Chemische "Heizung" keine Erfindung der Säugetiere

Forscher der Philipps-Universität Marburg entdeckten das Protein, das die Wärmeproduktion ohne Zittern ermöglicht, unerwartet auch bei Fischen. Möglicher Zusammenhang mit dem Alterungsprozess von Zellen.

Wenn es Säugetieren wie etwa Mäusen zu kalt wird, schalten sie eine innere, chemische „Heizung“ ein. Dieses vor rund vierzig Jahren entdeckte Phänomen, so glaubte man lange, habe eine große Rolle gespielt, als vor etwa 140 Millionen Jahren plazentale Säugetierarten entstanden: Die chemische Heizung soll ihnen einen evolutionären Vorteil beim Überleben in kalter Umgebung verschafft haben. Nun aber hat eine Gruppe von Physiologen der Philipps-Universität Marburg das Protein UCP1 (Uncoupling Protein 1, Entkopplerprotein 1), auf dem die chemische Heizung basiert, auch bei Fischen entdeckt, und zwar bei den so genannten Strahlenflossern. Diese Vorfahren der meisten heute lebenden Fische haben bereits vor 420 Millionen Jahren eine evolutionäre Richtung eingeschlagen, die völlig unabhängig von der Entwicklung des Menschen ist.

Ihre Ergebnisse hat die Arbeitsgruppe um HD Dr. Martin Klingenspor vom Fachgebiet Tierphysiologie der Philipps-Universität gemeinsam mit Kollegen des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei nun im Fachjournal Physiological Genomics der American Physiological Society unter dem Titel „Uncoupling protein 1 in fish uncovers an ancient evolutionary history of mammalian nonshivering thermogenesis“ (Physiol Genomics July;22(2):150-156, 2005) vorgestellt. Die Arbeit wurde im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts durchgeführt.

Bereits vor zwanzig Jahren war der Mechanismus der chemischen Heizung (nonshivering thermogenesis, Zitterfreie Wärmebildung) aufgeklärt worden. Proteine der UCP-Familie verhindern dabei, dass in den Mitochondrien der Zellen eines Organismus Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) produziert wird, und sorgen stattdessen dafür, dass diese Energie in Form von Wärme freigesetzt wird. Dieser Prozess findet im braunen Fettgewebe statt, einer Gewebeart, deren Vorkommen bislang nur bei Säugetieren nachgewiesen wurde, die über eine Plazenta verfügen.

„Als wir nun aber die Datenbanken verschiedener Genomprojekte durchforsteten“, so Martin Klingenspor, „und die Genome niederer Wirbeltiere untersuchten, fanden wir dort ebenfalls Entkopplerproteine.“ Bei Strahlenflossern wie Zebrafisch und Kugelfisch konnte Klingenspors Mitarbeiter Martin Jastroch drei solcher Proteine nachweisen, von denen eines mit Sicherheit ein Verwandter des von Säugetieren bekannten UCP1 ist. Während aus so genannten Fleischflossern später Säugetiere wurden, haben sich die Strahlenflosser allerdings bereits vor 420 Millionen Jahren aus jener Evolutionslinie ausgeklinkt, die schließlich zu vierfüßigen Landbewohnern und zuletzt auch zum Menschen führte. „Damit ist klar“, so Klingenspor, „dass dieses Protein keine Erfindung der Säugetiere ist!“

Ihre Entdeckung, die in der Fachgemeinde bereits für einiges Erstaunen sorgte, stellt Klingenspor und Jastroch nun vor ein merkwürdiges Problem: Was für eine Rolle spielt ein Entkopplerprotein bei Fischen, die nicht über braunes Fettgewebe, also auch nicht über eine chemische Heizung verfügen? Zwei Arbeitshypothesen haben die Forscher nun aufgestellt: „Möglicherweise befähigt das Fisch-UCP1 die Tiere im Prinzip tatsächlich dazu, Wärme zu bilden. In diesem Fall ist aber sicher, dass dieser Mechanismus von ihnen entweder gar nicht oder nur für lokale Gewebeareale benutzt wird.“ Schwertfische beispielsweise können zwar nicht ihren ganzen Körper aufheizen, wohl aber – mit Hilfe eines speziellen Muskels, in dem besonders viele Mitochondrien vorhanden sind – ihre Augen und das Gehirn warm halten.

Oder aber das Protein hat bei Fischen eine ganz andere Funktion, beispielsweise könnte es als Transporter von Fettsäuren arbeiten. Eine besonders spannende Hypothese, die bereits in verschiedenen Veröffentlichungen diskutiert wurde, könnte aber auch diese sein: „UCP-Proteine vermindern nämlich auch die Bildung von Sauerstoffradikalen in Mitochondrien“, erklärt Klingenspor, „sie unterdrücken also genau den Prozess, der zur Alterung von Zellen und damit gesamter Organismen führt.“

Im Rahmen ihres DFG-geförderten Projekts „Die Funktion der Entkopplerproteine bei Wirbeltieren: Vergleichende genomische und physiologische Untersuchungen“ werden die Marburger Forscher diesen Fragen nun weiter nachgehen. Martin Jastroch, der mittlerweile bei Martin Klingenspor promoviert, hat im April dieses Jahres für seine bisherigen Arbeiten bereits den 1. Posterpreis bei einem Workshop in Madrid über „Uncoupling Proteins: Current status and Therapeutic Prospects“ gewonnen.

Kontakt
HD Dr. Martin Klingenspor: Fachbereich Biologie der Philipps-Universität Marburg, Karl-von-Frisch-Str. 8, 35043 Marburg
Tel.: (06421) 28 23908, E-Mail: klingens@staff.uni-marburg.de

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