Hausgrillen im Weltall

Neurobiologen der Universität Jena untersuchen Einfluss von Schwerelosigkeit auf Entwicklung von Nervensystemen. Ihre Experimente sind Teil der aktuellen „Eneide“ Mission der Europäischen Raumfahrtbehörde.

Am vergangenen Sonntag (17.4.) hat eine Sojus-Rakete an der Internationalen Raumstation ISS angedockt. Die dreiköpfige Besatzung der European Space Agency (ESA), die am vergangenen Freitag von Baikonur gestartet ist, hat ein straffes Experimentierprogramm zu bewältigen. Unter den 21 Experimenten, die der italienische Wissenschaftler Roberto Vittori ausführen soll, ist auch eines von Biologen der Universität Jena. 14 trächtige weibliche Hausgrillen (Achaeta domesticus) haben Uta Kirschnick und Dr. Hans-Jürgen Agricola von der Friedrich-Schiller-Universität auf die Eneide genannte Mission geschickt. Die Neurobiologen wollen den Einfluss von Schwerelosigkeit auf die Entwicklung des Nervensystems untersuchen.

„Dieses Experiment im Weltraum ist das letzte in einer Reihe und wir haben lange darauf gewartet, dass es stattfinden kann“, sagt Dr. Agricola. Er und seine Doktorandin haben den Versuch bis ins kleinste Detail vorgeplant. „Der Kollege auf der ISS muss nur noch zwei, drei Hebel umlegen. Der Rest passiert von selbst,“ erklärt er. Nachdem die Begattung der Grillenweibchen bereits auf der Erde stattgefunden hat, sollen sie nun im Weltall zur Eiablage schreiten. Wenn das Space-Shuttle am Freitag (22.4.) wieder landet, werden sich bereits kleine Larven entwickelt haben, die quasi ihre frühkindliche Entwicklung unter Schwerelosigkeit durchlaufen haben. „Wir werden dann in Jena die Neuronenausstattung dieser jungen Grillen analysieren und mit der Ausstattung der Kontrollgruppen vergleichen“, erklärt Uta Kirschnik. Sie hat bereits in ihrer Doktorarbeit herausgearbeitet, dass bei so genannter Hypergravitation, die mit Hilfe einer Zentrifuge erzeugt wird, sich die Nervenzellen der Larven signifikant verändern.

Das Nervensystem der Hausgrillen studieren die Forscher wegen der Parallelen zur Entwicklung des Nervensystems bei anderen Tieren, wie Vögeln oder Säugern. „Die zentrale Frage hinter unseren Bemühungen ist, in inwieweit die frühe Entwicklung nur das Abspulen des genetischen Programms ist und wie viel durch äußere Reize beeinflusst wird“, so der Jenaer Neurobiologe, „denken Sie nur an Vögel, die bereits im Ei auf das Gezwitscher oder Geschnatter ihrer Eltern geprägt sind oder an Schwangere, die bewusst klassische Musik hören.“

Die Hausgrillen eignen sich auch deswegen gut als Studienobjekt, weil Tiere, die unter gleichen Bedingungen aufwachsen, nahezu identische Nervenzellen entwickeln. Das bedeutet, verschiedene Neuronentypen sind bei den Individuen in gleicher Anzahl vorhanden und ähnlich verästelt. „Wir sind mit Hilfe spezieller Antikörper in der Lage, sowohl einzelne Nervenzellen des Zentralnervensystems zu identifizieren, als auch Aussagen über Anzahl und Verzweigung der verschiedenen Nervenzelltypen bei den Grillen zu treffen“, so Agricola. Dass die Schwerelosigkeit als extremer äußerer Reiz sichtbare Änderungen zeitigt, dessen sind sich die Jenaer Wissenschaftler gewiss, nur welche, das steht momentan noch „zwischen den Sternen“. „Wir sind froh, dass die Experimente in das russische Raumfahrtprogramm integriert werden konnten und sehen den Ergebnissen der Mission mit Spannung entgegen“, so Agricola.

An dem Verbundprojekt mit den Grillen ist neben der Universität Jena auch die Universität Ulm beteiligt, wo physiologische Experimente zur Orientierung der Insekten nach Verlust des Schwerefeldes durchgeführt werden. Alle Untersuchungen werden vom Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) mit Mitteln des Bundesforschungsministeriums gefördert.

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Stefanie Hahn idw

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