Die Form macht den Geruch: Forscher sagen Düfte voraus

Für die Erforschung des Riechens ist ein interdisziplinäres Forscherteam unter die virtuellen Parfümeure gegangen: Sie modellierten am Computer einen Geruchsrezeptor für Maiglöckchenduft (hOR17-4), der als erster menschlicher Riechrezeptor auch auf Spermien im Labor von Prof. Dr. Dr. Dr. Hanns Hatt (Lehrstuhl für Zellphysiologie der Ruhr-Universität) detailliert charakterisiert wurde. Daran testeten sie die Wirkung von Maiglöckchenduftstoffen, die sie durch den Austausch einzelner Atome ein klein wenig manipuliert hatten. Da sich die Grundform des Moleküls dadurch nicht wesentlich ändert, müsste die Grundnote des Dufts gleich bleiben, die Geruchsschwelle und die begleitenden Nuancen sich aber ändern, sagten die Forscher anhand der virtuellen Nase voraus. Experimente mit der echten menschlichen Nase und mit Spermien bestätigten diese Vorhersage. Fazit: Die Form macht den Geruch. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in der aktuellen Ausgabe von „Angewandte Chemie“, deren Titelbild zum Selbstexperiment diesmal nach Maiglöckchen duftet.

Spermien kennen nur einen Duft

Etwa 347 Geruchsrezeptoren befinden sich in unserer Nase, und üblicherweise besteht ein Geruch aus einer großen Anzahl einzelner Riechstoffe, die unterschiedliche Rezeptoren ansprechen. Da zudem jeder einzelne Riechstoff mit mehreren Geruchsrezeptoren reagiert, besitzen selbst einzelne Riechstoffe oft komplexe Gerüche. Spermien hingegen verfügen wohl nur über einen einzigen Rezeptor, der für Maiglöckchenduft sensibel ist. Daher lässt sich mit Hilfe von Spermien der Maiglöckchen-Rezeptor isoliert studieren. Trifft der Maiglöckchenduft auf den Rezeptor, steigert das Spermium seine Geschwindigkeit und bewegt sich in Richtung der Duftquelle. Die Eizelle lockt so die Spermien an. Daher lässt sich mit Hilfe von Spermien der Maiglöckchen-Rezeptor isoliert studieren.

Rezeptortasche bestimmt seine Funktion

Um der Funktion dieses Rezeptors auf den Grund zu gehen, erstellte das Forscherteam um Prof. Dr. Reinhold Tacke (Institut für Anorganische Chemie der Universität Würzburg), Dr. Philip Kraft (Riechstoff-Forschung der Givaudan Schweiz AG) und Prof. Hatt vom Maiglöckchenrezeptor ein Computermodell. Da ein olfaktorisches Rezeptorprotein auf einen Riechstoff anspricht, wenn dieser in dessen Bindetasche hineinpasst, lässt sich bei Kenntnis der Struktur der Tasche vorhersagen, ob und wie stark eine Substanz diesen Riechrezeptor aktiviert. „Unsere Computerberechnungen basieren ausschließlich auf der Moleküloberflächenform, die durch die Elektronen definiert wird,“ erklären die Wissenschaftler. Sie vermuteten, dass die Form des Moleküls seine Wirkung auf den Rezeptor bestimmt.

Menschliche Nase lässt sich hereinlegen

Um diese Theorie zu belegen, testeten die Wissenschaftler im Computermodell und im Riechexperiment, wie sich der Austausch eines Kohlenstoffatoms durch ein Siliciumatom in den Maiglöckchenriechstoffen Lilial und Bourgeonal, bei dem sich Oberflächenform-und volumen nur wenig ändern, Masse und Schwingungsfreuenzen aber massiv, auf deren Geruch auswirken und ob sich diese Änderung auch quantitativ vorhersagen lässt. „Da dieser Atom-Austausch recht wenig Einfluss auf die Molekülform hat, sollte sich der Hauptcharakter nicht ändern“ erklärt Prof. Tacke die Vorhersage, „sondern nur die Geruchsschwelle sowie begleitende Nuancen.“ Und tatsächlich ließ sich die menschliche Nase hereinlegen: Alle vier der synthetisierten Stoffe zeigten typisch blumig-aldehydige Maiglöckchen-Düfte, rochen jedoch nicht vollkommen identisch. „Offenbar sind unterschiedliche Geruchsrezeptoren an ihrer Differenzierung beteiligt“, schließt Prof. Hatt. In der Nähe ihrer Schwellenwerte ließen sich die Riechstoffe dagegen nicht mehr unterscheiden. Die Forscher vermuten, dass bei diesen Konzentrationen nur noch der empfindlichste Maiglöckchen-Rezeptor aktiviert wird. Dies konnte zusätzlich durch Verwendung eines Rezeptor-spezifischen Blockers gezeigt werden.

Oberflächenstruktur bestimmt den Duft eines Moleküls

Im Vorfeld der synthetischen Arbeiten hatten die Forscher die Bindungsenergien und damit die Geruchsintensitäten und die Empfindlichkeit der Spermien auf die Substanzen am Computermodell vorhergesagt. Die berechneten Unterschiede in den Bindungsenergien stimmten sehr genau mit den experimentell ermittelten Geruchsschwellen und Spermienaktivitäten überein, die, wie erwartet, für die manipulierten Riechstoffe höher lagen als für Lilial und Bourgeonal. „Die Ergebnisse belegen daher eindeutig, dass es die elektronische Oberflächenstruktur eines Moleküls ist, die die Wechselwirkungen eines Riechstoffs mit seinen olfaktorischen Rezeptoren bestimmt – und damit seinen Geruch“, so das Fazit der Wissenschaftler. Die Arbeiten der Gruppe wurden von der Vogelsang-Stiftung gefördert.

Titelaufnahme

Leszek Doszcak, Philip Kraft, Hans-Peter Weber, Rüdiger Bertermann, Annika Tiller, Hanns Hatt, Reinhold Tacke: Prediction of Perception: Probing of the hOR17-4 Olfactory Receptor model with Silicon Analogues of Bourgeonal and Lilial. In: Angewandte Chemie Internat.Edition 2007, 46, 1-6

Leszek Doszcak, Philip Kraft, Hans-Peter Weber, Rüdiger Bertermann, Annika Tiller, Hanns Hatt, Reinhold Tacke: Duftvorhersage: das Computermodelle des hOR17-4-Rezeptors auf dem Prüfstand mit Silicium-Analoga von Bourgeonal und Lilial. In: Angewandte Chemie Deutsche Ausgabe 2007, 119, 1-7, DOI: 10.1002/ange.200605002

Weitere Informationen

Prof. Dr. Dr. Dr. Hanns Hatt, Lehrstuhl für Zellphysiologie, Fakultät für Biologie und Biotechnologie der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-26792, E-Mail: hanns.hatt@rub.de

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Dr. Josef König idw

Weitere Informationen:

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