufstieg in der Gruppenhierarchie – in einer Zunahme von Nervenzellen in dieser Hirnregion widerspiegeln (Proceedings of the Royal Society of London B, 5. September 2007).

In Gruppen lebende Tiere besitzen in der Regel eine ausgeprägte Dominanzhierarchie. Ändert sich der soziale Status eines Individuums, so wird oft nicht nur das Verhalten, sondern auch die Physiologie erheblich beeinflusst. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie haben am Beispiel einer Singvogelart untersucht, inwieweit sich der soziale Rang eines Tieres im Gesang und in der Morphologie der gesangskontrollierenden Gehirnzentren widerspiegelt. Ihr Untersuchungsobjekt war der Mahaliweber (Plocepasser mahali) aus dem südlichen Afrika. Die Vögel leben dort in Gruppen von bis zu zehn Individuen in ganzjährig etablierten Territorien (Abb. 1). „Der Mahaliweber eignet sich besonders gut als Modell, da er ein umfangreiches und darüber hinaus status-abhängiges Gesangsverhalten besitzt“, erklärt Cornelia Voigt.

In jeder Gruppe gibt es ein dominantes Brutpaar; alle übrigen Gruppenmitglieder sind dem dominanten Paar untergeordnet und helfen diesem bei der Aufzucht des Nachwuchses. Die dominante Position in einer Gruppe wird in der Regel ein Leben lang beibehalten. Es gibt zwei unterschiedliche Arten des Gesangs: Zum einen den Duettgesang, der sich bei mehr als zwei mitsingenden Tieren zum Chorusgesang ausweitet, der von allen Vögeln gesungen wird und hauptsächlich der Revierverteidigung dient. Zum anderen den ausschließlich vom dominanten Männchen jeder Gruppe präsentierten Sologesang, der meistens nur zu Sonnenaufgang während der Brutzeit zu hören ist und sehr wahrscheinlich der Kommunikation mit dem Weibchen dient. „Beide Gesangstypen haben ein umfangreiches, aber völlig voneinander getrenntes Silbenrepertoire“, sagt Voigt. Und das bedeutet, dass dominante Männchen zwei verschiedene Gesangsrepertoires beherrschen müssen. „Sie sind sozusagen zweisprachig“, so die Forscherin.

Sobald ein erwachsenes Männchen die dominante Position in einer Gruppe übernimmt, muss es zusätzlich zu dem ganzjährig produzierten Duett- und Chorusgesang regelmäßig ein Solo geben. Die Frage, die sich die Forscher nun stellten, war, ob sich diese Änderungen im Verhalten auch auf physiologischer Ebene widerspiegeln. Bei den äußerlichen Körpermerkmalen sind nämlich keine Unterschiede zu erkennen. „Wir konnten zeigen, dass sich bei den dominanten Männchen die Morphologie der Gehirnzentren, die den Gesang kontrollieren, von der ihrer subdominanten Helfer-Männchen unterscheidet“, erläutert Co-Autor Stefan Leitner. So sind die im Vorderhirn liegenden Gesangskontrollzentren, der HVC (engl. High Vocal Center) und die so genannte RA-Region (sie überwacht die Gesangsmotorik) bei dominanten Männchen um 30 Prozent größer als bei subdominanten. Darüber hinaus weist der HVC in Abhängigkeit vom Dominanzstatus eine veränderte Genexpression auf: bei den dominanten Männchen ist die Expression von Steroidhormonrezeptoren und einiger synaptischer Proteine im Vergleich zu den subdominanten Männchen deutlich herabgesetzt.

„Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass mit der Änderung des sozialen Ranges in der Gruppe und der daraus resultierenden Verhaltensänderungen eine Umorganisation der entsprechenden Gehirngebiete im erwachsenen Vogel stattfinden muss“, fasst Leitner zusammen. Normalerweise beeinflusst die Steroidhormonkonzentration im Blut die Morphologie der Gesangskontrollzentren beim Singvogel – diesbezüglich konnten die Forscher beim Mahaliweber jedoch keine Unterschiede zwischen dominanten und subdominanten Männchen finden. Weitere Studien sind deshalb nötig, um den tatsächlichen Mechanismus zu identifizieren, der den Umbau der Gehirnstruktur auslöst. „Fest steht, dass das Gehirn auch im erwachsenen Tier auf soziale Veränderungen mit umfangreichen, dauerhaften Umstrukturierungen neuronaler Netzwerke reagieren kann, betont Manfred Gahr, Direktor der Abteilung Verhaltensneurobiologie am Max-Planck-Institut für Ornithologie.

[CV/CB]

Originalveröffentlichung:

Cornelia Voigt, Stefan Leitner, Manfred Gahr
Socially induced brain differentiation in a cooperatively breeding songbird
Proceedings of the Royal Society of London B, published online 5. September 2007

Media Contact

Dr. Bernd Wirsing Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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