Zukunft: Kornkraftwerk? Der (Energie-) Fänger im Roggen – oder: Man lebt nicht nur vom Brot allein

„Was haben ein dunkles Brötchen, Benzin und diese Dämmplatte gemeinsam?“, fragt Thomas Prinzler, Moderator der Podiumsrunde die knapp 100 Zuhörer. „Auch wenn es im ersten Moment nicht so wirkt, in allen Dreien steckt Roggen.“ Deutschland ist hinter Russland und Polen der drittgrößte Roggenproduzent der Welt. 2004 wurden bei uns 3.809.000 Tonnen Roggen angebaut. Größter Produzent ist Brandenburg, klärt Prinzler auf, auch wenn Anbaufläche und Ertrag in den letzten Jahren gesunken sind. 2004 wurden hier 1,3 Millionen Tonnen Roggen geerntet. Im vergangenen Jahr war es mit 765.000 Tonnen nur noch knapp die Hälfte.

Der Grund für den drastischen Rückgang war der Wegfall der Roggenaufkäufe durch die Europäische Union, sagt Udo Folgart. Der Agraringenieur ist Präsident des Landesbauernverbandes Brandenburg und einer der drei Experten der Podiumsdiskussion.

„Bis vor zwei Jahren wurde in Deutschland deutlich mehr Roggen als benötigt angebaut und als Vorrat eingelagert. Im Jahr 2004 ist die EU-Förderung dafür abgeschafft worden. Das Getreide durfte nicht mehr eingelagert werden. Plötzlich war Roggen auf dem Markt im Überhang da“, so Folgart. Folge: die Bauern verkleinerten die Anbaufläche für Roggen.

Roggen ist wie geschaffen für Märkischen Sand

Dabei ist Roggen die Getreideart Brandenburgs, so Folgart. „Roggen stellt geringe Ansprüche an Boden, an das Wasserangebot und an die Temperatur. Damit ist der Roggen prädestiniert für den Märkischen Sand. Wir haben viel getestet, wie wir die Fruchtfolgen auf den Äckern gestalten können, aber kein Produkt hatte solch ein Ertragspotenzial wie der Roggen.“ Der Ertrag stimmt zwar, nur der Absatz nicht. Nicht mehr. Von den Bauern wird Roggen nicht mehr so häufig als Futtermittel eingesetzt und auch der Verzehr von Roggenbrot und -brötchen ist in den letzten 40 Jahren stark zurückgegangen. Nur noch 16 Prozent aller Brot- und Brötchensorten bestehen heute aus Roggenmehl.

Dabei schmeckt Roggenbrot aromatischer, macht länger satt, ist gesünder und hält sich länger frisch, sagt Peter Kretschmer. Der Lebensmitteltechnologe, bekannt als Erfinder der Tempo-Linsen, arbeitet am Institut für Getreideverarbeitung in Bergholz Regbrücke. Dort hat er ein neues Mehlbehandlungsverfahren entwickelt. Mit „Rogginelloâ“, einem behandelten Roggenmehl, ist es möglich, Backwaren aus Roggen ohne den Einsatz von Sauerteig herzustellen. Dadurch können jetzt Brot und Kuchen hergestellt werden, die man bisher wegen des Sauerteiggeschmacks nur aus Weizen produzieren konnte. Wie gut Muffins oder Ciabatta schmecken, davon konnten sich die Zuhörer im Anschluss der Podiumsdiskussion bei einer Verkostung überzeugen. Darüber hinaus erforscht Kretschmer wie man Roggen außer als Lebensmittel noch verwenden kann.

Roggenpflanzplatten verhindern Bodenerosion

Dabei machen sich Kretschmer und seine Kollegen die Schäumbarkeit des Roggens zu Nutze. „Bei diesem Prozess wird der Roggen zuerst gemahlen, dann mit Wasser, Kalk und Mineralstoffen versetzt. Daraus wird ein Schaum gemacht“, erklärt Kretschmer. „In diesem Zustand lassen sich gut andere Materialien untermischen. Holzfasern wie Kokos oder Fichte zum Beispiel. Daraus entsteht dann ein Teigband. In dieses werden kleine Löcher gestanzt und Vertiefungen gedrückt. Dann wird dieses Band in einem speziellen Verfahren aufgeschlossen und getrocknet.“

Die so genannten Roggenfaserplatten sind nicht nur äußerst robust, sondern auch in der Lage 15 Liter Wasser pro Quadratmeter aufzunehmen. Genutzt werden die Platten vor allem an schrägen Flächen, um die Wasser- und Winderosion zu verhindern. „Dazu werden die Platten in den Boden eingebracht und anschließend in die Vertiefungen Gräsersamen gepflanzt. Diese durchwurzeln die Platten und verankern sie damit fest im Boden“, so Kretschmer. Eine weitere Erosion des Bodens wird damit verhindert. Es funktioniert, sagt der Forscher. In Brandenburger Erde, aber auch in extremen Lagen wie auf der Zugspitze, in Tunesien, Taiwan oder Zypern.

Handygehäuse oder Hüftgelenke aus Roggen?

Aus Roggen scheint sich fast alles herstellen zu lassen. Handygehäuse oder Hüftgelenke aus Roggen mag für manch einen abwegig klingen, nicht aber für Dr. Joachim Venus. Er ist Bioverfahrenstechniker am Institut für Agrartechnik Bornim. Venus interessiert vor allem der hohe Stärkegehalt des Roggens, immerhin 60 Prozent. Aus dieser Stärke lassen sich in einem mehrstufigen Verfahren Kunststoffe herstellen. „Dazu muss der Roggen zuerst geschrotet und mit Wasser versetzt werden. Anschließend kommen Bakterien hinzu, die den stärkehaltigen Schrotbrei letztendlich zu Milchsäure umwandeln“, sagt Venus.

Milchsäure ist Ausgangsmaterial für Kunststoffe. „In entsprechend hoher Konzentration, unter Druck, hohen Temperaturen und durch chemische Katalysatoren entsteht aus der flüssigen Milchsäure ein Kunststoff“, erklärt Venus. Ziel des Verfahrens ist es, dass traditionelle Rohstoffe zur Kunststoffgewinnung das Erdöl ersetzen. Der Vorrat daran wird allmählich knapp. Nicht so der Roggen. Ein weiterer Vorteil der auf Stärke basierenden Kunststoffe: da sie aus natürlichen Rohstoffen hergestellt wurden, sind sie biologisch abbaubar. Wie schnell das passiert, lässt sich durch Zugabe anderer Stoffe beeinflussen.

OP-Fäden aus Roggen, die sich von selbst auflösen

Ein wichtiger Markt: die Verpackungsindustrie. Handygehäuse oder Hüftgelenke aus Roggen sind vielleicht noch Zukunftsphantasien, aber bereits jetzt werden Pflanztöpfe und Pflanzfolien aus Roggen eingesetzt, die sich in der Erde selbständig abbauen. „Oder denken sie an den medizinischen Bereich. Dort werden Wunden bereits mit Fäden aus stärkehaltigen Fasern vernäht, die durch körpereigene Enzyme oder Mikroorganismen abgebaut werden. Man stellt die Eigenschaften dieses Kunststofffadens dann so ein, dass er sich nach acht, zehn, zwölf Wochen, je nachdem wie lange er seine Funktion erfüllen muss, der Faden im Körper verbleibt und sich danach von selbst auflöst. „

Doch die Roggenstärke lässt sich nicht nur zu Kunstfasern umwandeln, sondern auch zu Alkohol. Den meisten in Form von Korn oder Wodka bekannt, im Fachjargon Bioethanol genannt. Der lässt sich wiederum als Treibstoff oder Treibstoffzusatz verwenden. In Schwedt, auf dem Gelände der PCK-Raffinerie ist vor zwei Jahren eine der größten Bioethanolanlagen Deutschlands entstanden. Im Prinzip ist sie nichts anderes als eine überdimensionale Schnapsbrennerei. Der Roggen wird gemahlen, und mit Wasser vermischt. Die entstandene Maische wird anschließend vergoren und zu Alkohol destilliert. Damit können Autos schon heute fahren. In Brasilien zum Beispiel, dem größten Hersteller von Bioethanol in der Welt. In Deutschland dagegen wird Bioethanol bislang nur dem Benzin beigemischt.

Und der Roggen ist noch vielseitiger. Unter anderem als Baumaterial zur Wärme- und Schallisolierung, zur Erzeugung von Biogas oder als Rohstoff für Biomasseverfeuerungen. Er bietet noch mehr Verwendungsmöglichkeiten, da ist sich Peter Kretschmer sicher: „Der Roggen hat uns längst noch nicht all seine Geheimnisse preis gegeben.“

Kristin Krüger

Podium
· Dipl.-Ing. agr. Udo Folgart, Präsident des Landesbauernverbandes Brandenburg e.V.
· Dipl.-Ing. Peter Kretschmer, Geschäftsführer Biotechnologie, IGV Institut für Getreideverarbeitung GmbH, Bergholz Rehbrücke

· Dr.-Ing. Joachim Venus, Abteilung Bioverfahrenstechnik, Institut für Agrartechnik Bornim e.V. (ATB)

Moderation
Thomas Prinzler, Wissenschaftsredaktion rbb Inforadio
Der Treffpunkt WissensWerte ist eine Veranstaltung der TSB Technologiestiftung Berlin, rbb Inforadio und der Technologie Stiftung Brandenburg in Kooperation mit dem Brandenburger Ernährungsnetzwerk BEN.

Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und wird am 11.6.2006, um 9.22 Uhr im Programm von rbb Inforadio 93,1 gesendet.

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Annette Kleffel idw

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