Offene Systeme für die Mikro- und Nanofluidik

Rasterkraftmikroskopie-Aufnahmen von Flüssigkeitsmorphologien auf Siliziumsubstraten mit rechteckigen Oberflächenkanälen, die eine Breite von etwa einem Mikrometer haben. Links: Die Flüssigkeit dringt nicht in die Kanäle ein, sondern bildet zitronenförmige Tröpfchen aus, die die Kanäle (dunkle Streifen) überlagern. Rechts: Die Flüssigkeit breitet sich entlang der Kanäle aus und bildet ausgedehnte Filamente, zwischen denen sich fast leere Kanalsegmente (dunkle Streifen) befinden. In der unteren Zeile sind in beiden Aufnahmen links und rechts mehrere parallele Oberflächenkanäle zu sehen; in der oberer Zeile ist nur ein Kanal zu sehen, der ein Tröpfchen (links) bzw. ein Filament (rechts) enthält. Bei genauerer Betrachtung der Aufnahme rechts oben stellt man fest, dass das Filament mit dünnen Flüssigkeitskeilen entlang der unteren Kanalecken verbunden ist und dass die Kontaktlinie, d.h. der Rand des Meniskus an den oberen Kanalkanten "festgepinnt" ist. Bild: Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Max-Planck-Wissenschaftler schaffen wichtige Grundlage zur Herstellung neuartiger Reaktionsgefäße für die Mikro- und Nanofluidik

Die Zukunft gehört den „labs-on-a-chip“, also chemischen und biochemischen Labors, die auf die Größe eines Computerchips geschrumpft sind. Diese eröffnen die Möglichkeit, mit minimalen Reagensmengen, sehr schnellen Reaktionszeiten und massiv parallel operierenden Prozessen Zeit und Kosten zu sparen. Eine entscheidende Voraussetzung für solche winzigen Labors sind geeignete Mikrokompartimente, die kleinste Mengen Flüssigkeit oder chemischer Stoffe wirksam umschließen. Dafür erforderlich sind direkt zugängliche Oberflächenkanäle, die mit photolithographischen Methoden hergestellt werden können und die ein vielversprechendes Design-Prinzip für offene Systeme in der Mikro- und Nanofluidik darstellen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung, des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation sowie der University of California in Santa Barbara, USA, haben nun gemeinsam gezeigt, dass solche offenen Systeme nur dann möglich sind, wenn die Geometrie der Oberflächenkanäle genauestens mit der Benetzbarkeit des Substratmaterials abgestimmt wird (PNAS 102, 1848-1852, 8. Februar 2005).

Forschungsgruppen auf der ganzen Welt arbeiten an Herstellung und Design von „labs-on-a-chip“, um so chemische und biochemische Analysemethoden auf der Mikrometer- oder sogar auf der Nanometerskala zu integrieren. Diese Minilabors werden die Forschung im Bereich der Lebenswissenschaften entscheidend verändern, da sie die Möglichkeit eröffnen, mit viel kleineren Reagensvolumen, viel kürzeren Reaktionszeiten und massiv parallel operierenden Prozessen zu arbeiten. Auf diese Weise werden viele Analyseverfahren einen höheren Durchsatz erreichen und dadurch kostengünstiger werden. Zusätzlich gibt es viele potentielle Anwendungsmöglichkeiten in der Biomedizin und in der Biotechnologie. Integrierte labs-on-a-chip könnten dem Arzt schnelle und detaillierte Blutprobenanalysen liefern. Die Proben müssten nicht mehr in Speziallabors eingeschickt werden und auch die tagelange Wartezeit auf die Ergebnisse würde entfallen.

Eine entscheidende Voraussetzung für solche winzigen Labors sind geeignete Mikrokompartimente. Genau wie die Reagenzgläser in einem makroskopischen Labor sollten auch die Mikrokompartimente bestimmte Eigenschaften haben: Sie müssen eine wohl definierte Geometrie besitzen, mit der man die genaue Menge der enthaltenen Flüssigkeit messen kann, sie müssen unterschiedliche Mengen an Flüssigkeiten aufnehmen können und sie sollten so gestaltet sein, dass man Flüssigkeit problemlos hinzufügen oder entfernen kann.

Ein vielversprechendes Design-Prinzip für Mikrokompartimente basiert auf offenen, also direkt zugänglichen Oberflächenkanälen, die auf feste Substrate mittels photolithographischer Methoden aufgebracht werden. Die einfachste Kanalgeometrie, die mit diesen Verfahren hergestellt werden kann, hat einen rechteckigen Querschnitt. Breite und Tiefe solcher rechteckiger Kanäle lassen sich mit den verfügbaren Methoden zwischen 100 Nanometern und einigen Mikrometern exakt einstellen. Doch viele Flüssigkeiten dringen auf Grund starker Kapillarkräfte gar nicht in diese Oberflächenkanäle ein.

Rasterkraftmikroskopie-Experimente, die an der University of California in Santa Barbara durchgeführt wurden, machten deutlich, dass Flüssigkeiten an Oberflächenkanälen eine große Vielfalt verschiedenster Benetzungsmorphologien ausbilden können. Diese reichen von lokalisierten Tröpfchen bis zu langen, ausgedehnten Filamenten, die manchmal mit dünnen Flüssigkeitskeilen an den unteren Kanalecken verbunden sind. Bei der Durchführung dieser Experimente war allerdings nicht klar, wie man eine bestimmte Benetzungsmorphologie kontrolliert einstellen könnte, denn es fehlte eine systematische Theorie für die Abhängigkeit dieser Morphologie von den Materialeigenschaften und dem Systemaufbau. Eine derartige Theorie haben jetzt Wissenschaftler der Max-Planck-Institute für Kolloid- und Grenzflächenforschung und für Dynamik und Selbstorganisation in Potsdam und Göttingen entwickelt. Mit ihr lassen sich die starken Kapillarkräfte zwischen Substrat und Flüssigkeit beschreiben, die im Mikro- und Nanobereich vorherrschen.

Eine überraschende Vorhersage der Theorie ist, dass die experimentell beobachtete Formenvielfalt der benetzenden Flüssigkeit nur von zwei Parametern abhängt: (i) dem Seitenverhältnis des rechteckigen Kanalquerschnitts, konkret dem Verhältnis von Tiefe und Breite dieses Querschnitts, und (ii) dem Kontaktwinkel, der die Wechselwirkung von Flüssigkeit und Substratmaterial charakterisiert.

Insgesamt lassen sich sieben verschiedene Flüssigkeitsmorphologien unterscheiden, die aus lokalisierten Tröpfchen, ausgedehnten Filamenten und dünnen Keilen an den unteren Kanalecken aufgebaut sind. Der für Anwendungen in der Mikro- und Nanofluidik wichtigste Bereich ist der stabiler Flüssigkeitsfilamente. Diese bilden sich nur aus, wenn man die Kanalgeometrie, wie sie durch das Seitenverhältnis des Kanalquerschnitts beschrieben wird, genauestens auf den Kontaktwinkel abstimmt. Diese Filamente tolerieren sogar einen relativ großen Überdruck. So kann ein Wasserfilament in einem engen Kanal mit einer Breite von 100 Nanometern Überdrücken von bis zu 15 atm widerstehen.

Die neu erarbeitete Theorie ist von universeller Bedeutung und kann auf viele verschiedene Systeme im Mikrometerbereich angewendet werden. Sie sollte auch dann gültig bleiben, wenn man die Oberflächenkanäle noch weiter schrumpft und tiefer in den Nanobereich vorstößt. Erst bei einer Kanalbreite von etwa 30 Nanometern erwartet man theoretisch neue Effekte auf Grund der Linienspannung der Kontaktlinie, aber derartige Oberflächenkanäle wurden bisher noch nicht experimentell untersucht.

Bei elektrisch leitenden Flüssigkeiten wie Wasser lässt sich der Kontaktwinkel in kontrollierter Weise verändern, beispielsweise durch Anlegen einer äußeren elektrischen Spannung (Elektrobenetzung). Alternativ dazu wurden kürzlich mit molekularen Monolagen beschichtete Substratoberflächen entwickelt, deren molekularer Aufbau durch Lichteinfall, Temperatur oder elektrisches Potential geschaltet werden kann. Wenn der Kontaktwinkel durch solche Verfahren variiert wird, kann man eine kontrollierte Längenänderung der Flüssigkeitsfilamente herbeiführen: Die Filamente dringen bei Erniedrigung des Kontaktwinkels in die Oberflächenkanäle ein und ziehen sich bei Erhöhung des Kontaktwinkels wieder aus diesen zurück.

Diese Forschungsergebnisse sind ein aufschlussreiches Beispiel für die enge Verzahnung von theoretischer und experimenteller Grundlagenforschung und Technologieentwicklung im Mikro- und Nanobereich: Offene Systeme mit direkt zugänglichen Oberflächenkanälen lassen sich in der Mikro- und Nanofluidik einsetzen, aber ihre Konstruktion erfordert eine Feinabstimmung von Kanalgeometrie und Benetzbarkeit des Substratmaterials. Diese Einschränkung ist eine direkte Konsequenz der starken Kapillarkräfte, die im Mikro- und Nanobereich vorherrschen und lässt sich mit den Methoden der theoretischen Physik quantitativ formulieren. Ganz allgemein kann die Entwicklung der neuen Technologie nur gelingen, wenn man ihre physikalischen Grundlagen versteht.

Media Contact

Dr. Andreas Trepte idw

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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