Marburger Biologen an europäischem Exzellenznetzwerk zu Biodiversität beteiligt

Das Klima verändert sich und mit ihm unsere Umwelt. Doch wie genau wirkt sich dies auf Bäume aus, die unsere natürliche Umwelt prägen? Und welche Folgen hat der globale Klimawandel für die zahlreichen Organismen wie Pilze, Insekten und parasitische Pflanzen, die mit Bäumen in enger Gemeinschaft leben? Wie entsteht – und verschwindet – die genetische Vielfalt in ihren Lebensräumen?

Fragen wie diesen widmet sich das von der Europäischen Union mit 1,2 Millionen Euro geförderte und auf vier Jahre angelegte Projekt „Community Structure and Dynamics“ unter Federführung von Professorin Dr. Birgit Ziegenhagen, Naturschutzbiologin an der Philipps-Universität Marburg. Ziegenhagen wird „Community Structure and Dynamics“ gemeinsam mit den Marburger Professoren Dr. Roland Brandl, Dr. Gerhard Kost und Dr. Diethart Matthies sowie etwa 15 europäischen Kooperationspartnern durchführen.

Das in Marburg koordinierte Projekt ist eines von vier Forschungspaketen innerhalb des europaweit einzigartigen Exzellenznetzwerks „Evoltree“. Evoltree – der Begriff steht für „Evolution of trees as drivers of terrestrial biodiversity“ – wird von der Europäischen Union seit April 2006 mit insgesamt 14,6 Millionen Euro gefördert und steht unter Leitung von Professor Dr. Antoine Kremer vom französischen Institut National de la Recherche Agronomique in Bordeaux. Rund vier Millionen Euro des Gesamtbudgets entfallen auf die vier Forschungspakete.

„Im Rahmen unseres Marburger Pakets 'Community Structure and Dynamics' untersuchen wir Interaktionen zwischen Bäumen und assoziierten Organismen in Bezug auf evolutionäre Prozesse“, erklärt Ziegenhagen. Insbesondere die Folgen des Klimawandels für die genetische Diversität der „Leitarten“ unseres Ökosystems und der mit ihnen in enger Gemeinschaft lebenden Insekten, Pilze und parasitischen Pflanzen stehen dabei im Mittelpunkt.

Für ihr Projekt können die Marburger Biologen auf umfangreiche Erfahrungen zurückgreifen. „Eines unserer aktuellen interdisziplinären Projekte mit dem Mykologen Gerhard Kost“, so Ziegenhagen, „behandelt beispielsweise die Rückbesiedlung großer Kahlflächen im Schwarzwald durch die Tanne und ihre Mykorrhizapilze.“ Unter Mykorrhiza versteht man die Lebensgemeinschaft von Pilzen und Pflanzenwurzeln. Die Forscher wollen unter anderem herausfinden, ob es bei der Rückbesiedlung zu einem genetischen „Flaschenhals“, also zu geringerer genetischer Vielfalt bei beiden Organismen kommt.

Ein anderes Vorhaben (siehe auch die Pressemitteilung der Philipps-Universität vom 24. November 2005 unter http://www.uni-marburg.de/aktuelles/news/20051124naturschutz) untersucht mittels Computersimulationen den Genfluss bei Pappeln in realen Landschaften.

Gerhard Kost wird sich im Rahmen von „Community Structure and Dynamics“ unter anderem der Hutpilz-Gattung Laccaria widmen: „Auch Laccaria bildet Lebensgemeinschaften mit Bäumen und ist eine der von Evoltree definierten Zielarten, deren genetische Diversität wir mit molekularbiologischen Methoden aufklären wollen“, erklärt der Marburger Wissenschaftler. „Bei unseren Untersuchungen müssen wir aber immer zwei Faktoren berücksichtigen“, so Kost weiter. Zum einen könne es durch verschiedene Einflüsse zu einer geringen Anzahl von Arten kommen, die Biodiversität wird also ausgedünnt, und zum anderen könne aber auch die genetische Vielfalt innerhalb derselben Art begrenzt werden.

„Hinter all unseren Analysen steht die Frage“, so Diethart Matthies, „wie Bäume, die in unserem Lebensraum ja eine zentrale Rolle spielen, als 'driver', als Verursacher von Biodiversität fungieren, indem sich ihre genetische Diversität auf die genetische Diversität assoziierter Organismen auswirkt.“ Dies könne man, so der Pflanzenökologe, „bis hinunter auf einzelne Individuen“ verfolgen: „Weil Bäume im Vergleich zu den mit ihnen assoziierten Organismen sehr lange leben, ist es gut möglich, dass sich letztere genetisch an genau das Exemplar anpassen, auf oder mit dem sie leben.“

„Angesichts der komplexen Fragestellungen“, so Ziegenhagen, „sind an unserem Paket verschiedenste Disziplinen beteiligt.“ Das etwa zwanzigköpfige Projektteam setzt sich unter anderem aus Ökologen, Evolutionsbiologen und Pflanzengenetikern zusammen und wird europäische Regionen vom Polarkreis bis an die Mittelmeerküsten in die Untersuchungen einbeziehen. Das methodische Spektrum der Wissenschaftler reicht von Experimenten, Erhebungen und Computermodellen bis hin zu molekulargenetischen Methoden, mit denen sich Interaktionen selbst zwischen einzelnen Genen entschlüsseln lassen. Weitere Projektmitglieder aus dem Marburger Fachbereich Biologie sind Dr. Thomas Becker, Dr. Martin Brändle, Dr. Ronald Bialozyt, Dr. Ilona Leyer, Dr. Sascha Liepelt, Dr. Karl-Heinz Rexer und Dr. Martin Schädler. Bereits im Herbst 2007 plant Ziegenhagen in Marburg das erste Evoltree-Symposium „Community Structure and Dynamics“.

Als willkommener Nebeneffekt des Projekts, so erwartet die Biologin, werde auch die Attraktivität der Marburger Biologie für Studierende weiter steigen. Insbesondere der ab dem Wintersemester 2008 geplante Masterstudiengang „Organismic Biology“ werde von den aktuellen Forschungsergebnissen profitieren, zudem sei im Frühjahr 2007 erstmalig die internationale „Spring School of Evoltree“ geplant. Lehrveranstaltungen zu organismischer Biologie im Bachelorstudiengang werden am Fachbereich bereits seit vier Semestern angeboten.

Kontakt
Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Biologie, Karl-von-Frisch-Straße 8, 35043 Marburg
Fachgebiet Naturschutz:
Professorin Dr. Birgit Ziegenhagen: Tel.: (06421) 28 26585, E-Mail: ziegenha@staff.uni-marburg.de
Fachgebiet Ökologie:
Professor Dr. Roland Brandl: Tel.: (06421) 28 23386, E-Mail: brandlr@staff.uni-marburg.de

Professor Dr. Diethart Matthies: Tel.: (06421) 28 22085, E-Mail: matthies@staff.uni-marburg.de

Fachgebiet Spezielle Botanik und Mykologie:
Professor Dr. Gerhard Kost: Tel.: (06421) 28 22087, E-Mail: kost@staff.uni-marburg.de

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