Wie sich Nervenzellen vor Epilepsie schützen

In 30 Tagen fürs ganze Leben lernen

In den ersten 30 Lebenstagen üben Gehirnnervenzellen ihre Funktion fürs ganze Leben: Sie sind anfangs in der Lage, viele verschiedene Botenstoffe herzustellen, spielen quasi mit ihren Möglichkeiten, bis sie sich für ein bestimmtes Repertoire entscheiden. Im erwachsenen Zustand greifen sie dann im Notfall – etwa bei einem epileptischen Anfall – auf das früh Gelernte zurück. So können die sog. Interneurone lebenslang den antiepileptischen Botenstoff Neuropeptid Y (NPY) ausschütten, wenn es darauf ankommt. Wann das Gehirn welche Lernschritte durchläuft, untersucht ein Team um Prof. Dr. Petra Wahle (Entwicklungsneurobiologie, Fakultät für Biologie der RUB) und hofft, dass sich einige Erkenntnisse auch medizinisch nutzen lassen.

Frühe „kritische Periode“ bestimmt späteren Schutz

In dem sehr komplexen Netzwerk der Gehirn-Nervenzellen halten sich erregende und hemmende Neurone ständig die Balance. Ist das Gleichgewicht gestört, greift das Gehirn auf Schutzmechanismen zurück: etwa auf das Antiepileptikum NPY, wenn die Erregung der Nervenzellen pathologische Werte erreicht. Möglich ist das aber nur, wenn die Zellen kurz nach der Geburt eine kritische Periode des zellulären Lernens meistern, stellen die Forscher jetzt fest. Dabei müssen sie in einer elektrisch aktiven Umgebung wachsen, bestimmte Erfahrungen sammeln (etwa mit dem Neurotransmitter Dopamin) und einige Moleküle – wie das Zytokin LIF – dürfen nicht zu viel vorhanden sein. Mit Hilfe von Zellkulturen gehen die Neurobiologen der Lernphase auf den Grund, indem sie die Nervenzellen unterschiedlichen Bedingungen aussetzen.

Blick in die Zukunft

Die Ergebnisse weisen unter anderem den Botenstoff NPY als potentes „Antiepileptikum“ aus, dass die Erregung von Nervenzellen dämpft. In der ausgereiften gesunden Großhirnrinde gibt es zwar nur wenige NPY-Neurone, aber viele „stille Produzenten“, die in der kritischen Phase die Fähigkeit zur bedarfsgerechten Erregungshemmung von Nervenzellen erworben haben. Dieser Schutzmechanismus könnte vielleicht einmal von medizinischem Nutzen sein: In Tiermodellen lassen sich die „stille NPY-Produzenten“ schon heute pharmakologisch aktivieren und bieten damit Schutz vor Epilepsie.

Themen in RUBIN 2/2005

In RUBIN 2/2005 finden Sie außerdem folgende Themen: Ingenieurwissenschaften: Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen – (Bio-)raffiniert in den Tank; Stadiondächer auf dem Prüfstand – Sturmsicherheit: Den Spielraum immer wieder ausloten; Geisteswissenschaften: Der „ewige“ Krieg – Kapitulation des Völkerrechts vor der Realität?; Der Effekt des Einschulungsalters auf den Bildungserfolg – I-Dötzchen im besten Alter; Medizin: Mit Kraft- und Ausdauertraining gegen Herzschwäche: „Ruhig stellen“ gilt nicht mehr; Naturwissenschaften: Entwicklungsprobleme im westlichen Sambia: Bupilo Butata!: No Money – No Life! RUBIN steht im Internet unter www.rub.de/rubin und ist in der Pressestelle der Ruhr-Universität erhältlich.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Petra Wahle, AG Entwicklungsneurobiologie, Fakultät für Biologie, Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-24367, E-Mail: wahle@neurobiologie.rub.de

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Dr. Josef König idw

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