Hungerkünstler tief im Meeresboden

Ein internationales Forscherteam aus den USA und Deutschland stellt im Wissenschaftsmagazin „Science“ jetzt eine Erklärung für das Leben in der Tiefen Biosphäre vor. Mit einem Bündel an neuesten Techniken aus den Bereichen Biogeochemie, Molekular- und Mikrobiologie sammelten die Wissenschaftler umfangreiche Proben im Meeresgrund. Nach intensiver Analyse haben Bo B. Jørgensen und Steven D´Hondt jetzt ein Modell veröffentlicht, mit dem sie erklären, dass Mikroorganismen möglicherweise durch die natürliche Radioaktivität tief im Meeresboden überleben können (Science, 10. November 2006).

Man schätzt heute, dass zwischen 10 und 50 Prozent aller Biomasse auf der Erde tief im Boden steckt. Das fanden Forscher um Steven D´Hondt von der University of Rhode Island, USA, und Bo B. Jørgensen vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen bei ihren Bohrungen im Meeresboden im Rahmen des Ocean Drilling Programs bestätigt. Auf der Ausfahrt mit dem Forschungsschiff „Joides Resolution“ entdeckten sie Leben im Meeresboden in bis zu 400 Meter Tiefe. Die Tests zeigten es: Die Bohrkerne enthielten lebende Mikroorganismen, eine Kontamination war ausgeschlossen. In den oberen Sedimenten zählten die Forscher bis zu 100 Millionen Einzeller pro Milliliter, tiefer unten in den bis zu 35 Millionen Jahre alten Sedimenten an der Erdkruste immerhin noch 1 Million. Die Wissenschaft steht vor einem Rätsel: Nur die obersten Schichten dieser Ablagerungen stehen mit dem Wasserkörper im Austausch – woher kommt also die Lebensenergie in der Tiefe der Sedimente?

Legt man die in den Ablagerungen vorhandenen Energiequellen zugrunde, die in Form von organischen Kohlenstoffverbindungen den Zellen zur Verfügung stehen, kann man berechnen, dass die Zellen sich nur etwa alle tausend Jahre teilen können. Diese extrem langsame Verdopplungszeit ist mit dem jetzigen Verständnis von lebenden Zellen nicht in Einklang zu bringen.

Jørgensen und D’Hondt schlagen jetzt aufgrund ihrer Daten einen Prozess vor, der in großen Bereichen des Pazifischen Ozeans eine alternative Energiequelle für das Leben tief im Meeresboden darstellen könnte: die natürliche Radioaktivität. Wasser wird durch die radioaktive Strahlung zersetzt, die beim Zerfall von natürlich vorkommenden Isotopen von Kalium, Thorium und Uran entsteht. Dieser Prozess (Radiolyse) erzeugt Wasserstoff und Sauerstoff. Die Abschätzung der Energiebilanzen zeigt, dass dieser Prozess ausreichend Energie für die Mikroorganismen liefern kann. Damit wären die Lebewesen in der Tiefen Biosphäre unabhängig von den Prozessen auf der Erdoberfläche. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich solch ein exotischer Lebensraum auch auf anderen Planeten fernab von Sonnen entwickelt haben könnte.

Im Dezember 2006 fahren die Forscher mit dem Bohrschiff „RV Roger Revelle“ in den südlichen Pazifik. Dort, fernab von den Kontinentalschelfen, gibt es nur sehr geringe Mengen an Kohlenstoffverbindungen, die Mikroorganismen als Lebensgrundlage dienen können. Umso mehr sind sie gespannt auf die Sedimentproben vom Meeresboden.

Originalveröffentlichung:

B.B. Jørgensen and Steven D´Hondt
A Starving Majority Deep Beneath the Seafloor
Science, 10 November 2006

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neues topologisches Metamaterial

… verstärkt Schallwellen exponentiell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am niederländischen Forschungsinstitut AMOLF haben in einer internationalen Kollaboration ein neuartiges Metamaterial entwickelt, durch das sich Schallwellen auf völlig neue Art und Weise…

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Partner & Förderer