Verbrechensspuren sollen mehr Informationen entlockt werden

Eine Erbguttypisierung macht es oft möglich, biologische Spuren einer Person zuzuordnen. Doch bei sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigung kann es zum Beispiel auch wichtig sein, ob Körperzellen beim Händeschütteln oder bei einem sexuellen Kontakt übertragen worden sind. Der Biologe Dr. Martin Schulz hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich in der Gerichtsmedizin feststellen lässt, ob Zellen von der Hautoberfläche oder aus einer Schleimhaut, wie sie sich im weiblichen Genitaltrakt findet, stammen.

Kriminalbiologe entwickelt Test zur Herkunftsbestimmung von Zellen in Untersuchungsgut

Wer ein Verbrechen begeht, hinterlässt fast unvermeidlich Spuren. Wenn es sich dabei um biologisches Material handelt wie zum Beispiel Blut, dann untersuchen Spurensachverständige zwei zentrale Fragen: welche Identität hat derjenige, der eine Spur hinterlassen hat und was lässt sich daraus für den Tathergang rekonstruieren? Seit rund zwanzig Jahren kann ein genetischer Fingerabdruck mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Person zugeordnet werden. Doch das reicht Dr. Martin Schulz vom Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Tübingen, der auf dem Gebiet der biologischen Spurenkunde forscht, noch nicht. Wird beispielsweise in einem Fall von sexuellem Missbrauch Zellmaterial sichergestellt, ist es häufig für die Rekonstruktion des Tathergangs nicht nur wichtig, von welcher Person die Zellen stammen, sondern auch, von welcher Körperstelle sie sich gelöst haben. Im Rahmen einer durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Studie hat Martin Schulz ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Zellen von der Hautoberfläche und Schleimhautzellen zum Beispiel aus der Scheide in forensischem Untersuchungsgut sicher unterscheiden lassen.

„Um heute ein genetisches Profil aus einer biologischen Probe anzufertigen, werden nur kleinste Mengen DNA zum Beispiel aus Blut, Speichel oder Sperma benötigt“, sagt Martin Schulz. So überraschend es klingt, ist die Unterscheidung, ob eine so genannte Epithelzelle aus der obersten Zellschicht der Haut oder der Schleimhaut stammt, in der forensischen Medizin derzeit viel schwieriger. „Die DNA ist nämlich in jeder Zelle eines Menschen gleich“, sagt der Biologe. Und im Gegensatz zu einem Arzt oder einem Pathologen, der für seine Untersuchungen normalerweise sorgfältig gewonnenes und aufbereitetes Zellmaterial in ausreichender Menge zur Verfügung hat, sind die Proben, die in der Gerichtsmedizin landen, winzig, eingetrocknet und durch Lagerung verändert. Denn die sichergestellten Spuren befinden sich häufig auf Wattestäbchen und sind in vielen Fällen alles andere als frisch. „Einfache Verfahren, die erfolgreich in der medizinischen Diagnostik eingesetzt werden, können wir nicht nutzen“, erklärt Schulz. „In unseren Proben haben die Zellen ihr ursprüngliches Aussehen verloren, und die Zelltypen lassen sich auf konventionelle Weise meistens nicht mehr oder nicht mehr sicher unterscheiden.“

In der kriminalistischen Praxis kann es aber sehr wichtig sein, die Herkunft von Zellen genau zu kennen. Martin Schulz nennt ein Beispiel: „Ist ein Vater im Verdacht, seine Tochter missbraucht zu haben, und findet sich an seinem Penis DNA von dem Kind, könnte er sich etwa damit herausreden, die neugierige Tochter habe ihn unerlaubt mit der Hand berührt, als er sich nackt im Badezimmer aufgehalten habe.“ Wenn sich nachweisen lässt, dass das Zellmaterial durchaus nicht von der Haut, sondern aus der Scheide oder dem Mund des Kindes stammt, würde das den Missbrauchsverdacht erhärten. „Wir reden hier nicht von ein paar wenigen Fällen“, sagt Martin Schulz, „in der Polizeistatistik finden sich jedes Jahr tausende von Fällen von Kindesmissbrauch und Vergewaltigung. Da ist der Bedarf groß, vorhandene Spuren noch besser auszuwerten.“

Die entscheidende Idee für sein Verfahren, bestimmte Zelltypen sicher zu unterscheiden, ist dem Biologen durch die Krebsforschung gekommen. Dort muss bei manchen Patienten festgestellt werden, in welchem Organ ein Krebs ursprünglich entstanden ist, um die optimale Behandlung festzulegen. Die Zellherkunft wird dabei oftmals über das so genannte Zellskelett festgestellt, das aus Gerüsteiweißen besteht und der Zelle Stabilität verleiht. „Bestimmte Anteile des Zellskeletts, die Intermediärfilamente, bestehen aus chemisch unterschiedlich aufgebauten Untereinheiten, je nachdem, ob eine Zelle zum Beispiel aus dem Muskel, den Nerven oder aus einem Epithel stammt“, erklärt Schulz. Von den für Epithelgewebe typischen Zytokeratinen gibt es wiederum etwa zwanzig verschiedene Typen. „Für diese Zytokeratine sind in der Krebsforschung spezielle immunhistochemische Färbungen entwickelt worden. Das haben wir uns zunutze gemacht.“ Bei seinen ersten Untersuchungen hat Martin Schulz mit Gewebeschnitten spurenkundlich relevanter Epithelien gearbeitet und die Verteilung der Zytokeratine in Zellen verschiedener Herkunft untersucht, in der Wangenschleimhaut, im Enddarm, im Harnleiter, der Blase, der Harnröhre, der Scheide und in der Haut. Schulz hat rund zwanzig Zytokeratine ausprobiert, um die Epithelgewebe unterscheidbar zu machen. „Für uns ist zum Beispiel wichtig, dass sich ein bestimmter Zytokeratintyp ausschließlich in Schleimhäuten findet“, sagt der Biologe.

„Ein grundlegendes Problem im nächsten Teilprojekt lag darin, dass diese Färbungen an Gewebeschnitten zwar gut geklappt haben, aber nicht an ganzen Zellen, wie sie bei forensischen Untersuchungen üblicherweise vorliegen“, sagt er. „In der medizinischen Diagnostik kann es vollauf genügen, wenn sich von hundert vorhandenen Zellen, die man nachweisen möchte, zehn anfärben. Das reicht in der Gerichtsmedizin nicht, da oft nur sehr wenige Zielzellen in einer Spur enthalten sind. Gleichzeitig dürfen wir nicht ein einziges falsch-positives Ergebnis produzieren.“ Mindestens 80 Prozent der Zellen sollten im neuen Verfahren angefärbt werden, und der Forscher hat die Färbemethoden inzwischen so weiterentwickelt, dass sich Hautzellen von Schleimhautzellen auch bei schwierigen Proben sicher unterscheiden lassen.

Er kann mit Hilfe von Farbstoffen nicht nur die Eiweißstoffe unterscheiden, aus denen die Zytokeratine bestehen, sondern sein Ergebnis auch an der Menge der für das Keratin zuständigen, aktiv abgelesenen Gene, das heißt an der vorhandenen mRNA, prüfen. „Dadurch ist der Nachweis doppelt sicher“, sagt Martin Schulz. Auch bei den immunologischen Färbungen kann eine Gegenprobe das Ergebnis nochmals absichern, da Farbstoff eins nur Keratintyp eins färbt, Farbstoff zwei nur den Typ zwei – aber jeweils nicht umgekehrt.

Im nächsten Schritt hat Martin Schulz im Labor realistische Bedingungen geschaffen. „Die Spuren am Tatort könnten zum Beispiel bereits einige Wochen alt sein oder die Probe liegt noch eine Weile bei der Polizei, bis sie ins Labor kommt.“ Zahlreiche Proben hat der Forscher daher absichtlich vor der Analyse bis zu einem Jahr lang unbearbeitet aufbewahrt – es hat dennoch funktioniert. „An freiwilligen Versuchsteilnehmern haben wir auch geprüft, wie lange nach einem Geschlechtsverkehr Scheidenzellen, die auf den Penis übertragen worden sind, festgestellt werden können. Die Nachweise klappen auf jeden Fall bis zu 48 Stunden später.“ Dieses Zeitfenster sei durchaus realistisch, da die Polizei etwa bei einer Vergewaltigung meist spätestens ein bis zwei Tage nach dem Verbrechen eine Probe beim Verdächtigen abnimmt.

Doch auch mit dem Nachweis von Schleimhautzellen am Penis oder der Hand könnte ein Vergewaltigungstäter sich noch aus der Affäre ziehen. Diese Zellen müssten jetzt wiederum von seiner Freundin stammen, könnte er zum Beispiel sagen. Auch mit diesem Fall hat der Forscher gerechnet. „Wir können die spezifisch markierten Zellen wieder gezielt vom Objektträger herunternehmen und ein DNA-Profil des Spenders erstellen“, erklärt Schulz. „Dadurch lässt sich die Aussage des potenziellen Täters sicher überprüfen.“ Ist denn ein solches Verfahren für die Praxis nicht zu aufwendig? „Es ist ähnlich wie mit anderen aufwendigen labordiagnostischen Verfahren: man wird auch die neue Methode nicht bei jedem Delikt anwenden. Doch bei Kindesmissbrauch, Vergewaltigung oder anderen Kapitaldelikten wird keine Mühe gescheut, die Taten aufzuklären. Das Probenmaterial, das wir benötigen, wird von Opfern und potenziellen Tätern bei solchen Verbrechen auch bisher schon genommen“, sagt Martin Schulz. Sein Forscherehrgeiz ist mit der neuen Methode noch nicht gestillt. „Wir sind noch nicht perfekt, wir wollen aus dem Spurenmaterial in Zukunft noch mehr Informationen herausholen.“

Nähere Informationen:

Dr. Martin Schulz
Institut für Gerichtliche Medizin
Nägelestr. 5
72074 Tübingen
Tel. 0 70 71/2 97 46 54
Fax 0 70 71/29 54 04
E-Mail martin.schulz [at] uni-tuebingen.de

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Michael Seifert idw

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