Der Ozean wird saurer

„Der Kohlendioxid-Ausstoß muss deutlich gesenkt werden, sonst ist die fortschreitende Ansäuerung der Ozeane nicht mehr aufzuhalten.“ Das fordert ein Bericht der britischen Royal Society, der jetzt veröffentlicht wurde. Die Ansäuerung der Meere könnte unvorhersehbare Folgen für die marine Flora und Fauna, das globale Klima und letztendlich auch für die Menschen haben.


Die meisten von uns kennen den „pH-Wert“ vermutlich noch aus dem Chemieunterricht, geradezu inflationär gehandelt wurde der Begriff vor einigen Jahren in der Werbung für Waschlotionen und Hautcremes. In den kommenden Jahrzehnten könnte der pH-Wert allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang Aufsehen erregen. In den oberen und artenreichen Regionen der Ozeane herrscht derzeit ein pH-Wert von 8,2. Der Bericht der internationalen Arbeitsgruppe prophezeit jedoch, dass er bis zum Jahr 2100 um bis zu 0,5 Einheiten gesunken sein wird. Der Wert läge damit zwar immer noch im alkalischen Bereich, doch welche Folgen diese Verschiebung in die saure Richtung für die empfindlichen marinen Ökosysteme konkret haben würde, ist im Moment noch nicht abzusehen.

Verantwortlich für die Ansäuerung der Ozeane ist das Treibhausgas Kohlendioxid. Die Ozeane nehmen es aus der Atmosphäre auf wie ein Schwamm, im Meerwasser wird es gelöst und bildet dabei Säure. Gegenwärtig zieht der Ozean jährlich für jeden auf der Erde lebenden Menschen circa eine Tonne Kohlendioxid aus der Atmosphäre, der pH-Wert ist dadurch bereits heute schon leicht gesunken. Neben Klimawandel liefert damit die Ansäuerung der Ozeane ein weiteres und dringliches Argument zur Reduzierung des globalen Ausstoßes von Kohlendioxid. Ein Argument, das der Leiter der Arbeitsgruppe, Professor John Raven von der schottischen University of Dundee, den Regierungschefs aus aller Welt ans Herz legen möchte, die sich nächste Woche zum G8-Gipfel treffen werden. „Werden die Emissionen nicht erheblich vermindert“ so Raven, „wird es in den Ozeanen der Zukunft keinen Platz mehr geben für viele der Arten und Ökosysteme, die wir heute kennen.“

Meereslebewesen wie Korallen, Muscheln, Seeigel und Seesterne werden wahrscheinlich am meisten leiden, denn der höhere Säuregrad macht es ihnen schwer, ihre harten Skelette und Schalen aus Kalziumkarbonat zu formen und zu erhalten. Klimawandel und Ansäuerung der Ozeane gemeinsam, das zeigen selbst die gemäßigten Vorhersagen aus dem Bericht der Royal Society, könnten dazu führen, dass Korallen an tropischen und subtropischen Riffen wie dem Great Barrier Reef bereits im Jahr 2050 stark dezimiert sein werden. Das hätte schwerwiegende Folgen nicht nur für unzählige andere Arten, die an und in den Riffen leben, sondern auch für die Menschen in ihrer Nachbarschaft, die direkt oder indirekt von ihnen abhängen, sei es als Nahrungsmittel, als Touristen-Attraktion oder als Schutz der Küsten vor Bedrohungen wie Tsunamis.

Seit Millionen von Jahren hat sich die Chemie der Meere nicht so rasant verändert wie heute. „Wir wissen schlicht und ergreifend nicht“, sagt Professor Ulf Riebesell vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften IFM-GEOMAR in Kiel, „ob die Lebewesen in den Meeren – die ja ohnehin schon durch den allgemeinen Klimawandel beeinträchtigt sind – auch noch diese Veränderung verkraften können.“ Riebesell ist der einzige deutsche Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe der Royal Society. In seinen Untersuchungen hat er Plankton verschiedenen Kohlendioxidkonzentrationen ausgesetzt und deren Entwicklung beobachtet. Er konnte sehen, was für viele Planktonarten – Nahrungsgrundlage für alles Leben im Meer – vermutlich Ende dieses Jahrhunderts schon Realität sein wird. Das Plankton ist dann nicht mehr in der Lage, seine schützende Struktur aus Kalziumkarbonat zu bilden. Welche Konsequenzen das für die gesamten marinen Nahrungsnetze, die Produktivität und Biodiversität im Meer haben wird, ist im Moment noch nicht abzusehen.

Ozean, Atmosphäre, Biosphäre – in der Natur hängt alles voneinander ab und beeinflusst sich gegenseitig. Wird nur an einem einzigen Rädchen dieses komplexen Systems gedreht, kann das weitreichende Folgen für alle anderen Teile haben. Auch wenn das Ausmaß des Risikos noch nicht abzuschätzen ist, die Empfehlung der Royal Society ist deutlich: Die Kohlendioxid-Emissionen müssen gesenkt werden. So schnell und so weitreichend wie irgend möglich, denn der Bericht macht deutlich, dass durch das Treibhausgas nicht nur unser Klima, sondern auch unsere Ozeane auf dem Spiel stehen.

Kontakt in Deutschland:
Ulf Riebesell, 0431 600-4581, uriebesell@ifm-geomar.de
Uta Deinet, 0431 600-2501, udeinet@ifm-geomar.de

Kontakt in GB:
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