"Intermembrane space odyssey" – Ein neuer alter Weg führt Proteine in Mitochondrien

Proteine können nur mit ihrer jeweils spezifischen dreidimensionalen Struktur funktionieren. Meist findet die Faltung unter Verbrauch von Energie in Form von ATP statt. Privatdozent Dr. Johannes Herrmann und sein Team vom Adolf-Butenandt-Institut für Physiologische Chemie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München konnten zeigen, dass in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle, eine andere Energiequelle zur Proteinfaltung genutzt wird, nämlich die Oxidation. Wie die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Cell berichten, nutzen Mitochondrien dabei den Mechanismus der Oxidativen Proteinfaltung, der auch schon aus Bakterien bekannt ist. Von diesen stammen die Mitochondrien entwicklungsgeschichtlich ab. Die aktive Proteinfaltung erlaubt dabei den Mitochondrien, ihre Proteine von ihrer Umgebung, dem Zytosol der Zelle, aufzunehmen und dort zu behalten. „Unsere Ergebnisse zeigen einen bislang völlig unbekannten Transportweg für Proteine in den Intermembranraum von Mitochondrien“, so Herrmann. „Das ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis davon, wie Proteine in Zellen von ihrem Bildungsort an ihren Wirkungsort transportiert werden können.“ Die Bedeutung dieser Ergebnisse wird dadurch unterstrichen, dass das Titelbild der aktuellen Ausgabe von Cell eine Abbildung zu diesem Beitrag zeigt.

Proteine sind die Funktionsträger in den Zellen höherer Organismen. Ihre Funktionsfähigkeit hängt davon ab, dass die eigentlich kettenförmigen Proteinmoleküle ihre spezifischen dreidimensionalen Strukturen einnehmen. Kommt es zu Störungen bei dieser Faltung, können Proteine ihre Aufgaben oft nur mehr eingeschränkt oder gar nicht wahrnehmen. Die Proteinfaltung wird meist durch Hilfsproteine, so genannte Chaperone, unter Verbrauch von Energie vermittelt. ATP ist dabei die universelle „Energiewährung“ von Zellen: Die Energie, die in Form von ATP gespeichert wird, kann von Chaperonen direkt genutzt werden, um Proteine nach deren Synthese in ihre jeweilige Struktur zu falten.

Die meisten Bakterien sind von zwei Membranen umschlossen, wobei die äußere große Poren enthält. Der zwischen den Membranen liegende Bereich, der periplasmatische Raum, enthält kein ATP, weil das kleine Molekül leicht durch die Poren nach außen entweichen könnte. „Trotzdem können auch hier Proteine ihre korrekte dreidimensionale Struktur einnehmen – dank Oxidativer Proteinfaltung“, berichtet Herrmann. „Der Schlüssel dazu sind so genannte Disulfidbrücken.“

Diese starken chemischen Bindungen bilden sich durch Oxidation zwischen zwei Schwefelatomen von Cysteinresten, das sind bestimmte Bausteine von Proteinen. Disulfidbrücken können sich innerhalb eines Proteins oder auch zwischen zwei Proteinen ausbilden. Diese internen Verbrückungen halten Proteine stabil in ihrer dreidimensionalen Struktur, und das Einführen von Disulfidbrücken durch Oxidation kann daher genutzt werden, um Proteine selbst ohne Verbrauch von ATP aktiv zu falten.

Auch in den Zellen höherer Organismen kennt man die Oxidative Proteinfaltung, und zwar im so genannten Endoplasmatischen Retikulum. In diesem Bereich der Zelle werden Proteine gebildet, die nach außen abgegeben werden, wie beispielsweise Antikörper oder Hormone. Das Einfügen von Disulfidbrücken im Endoplasmatischen Retikulum dient der Stabilisierung dieser Proteine, bevor sie die schützende Umgebung der Zelle verlassen. Bislang ging man davon aus, dass außerhalb des Endoplasmatischen Retikulums Proteine generell nicht oxidiert werden, und Disulfidbrücken normalerweise nicht vorkommen. „Wir haben nun entdeckt, dass es auch in den Mitochondrien eine Maschinerie zur Oxidativen Proteinfaltung gibt“, so Herrmann. „Die Mitochondrien sind essentielle Zellbestandteile, die unter anderem für den Energiestoffwechsel der Zelle von entscheidender Bedeutung sind. Sie kommen nur in den Zellen höherer Organismen vor und stammen von Bakterien ab, die vor etwa eineinhalb bis zwei Milliarden Jahren in die Vorläufer unserer Zellen aufgenommen wurden. Verblüffenderweise haben sie die Oxidative Proteinfaltung offensichtlich im Laufe der Evolution erhalten.“

Die bakteriellen Ahnen der Mitochondrien haben ihren Nachfahren viele Merkmale hinterlassen. Dazu gehören auch die beiden Membranen, die die Mitochondrien umgeben. Die Komponenten zur Oxidativen Proteinfaltung finden sich zwischen diesen beiden Membranen, dem so genannten Intermembranraum. Entwicklungsgeschichtlich entspricht dieser dem periplasmatischen Raum der Bakterien. „Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie Proteine in den Intermembranraum transportiert werden können“, so Herrmann. „Dabei können sehr unterschiedliche Energiequellen genutzt werden, um Proteine aktiv in die Mitochondrien zu transportieren.“ Die verschiedenen Transportwege hat Herrmann vor kurzem in einem Übersichtsartikel für das Fachmagazin Trends in Biochemical Sciences zusammengefasst.

Einer dieser Transportwege nutzt die Oxidative Proteinfaltung als treibende Kraft. Wie Herrmann und seine Mitarbeiter zeigen konnten, funktioniert dies nach einem bislang unbekannten Mechanismus: Nach ihrer Bildung außerhalb der Mitochondrien sind Proteine zunächst ungefaltet. Nur so können sie durch die proteindurchlässigen Poren der Außenmembran gelangen. Sobald sie in den Intermembranraum der Mitochondrien gelangen, werden sie durch Oxidation stabil gefaltet und ihr Rücktransport somit verhindert. Der Intermembranraum wirkt damit wie eine Falle, die Proteine durch Oxidative Faltung fängt.

Hauptakteur ist der Importrezeptor Mia40 im Intermembranraum, der ein konserviertes Muster an Cysteinresten enthält. „Durch Erv1, ein Enzym im Intermembranraum, werden diese oxidiert.“, so Herrmann. „Wie wir nachweisen konnten, bildet sich dadurch eine Disulfidbrücke in Mia40. Hierdurch wird die Falle gespannt. Kommt ein neu importiertes Protein in die Nähe von Mia40, klappt die Disulfidbrücke zu diesem um, so dass dieses mit Mia40 verbunden ist.“ In einem zweiten Schritt wird die Disulfidbrücke vollständig auf das Protein übertragen, das hierdurch stabil gefaltet wird.

Die stabile Faltung verhindert, dass das Protein wieder zurück in das Zellinnere gelangen kann. „Der Mechanismus garantiert also einen gerichteten Proteintransport in den Intermembranraum“, meint Herrmann. „Die Oxidation ist dabei letztlich die treibende Kraft. Dieser Weg zeigt sehr schön, wie im Laufe der Evolution die von Urzellen aufgenommenen Bakterien so verändert wurden, dass sie ihre Proteine aus der Wirtszelle aufnehmen können.“

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Luise Dirscherl idw

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