Grüne Giganten

Links eine Wildtyp-Pflanze kurz vor dem Blühen; rechts eine Pflanze, die unter gleichen Bedingungen gewachsen ist. Die rechte Pflanze ist mehr als doppelt so alt, blüht noch immer nicht, hat aber das mehr als dreifache Gewicht der linken Pflanze. Diese Effekte sind auf die Überproduktion der microRNA156 zurückzuführen. Bild: MPI für Entwicklungsbiologie

Max-Planck-Wissenschaftler entdecken, wie kleine RNA Moleküle die Biomasse von Pflanzen regulieren


Kleine RNA-Moleküle, so genannte microRNAs, greifen steuernd in die Protein-Synthese von Organismen ein, indem sie über komplementäre Basenpaarung an die Boten-RNAs der entsprechenden Proteine binden. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen konnten nun den Grad der Sequenz-Spezifität bestimmen, mit dem microRNAs an Boten-RNAs binden müssen, um deren effektiven Abbau zu induzieren. In der Modellpflanze Arabidopsis konnten die Forscher durch Überproduktion bestimmter microRNAS dabei auch eine deutliche Zunahme der Biomasse auslösen, die sich bei Nutzpflanzen unter Umständen vorteilhaft einsetzen ließe (Developmental Cell, 3. April 2005).

Der komplexe Weg von einer befruchteten Eizelle zu einem vielzelligen Organismus erfordert einen hohen Grad an Koordination und Regulation. Vor wenigen Jahren haben Forscher herausgefunden, dass dabei so genannte microRNAs, kleine RNA Moleküle von nur 19 bis 23 Nukleotiden Länge, eine entscheidende Rolle übernehmen. Erstmals entdeckt im Fadenwurm C. elegans als genetische Regulatoren der Larvalstadien, wurden in den letzten Jahren in immer mehr Organismen, Tieren wie auch Pflanzen, ähnliche microRNAs mit verwandten Funktionen gefunden. Die Information für die kleinen RNA-Moleküle ist in der DNA gespeichert. Ebenso wie die Bauanleitung für die Proteine: Hierbei wird der entsprechende DNA-Abschnitt in Boten-RNA umgeschrieben und diese wiederum in einem zweiten Schritt in eine Aminosäurekette, das Protein, übersetzt. In diese Protein-Synthese greifen microRNAs regulierend ein, indem sie über komplementäre Basenpaarung an die Boten-RNAs der entsprechenden Proteine binden. In pflanzlichen Systemen folgt daraufhin der Abbau dieser Boten-RNA, die damit nicht mehr für die Herstellung des Proteins zur Verfügung steht.

Da microRNAs selbst auch nur zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Geweben produziert werden, handelt es sich hierbei um eine zusätzliche Regulationsebene, die garantiert, dass Proteine nur in den dafür vorgesehenen Zellen und nur in adäquaten Mengen produziert werden. Fehlregulationen durch ein verändertes Zusammenspiel von RNAs und Proteinen können zu erheblichen Defekten und veränderten Eigenschaften der Pflanze führen. Auch wenn einige grundlegende Fragen zur Entstehung und Funktionsweise der microRNA in Pflanzen schon geklärt werden konnten, so ist doch nach wie vor in vielen Fällen noch immer unbekannt, welche Prozesse von den verschiedenen microRNAs reguliert werden und auch den molekularen Mechanismus zur Erkennung von Boten-RNAs kennt man nur ansatzweise. Rebecca Schwab und ihre Kollegen aus der Arbeitsgruppe von Detlef Weigel am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie haben mit molekularbiologischen, genomischen und bioinformatischen Methoden versucht, der Funktion und den Wirkungsmechanismen pflanzlicher microRNAs auf die Spur zu kommen.

Indem die Wissenschaftler eine künstliche Überproduktion der microRNA auslösen, können sie damit gleichzeitig die Synthese der von der microRNA regulierten Proteine weiter drosseln. Dadurch verändert sich das Erscheinungsbild des Organismus, und das wiederum lässt Rückschlüsse auf die Funktion der microRNA in der Entwicklung des Tiers oder der Pflanze zu. In der Modellpflanze Arabidopsis thaliana führte die Überproduktion von microRNAs in allen untersuchten Fällen zu erheblichen Missbildungen und Entwicklungsdefekten. Bei der pflanzenspezifischen microRNA156 konnten die Forscher eine deutliche Zunahme der Biomasse beobachten (Abbildung 1). „Dieses Ergebnis ist besonders interessant“, erklärt Detlef Weigel. „Denn der genetische Konservierungsgrad dieser microRNA und der von ihr regulierten Boten-RNAs lassen vermuten, dass eine Zunahme der Biomasse auf diesem Wege auch in anderen Pflanzenarten, wie zum Beispiel Nutzpflanzen, erzielt werden könnte.“

Im Verlauf ihrer Untersuchung gelang es den Entwicklungsbiologen, den Grad der Sequenz-Spezifität zu bestimmen, mit dem microRNAs an Boten-RNAs binden müssen, um deren effektiven Abbau zu induzieren. Dafür wurden genomweite Expressionsprofile von microRNA überproduzierenden und normalen Pflanzen erstellt und verglichen. Extraktion und Analyse der Differenzen zwischen diesen Profilen ermöglichten erstmals, das Spektrum der von einer pflanzlichen microRNA regulierten Boten-RNAs abzuschätzen.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass pflanzliche microRNAs einen sehr hohen Grad an Spezifität erfordern, sodass nur wenige Boten-RNAs direkt beeinflusst werden“, erklärt Rebecca Schwab. Mit dem Wissen der Sequenz-spezifischen Parameter, die bestimmen ob eine Boten-RNA von einer bestimmten microRNA reguliert werden kann, steht nun die Zukunft offen, um mithilfe artifizieller microRNAs gezielt und spezifisch die Produktion bestimmter Proteine in Pflanzen zu modulieren. [RS/CB]

Originalveröffentlichung:

Schwab R, Palatnik JF, Riester M, Schommer C, Schmid M und Weigel D
Specific effects of microRNAs on the Plant Transcriptome
Developmental Cell, April 3, 2005

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de/

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