Durchbruch in der Zell- und Entwicklungsbiologie

Stammzellen in einem lebenden Polypen werden sichtbar, weil sie das grün fluoreszierende Protein GFP) "angeschaltet" haben. Copyright: CAU

Kieler Zoologen gelingt es erstmals, Stammzellen im Süßwasserpolypen zu transformieren


Stammzellen gelten als Alleskönner. In der Medizin ruhen große Hoffnungen auf diesen Wundertätern. Allerdings weiß man derzeit noch recht wenig über sie. Warum adulte Stammzellen manchmal beginnen, sich hemmungslos zu teilen, ist ebenso rätselhaft wie die Tatsache, dass manche Stammzellen diese Fähigkeit der Teilung unter bestimmten Umständen verlieren. Verdankt der Mensch diese erstaunlichen Zellen einer „Erfindung“ seiner Vorfahren aus dem Reich der Wirbellosen? Kieler Zoologen machen nun die Stammzellen eines einfachen Organismus’ steuerbar.

An der Kieler Universität gelang ein entscheidender Durchbruch bei der Erforschung von Stammzellen: Durch Mikroinjektion in Embryonen des Süßwasserpolypen schaffen die Wissenschaftler es erstmals, in Stammzellen eines einfachen biologischen Organismus’ fremde Gene einzuschleusen. Die so veränderten befruchteten Eizellen bringen Abkömmlinge hervor, die alle das fremde Gen tragen und von Generation zu Generation weitergeben.

Die Entdeckung erscheint am 21. März in der jüngsten Ausgabe der „Proceedings“ der amerikanischen Akademie der Wissenschaften. Der Zoologe Professor Thomas Bosch und seine Mitarbeiter Jörg Wittlieb, Dr. Konstantin Khalturin von der Universität Kiel sowie Dr.Jan Lohmann vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen eröffnen der Forschung damit die Möglichkeit, in einfachen Organismen völlig neue Analysewege zu gehen.

Zum einen können diese genetisch markierten Stammzellen, die jetzt zum Beispiel grün fluoreszieren, dazu dienen, in den vollkommen durchsichtigen Polypen eingehend zu studieren, wohin die Zellen wandern und wie sie sich differenzieren. So konnten die Kieler Zoologen schon zeigen, dass diese Zellen aktiv in neu sich bildende Körperstrukturen – wie die Knospe der Polypen – einwandern und dadurch deren Aufbau ermöglichen.

Ferner können die veränderten Stammzellen gezielt dazu gebracht werden, beliebige Gene zu einem beliebigen Zeitpunkt an einem beliebigen Ort im Körper „anzuschalten“. Wenn die so aktivierten Gene wichtig sind, erwartet man erhebliche Auswirkungen auf den Organismus. Daraus lassen sich dann wichtige Schlussfolgerungen bezüglich der Funktion der betreffenden Gene ziehen.

Darüber hinaus können sich die veränderten Stammzellen des Polypen Hydra nun auch als Bioreaktor dienen: Sie produzieren tierische oder menschliche Eiweißmoleküle, beispielsweise antibakterielle Peptide, die in der Forschung gebraucht werden.

Die Arbeitsgruppe von Thomas Bosch am Zoologischen Institut der Universität Kiel interessiert sich seit Jahren für die Stammzellen im Süßwasserpolypen Hydra. Vom Studium der Zellen in diesem uralten und einzigartig einfachen Tier versprechen sich die Wissenschaftler Einblicke in die Mechanismen, die das Stammzellverhalten regulieren und die im Laufe der Evolution zum Entstehen von komplexen Zellsystemen geführt haben.

„Für mich ist das auch persönlich ein wunderbares Resultat“, bekennt Bosch, „weil ich bereits 1985 als junger Postdoc in den USA begonnen habe, daran zu arbeiten. Diese Funktionalisierung von Stammzellen, ihre gezielte Steuerung und der Einsatz als Instrument wird die Forschung ein ganzes Stück voranbringen. Da Hydra viele der Gene besitzt, die auch im menschlichen Körper für die Entwicklung und auch zur Abwehr von Krankheitskeimen eingesetzt werden, erlauben die neuen transgenen Stammzellen jetzt Funktionsuntersuchungen, die in komplizierteren Organismen und auch beim Menschen so leicht nicht möglich sind. Und ethisch unbedenklich sind Arbeiten an den Stammzellen niedriger Lebewesen allemal.“

Bosch ist auch an den beiden Exzellenzclusteranträgen der Kieler Universität beteiligt: Im Antrag zum Thema „Entzündungsforschung“ soll Hydra Aufschluss geben über die stammesgeschichtliche Herkunft von Genen, die an Entzündungsreaktionen beim Menschen beteiligt sind. Im Exzellenzcluster „Future Ocean“ stellen die transgenen Hydren eine der neuartigen Technologien dar, mit deren Hilfe die Gene mariner Organismen funktionell untersucht werden können. Die Cluster wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im ersten Durchgang zur Beantragung zugelassen. Die „Vollanträge“ gehen im April 2006 an die DFG. Mit einer Entscheidung ist im Oktober 2006 zu rechnen.

Kontakt:
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Zoologisches Institut
Professor Thomas Bosch
Tel. +49 (0)431/880-4169
tbosch@zoologie.uni-kiel.de

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Susanne Schuck idw

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