Zielgenau gegen Krankheiten durch Antikörper aus der Retorte

„Kaum eine Erfindung der letzten 30 Jahre hat die Arzneimitteltherapie so revolutioniert wie die der monoklonalen Antikörper. Denn sie vereinigen Potenz mit Präzision“, so begründete Professor Peter C. Scriba, warum sich erstmals ein wissenschaftliches Symposium in Deutschland ausschließlich der therapeutischen Anwendung und der Weiterentwicklung dieser besonderen Wirkstoffgruppe zuwendet. Zu dem am 11. und 12. November in Berlin stattfindenden Symposium „Therapie mit monoklonalen Antikörpern – aktueller Stand und Perspektiven“ hatte die Paul-Martini-Stiftung, Berlin zusammen mit der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Halle, eingeladen. Führende Wissenschaftler und Sachverständige aus Kliniken, Forschungseinrichtungen, Behörden und der Industrie diskutierten über derzeitige und künftige Einsatzmöglichkeiten dieser vielseitigen Biotech-Arzneimittel. Wissenschaftlich geleitet wurde das Symposium von den Professoren Peter C. Scriba und Stefan Endres, beide Ludwig-Maximilian-Universität München, sowie Gunther Hartmann vom Universitätsklinikum Bonn.

Monoklonale Antikörper leiten sich von natürlichen Antikörpern ab, wie sie die B-Zellen zur Abwehr von pathogenen Organismen und Toxinen bilden. Wie diese sind sie Y-förmig mit spezifischen Bindungsstellen an den Enden beider Molekülarme. Im Unterschied zu natürlichen Antikörpern sind monoklonale Antikörper jedoch in ihrer Bindungsspezifität gegen körpereigene Moleküle wie Rezeptoren oder Modulatoren gerichtet und lassen sich zudem außerhalb des Körpers in beliebigen Mengen erzeugen. Derzeit sind weltweit 17 monoklonale Antikörper zur Therapie zugelassen, 15 davon auch in Deutschland. Krebs und Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis bilden die wichtigsten Indikationsgruppen. Über 70 weitere monoklonale Antikörper befinden sich in der fortgeschrittenen klinischen Entwicklung oder im Zulassungsverfahren. Weltweit laufen über 400 klinische Studien, in denen diese neuen Antikörper erprobt, die Anwendung vorhandener erweitert oder auch neuartige, von Antikörpern abgeleitete Moleküle getestet werden.

In seiner Begrüßung erinnerte Scriba daran, dass alles im Januar 1975 begann, als dem Deutschen Georges Köhler im Labor das Argentiniers César Milstein an der University of Cambridge die Verschmelzung von Antikörper-bildenden, aber wenig teilungsfreudigen murinen B-Zellen mit teilungsaktiven Tumorzellen gelang; die daraus resultierende Hybridomazelle vereinigte beides: Antikörperproduktion und Proliferation, zudem war sie potenziell unsterblich. Mit diesem Experiment legte Köhler die Grundlage für die Erzeugung von Antikörpern definierter Spezifität in großer Menge.

Aber erst mit Hilfe der Gentechnik konnte aus der guten Idee ein tragfähiges Therapieprinzip werden, wie Professor Theodor Dingermann von der Universität Frankfurt anschließend erläuterte. Denn nur mit ihrer Hilfe ließen sich die nach Köhlers Methode erzeugten murinen Antikörper soweit an Humanantikörper angleichen, dass sie auch bei wiederholter Gabe immunkompatibel waren. Gentechnik habe es auch möglich gemacht, bifunktionale Antikörper mit zwei unterschiedlichen Bindungsstellen sowie Fusionsproteine zu schaffen, die ausschließlich oder teilweise aus Antikörperfragmenten zusammengesetzt sind. Diese seien jedoch fast alle noch in der Erprobung. Schon in der Onkologie genutzt werde hingegen die Möglichkeit, monoklonale Antikörper mit Toxinen oder radioaktiven Atomen zu koppeln, die diese dann gezielt ins Tumorgewebegewebe tragen und so eine tumorselektive Radio- oder Chemotherapie initiieren.

Wie Dr. Margit Urban von dem Münchner Biotechnologie-Unternehmen MorphoSys berichtete, wurde bereits ein deutlicher Anteil der humanen monoklonalen Antikörper, die sich heute in der klinischen Entwicklung befinden, nicht nach der Köhlerschen Technik, sondern durch das so genannte phage display entwickelt. Bei dieser Technik, die ohne höhere Organismen, ja selbst ohne B-Zellen auskommt, werden humane Antikörper aus einer bestehenden Antikörperbibliothek isoliert. Der ganze Prozess findet dabei ausschließlich im Reagenzglas statt. Der entscheidende Vorteil ist, dass so Antikörper mit ganz bestimmten Eigenschaften gezielt ausgewählt und anschließend noch systematisch optimiert werden können. Weiterhin lassen sich humane Antikörper auch gegen toxische Antigene und Substanzen erzeugen, die keine B-Zell-Antwort stimulieren würden. Der Prozess lässt sich leicht parallelisieren und miniaturisieren, was die Antikörpergenerierung im hohen Durchsatz ermöglicht. Mit Adalimumab ist bereits ein Antikörper, welcher mit phage display selektioniert wurde, für die Therapie der rheumatoiden Arthritis zugelassen.

Die Methoden zur Massenproduktion monoklonaler Antikörper in gleich bleibender GMP-Qualität sind aufwändig, aber mittlerweile sehr ausgereift, wie Dr. Andreas Klein von Roche in Penzberg berichten konnte. In Penzberg werden unter anderem Antikörper zur Behandlung des Mammakarzinoms mit gentechnisch veränderten Säugerzellen in Fermentern mit bis zu 10.000 Litern Kapazität erzeugt.

Zahlreiche Vorträge widmeten sich den Wirkungen und Nebenwirkungen bei der Anwendung zugelassener monoklonaler Antikörper bei malignen wie nicht-malignen Erkrankungen. Dabei wurde deutlich, dass diese bevorzugt Teil komplexer Kombinations- und sequentieller Therapien sind. Dies gilt insbesondere für die Onkologie, wie Professor Andreas Schalhorn und Privatdozent Michael Untch, beide Ludwig-Maximilian-Universität München, für die Behandlung des metastasierten Kolorektal- bzw. Mammakarzinoms erläuterten.

Als Teil von Behandlungsregimes für das metastasierte Mammakarzinom ist schon seit 2000 der monoklonale Antikörper Trastuzumab zugelassen. Neuen Studiendaten zufolge lässt sich mit ihm beim adjuvant therapierbaren Mammakarzinom und HER-2/neu-überexprimierenden Tumorzellen das Risiko für Rezidiv und Metastasierung halbieren – ein außergewöhnlich großer Schritt vorwärts für die Krebstherapie! Andere aktuelle Studien zeigen, dass sich mit dem ersten Angiogenesehemmers Bevacizumab, der ebenfalls ein monoklonaler Antikörper ist, das progressionsfreie und das Gesamtüberleben bei metastasiertem Brustkrebs signifikant verbessern lassen. „Gezielte Maßnahmen, die sich biologische Eigenschaften des Tumors zunutze machen, werden zunehmend bedeutender“, kommentierte Untch.

Antikörper in Kombinationstherapien sind aber auch bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen erfolgreich. So berichtete Professor Joachim Robert Kalden, Universität Erlangen-Nürnberg, dass die seit wenigen Jahren verfügbaren TNF-alpha-Blocker, zu denen auch zwei monoklonale Antikörper zählen, das klassische Methotrexat nicht ersetzen; vielmehr sei die Kombination aus alter und neuer Medikation jeder Monotherapie überlegen. Erfreulicherweise seien denkbare Nebenwirkungen wie die Induktion von Autoimmunität, neutralisierenden Antikörpern oder ein vermehrtes Auftreten von malignen Lymphomen bislang nicht zu beobachten gewesen. Allerdings träten als kritisch zu betrachtende Nebenwirkung Infektionen auf, die Reaktivierung einer Tuberkulose sei zu bedenken. Da dies im Wirkprinzip angelegt sei, könne es nicht ohne weiteres vermieden werden.

Derzeit wird intensiv untersucht, ob bei einem anderen Antikörper das Auftreten einer seltenen, aber lebensbedrohlichen Infektionskrankheit in ursächlichem Zusammenhang mit der Therapie steht. Es geht um zwei Patienten mit Multipler Sklerose und einen mit entzündlicher Darmerkrankung, die mit Natalizumab, dem ersten Antikörper gegen das bei beiden Erkrankungen beteiligte VLA-4-Molekül behandelt wurden und eine virusbedingte progressive multifokale Leukenzephalopathie entwickelten. Die FDA-Zulassung für Natalizumab wurde daraufhin ausgesetzt; in Europa ist das Präparat bislang noch nicht zugelassen. Wenn gezeigt werden könnte, dass die Ereignisse nicht durch die Antikörpertherapie verursacht wurden oder durch ärztliche Vorsichtsmaßnahmen künftig vermieden werden können, wäre eine Wiederaufnahme der Therapie und eine Zulassung auch in Europa möglich. Professor Ralf Gold von der Universität Göttingen diskutierte den aktuellen Erkenntnisstand zu Natalizumab und berichtete von der erfolgreichen klinischen Prüfung anderer, für andere Indikationen bereits zugelassener Antikörper bei speziellen Formen der MS. Er diskutierte auch die Risiken neuer Antikörper-Therapien bei MS im Vergleich zu bisher zugelassenen Behandlungen für schwere Verläufe der MS.

Weitere Vorträge stellten den Einsatz oder möglichen Einsatz monoklonaler Antikörper bei chronisch lymphatischer Leukämie, Ovarialkarzinom, Asthma und Allergien vor und zeigten, wie die Onkologie künftig vom Einsatz bispezifischer Antikörper zur Förderung der T-Zell-vermittelten Immunabwehr profitieren könnte.

Insgesamt machte das Symposium deutlich, welche ernorme Chancen für wirksamere Therapien im weiteren Ausbau dieser Wirkstoffgruppe noch liegen.

Die Paul-Martini-Stiftung
Die gemeinnützige Paul-Martini-Stiftung, Berlin, fördert die Arzneimittelforschung sowie die Forschung über Arzneimitteltherapie und intensiviert den wissenschaftlichen Dialog zu Fragen der Arzneimittelforschung und -entwicklung zwischen medizinischen Wissenschaftlern in Universitäten, Krankenhäusern, der forschenden pharmazeutischen Industrie und anderen Forschungseinrichtungen sowie Behörden.

Die Stiftung wurde 1966 von den in der medizinisch-pharmazeutischen Studiengesellschaft zusammengeschlossenen sieben deutschen Pharmaunternehmen gegründet. 1994 übernahm der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA), Berlin, mit seinen derzeit 39 Mitgliedsunternehmen die Trägerschaft.

Die Stiftung ist benannt nach dem herausragenden Bonner Wissenschaftler und Arzt Professor Paul Martini, in Würdigung seiner besonderen Verdienste um die Förderung und Weiterentwicklung der klinisch-therapeutischen Forschung, die er mit seiner 1932 veröffentlichten „Methodenlehre der therapeutischen Untersuchung“ über Jahrzehnte wesentlich geprägt hat. Nach ihm ist auch der jährliche von der Stiftung verliehene Preis für herausragende klinische Forschung benannt.

Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina

Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (gegründet 1652 in Schweinfurt) mit Sitz in Halle an der Saale (seit 1878) ist eine überregionale Gelehrtengesellschaft mit gemeinnützigen Aufgaben und Zielen. Sie fördert inter- und transdisziplinäre Diskussionen durch öffentliche Symposien, Meetings, Vorträge, die Arbeit von Arbeitsgruppen, verbreitet wissenschaftliche Erkenntnisse, berät die Öffentlichkeit und politisch Verantwortliche durch Stellungnahmen zu gesellschaftlich relevanten Themen, fördert junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, und sie betreibt wissenschaftshistorische Forschung. Ihr gehören etwa 1.200 Mitglieder in aller Welt an. Drei Viertel der Mitglieder kommen aus den Stammländern Deutschland, Schweiz und Österreich, ein Viertel aus weiteren ca. 30 Ländern. Zu Mitgliedern werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus naturwissenschaftlichen und medizinischen Disziplinen sowie aus den Kultur- und den empirischen Geistes-, Verhaltens- und Sozialwissenschaften gewählt, die sich durch bedeutende Leistungen ausgezeichnet haben. Unter den derzeit lebenden Nobelpreisträgern sind 32 Mitglieder der Leopoldina.

Die Leopoldina erhält ihre finanziellen Zuwendungen für die satzungsgemäßen Aufgaben zu 80 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu 20 Prozent vom Land Sachsen-Anhalt.

Symposium der Paul-Martini-Stiftung und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina Berlin, 11.11.2005

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