Lauschangriff auf freiem Feld

Großer Lauschangriff: Wilder Tabak (Nicotiana attenuata, im Vordergrund) belauscht die Duftsignale des Wüstenbeifuß (Artemisia tridentata tridentata). Beide Pflanzen sind natürliche Bewohner des Great Basin Deserts in Utah, USA . Bild: MPI für chemische Ökologie, Rayko Halitschke

Max-Planck-Wissenschaftler haben begonnen, das chemische Vokabular zwischen Pflanzen auch mithilfe der grünen Gentechnik zu entschlüsseln


Als Antwort auf Schädlingsbefall setzen Pflanzen flüchtige Duftstoffe frei. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena sind jetzt der Frage nachgegangen, wie ein Informationstransfer zwischen benachbarten Pflanzen auf der Basis dieser chemischen Duftstoffe funktionieren könnte. Aus Laboruntersuchungen gab es erste Hinweise; allerdings spiegeln diese nicht unbedingt die Freilandbedingungen wieder. Die Max-Planck-Forscher untersuchten daher – u.a. auch im Feld – die Abwehrreaktion des Wilden Tabaks (Nicotiana attenuata) auf Schädlingsbefall, nachdem er Duftsignale einer eng benachbarten und verwundeten Pflanze, nämlich des Wüstenbeifuß (Artemisia tridentata), empfangen hatte. Sie fanden heraus, dass Tabakpflanzen im Vergleich zu Artgenossen, die nicht die Gelegenheit hatten, am Wüstenbeifuß zu „spionieren“, besonders schnell und effizient ihre Schädlinge abwehrten (Oecologia, Februar 2006). Dieses Phänomen wird „Priming“ genannt. Mithilfe gentechnisch veränderter Pflanzen haben die Jenaer Wissenschaftler nun begonnen, die Duftstoffe zu identifizieren, die diesen positiven Effekt auf die Schädlingsabwehr der Nachbarpflanze haben.

Erstaunlicherweise verstärken die Tabakpflanzen ihre Abwehr erst dann, wenn sie wirklich attackiert werden, und nicht unmittelbar nachdem sie die Signale der verletzten Nachbarpflanze wahrgenommen haben. Dieses Verhalten ist aus Sicht der Pflanze sinnvoll: Wenn sie das Duftsignal alleine schon zum Anlass nähme, ihre wertvollen Ressourcen in Abwehrmoleküle umzuwandeln, wäre dies zu ihrem Nachteil, wenn sie am Ende doch nicht befallen würde und trotzdem Energie in die Abwehr gesteckt hätte. Zu den Abwehrsubstanzen gehören die so genannten Proteinase-Inhibitoren (TPIs), welche die Verdauung pflanzenfressender Raupen hemmen. Noch unbeantwortet ist die Frage, inwieweit diese Kommunikation zwischen Tabak und Beifuß eine Rolle in der Ökologie beider Arten spielen könnte.

Die Wissenschaftler vom Jenaer Max-Planck-Institut wollen nun auch die Details des pflanzlichen Informationsaustausches innerhalb einer Art aufklären. Ein erstes, interessantes Resultat liegt bereits vor: Pflanzen des Wilden Tabaks (Nicotiana attenuata) „riechen“ und erkennen komplette Duftbouquets ihrer Artgenossen, die aus verschiedenen gasförmigen Molekülen bestehen [2]. Mithilfe einer gentechnisch veränderten Pflanze (einer so genannten „stummen“ Pflanze), die ausgewählte Duftstoffe nicht mehr produzieren kann, wurde gezeigt, dass die Zusammensetzung des Aromas sehr wesentlich ist. Durch das Fehlen bestimmter Substanzen im Aroma der stummen, transgenen „Senderpflanzen“ reagierten die benachbarten Empfängerpflanzen anders als wenn das Duftbouquet vollständig gewesen wäre.

Bei ihren Untersuchungen legen die Biologen großen Wert darauf, Labor- und Freilanduntersuchungen zu kombinieren und Laborversuche so „realistisch“ wie möglich durchzuführen. Üblicherweise werden Pflanzen im Labor für Duftanalysen in relativ enge Glascontainer oder Kammern eingesperrt, was die Konzentration von gasförmigen Molekülen künstlich erhöht. Erschwerend kommt hinzu, dass Pflanzen – in den Gläsern luftdicht eingeschlossen – schnell unter CO2-Mangel leiden. „Um diesen Mangel zu kompensieren, öffnet die Pflanze ihre Spaltöffnungen, durch die dann neben CO2 auch mehr Duftmoleküle ins Blattinnere gelangen. Dadurch kann die Reaktion der Empfängerpflanze künstlich verstärkt oder verfälscht werden“ erklärt Anja Paschold.

Die Wissenschaftlerin hatte in ihrer Arbeit [2] die Duftkommunikation zwischen Tabakpflanzen einerseits unter „realistischen“ Bedingungen, andererseits mit Hilfe transgener „stummer“ Pflanzen untersucht (Abb. 2). Dabei fand sie heraus, dass weder das vollständige Duftstoffprofil von Wildtyp-Pflanzen noch das um einige Duftmoleküle beraubte Profil von gentechnisch veränderten Pflanzen die schon bekannten Abwehrmechanismen in Empfängerpflanzen beeinflusste: Nikotin-, Jasmonsäure- und Proteinase-Inhibitor-Gehalte änderten sich kaum, und auch ein „Priming“-Effekt konnte nicht nachgewiesen werden. Allerdings ergaben Untersuchungen der Genexpression, dass deutlich mehr Gene in der Empfängerpflanze reguliert waren, wenn dem Duftstoffgemisch Blattalkohole und -aldehyde, die den bekannten Duft des frisch gemähten Rasens erzeugen, fehlten. Wurde das unvollständige Duftstoffbouquet wiederum durch synthetische Blattalkohole und- aldehyde vervollständigt, waren die Gene „unreguliert“. Anscheinend werden also zumindest innerhalb einer Art durch Duftsignale von Pflanze zu Pflanze bestimmte Gen-Gruppen angeschaltet, andere dagegen abgeschaltet. Die Funktion der meisten dieser Gene ist noch unklar und wird jetzt analysiert.

Am Beispiel des Wilden Tabaks wollen die Wissenschaftler um Ian Baldwin die „chemische Sprache“, mit der sich Pflanzen miteinander unterhalten, systematisch erforschen [3]. Neben den „stummen“ transgenen Senderpflanzen sollen auch „taube“ Empfängerpflanzen zum Einsatz kommen, die bestimmte Duftmoleküle nicht mehr wahrnehmen können, weil ihnen der entsprechender Rezeptor fehlt. Ohne die Methoden der Gentechnik wäre diese spannende Grundlagenforschung nicht möglich.

Originalveröffentlichung:

[1] André Kessler, Rayko Halitschke, Celia Diezel, Ian T. Baldwin
Priming of plant defense responses in nature by airborne signaling between Artemisia tridentata and Nicotiana attenuata
Oecologia, online first, DOI 10.1007/s00442-006-0365-8

[2] Anja Paschold, Rayko Halitschke, Ian T. Baldwin
Using „mute“ plants to translate volatile signals
The Plant Journal 45, 275 – 291 (2006)

[3] Ian T. Baldwin, Rayko Halitschke, Anja Paschold, Caroline C. von Dahl, Catherine A. Preston
Volatile signaling in plant-plant interactions: „talking trees“ in the genomics era
Science 311, 812 – 815 (2006)

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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