Erster Nachweis von transport-korrelierten Protein-Wechselwirkungen in lebenden Zellen

Der Göttinger Teil des Autorenteams (von links nach rechts): Hans-Dieter Söling, Irina Majoul, Stefan Hell. Die beiden anderen Autoren, Rainer Duden und Martin Straub, arbeiten in Cambridge (England) und Melbourne (Australien).

Ein Merkmal lebender Zellen ist der Transport von Eiweißen (Proteinen) und anderen Zellbestandteilen zwischen verschiedenen Bereichen der Zelle. Dazu werden die Proteine in Bläschen oder röhrenähnliche Strukturen sortiert, die das Ziel des Transportes bestimmen. Arbeitsgruppen in der ganzen Welt untersuchen derzeit diesen zellinternen Sortierungsprozess. Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und der Universität Cambridge (England) ist es jetzt erstmals gelungen, Teilschritte eines solchen Sortierungsprozesses in der lebenden Zelle sichtbar zu machen. (Majoul, Straub, Hell, Duden, Söling, Developmental Cell 1, 139-153 (2001)).

In lebenden Zellen werden ständig Eiweiße (Proteine) und andere Zellbestandteile transportiert, nicht nur nach außen (Sekretion), sondern auch innerhalb der Zelle. Die meisten zellulären Proteine sind nicht gleichmäßig in der Zelle verteilt, sondern bestimmten Funktionsräumen oder Organellen, so genannten „Kompartimenten“, zugeordnet. Diese Verteilungen sind nicht statisch, sondern ergeben sich aus einem sehr genau geregelten Fließgleichgewicht zwischen An- und Abtransport der Proteine. Der Transport der Proteine erfolgt in spezifischen Transportstrukturen, entweder in kleinen Bläschen (Vesikeln) oder in Röhrchen ähnlichen Strukturen (Tubuli). Wie die zu transportierenden Proteine in die jeweils richtig addressierten Vesikel oder Tubuli sortiert werden, wird gegenwärtig in mehreren Forschergruppen weltweit untersucht.

Der Nachweis, mit dem jetzt zum ersten Mal an den Transportprozess gekoppelte Protein-Protein-Wechselwirkungen in lebenden Zellen gezeigt wurden, ist das Ergebnis einer Kooperation von Wissenschaftlern aus drei Arbeitsgruppen, von Dr. Irina Majoul und Prof. Hans-Dieter Söling aus der Abteilung Neurobiologie am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, von Dr. Martin Straub und PD. Dr. Stefan Hell aus der Arbeitsgruppe „Hochauflösende Optische Mikroskopie“ am selben Institut, und von Dr.Rainer Duden aus dem „Department of Clinical Biochemistry“ der Universität Cambridge, England. Untersucht wurde dabei der Transport eines bestimmten Rezeptors, des so genannten KDEL-Rezeptors „Erd2“. Besetzt man diesen Rezeptor, der sich normalerweise im so genannten Golgi-Kompartiment aufhält, durch ein KDEL-Protein, so wird er rasch in Transport-Vesikel umsortiert, die den besetzten Rezeptor in ein anderes Kompartiment, das endoplasmatische Retikulum, transportieren. Diese Sortierungs-und Transportvorgänge beruhen auf sehr fein abgestimmten Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Regulatorproteinen. Um derartige Wechselwirkungen sichtbar zu machen, wurden in Cambridge spezifische Fusionsgene hergestellt, die, wenn sie in die Zelle gebracht werden, etwas veränderte Proteine erzeugen. Die mit solchen Fusionsgenen erzeugten Proteine unterscheiden sich von den an der Sortierung beteiligten Proteinen dadurch, dass sie an einem Ende noch ein zusätzliches Protein haben, das fluoreszieren, also leuchten kann. Man kann fluoreszierende Proteine mit unterschiedlichen spektralen Eigenschaften verwenden und dabei die Eigenschaften der fluoreszierenden Proteinanteile so wählen, dass die Fluoreszenz eines Proteins (das kürzere Wellenlängen absorbiert) ein anderes Fluoreszenzprotein (mit Absorption im langwelligen Bereich) zur Fluoreszenz anregt. Dieses Phänomen nennt man Fluoreszenz-Resonanz-Energietransfer (FRET). Ein FRET-Phänomen lässt sich aber nur nachweisen, wenn beide fluoreszierende Komponenten (hier die beiden fluoreszierenden Fusionsproteine) sehr nah beieinander liegen (näher als 6 Nanometer = 6 millionstel Millimeter). Das Auftreten von FRET zwischen zwei Fusionsproteinen kann daher als Hinweis auf eine Interaktion dieser Proteine gewertet werden.

Um festzustellen, ob nach Besetzung des KDEL-Rezeptors bestimmte Proteine miteinander in Wechselwirkung treten, haben sich Irina Majoul und ihre Kollegen eines Tricks bedient, um den Besetzungsgrad des Rezeptors variieren zu können: Sie haben der zu untersuchenden Zelle von außen Choleratoxin angeboten, das durch Mutation ungiftig gemacht wurde. Choleratoxin kann an den KDEL-Rezeptor in gleicher Weise binden wie zelleigene KDEL-Proteine. Dass Choleratoxin in die Zellen aufgenommen und bis an den KDEL-Rezeptor im Golgi-Kompartiment transportiert wird, hatte Frau Dr. Majoul zusammen mit Prof. Söling bereits früher gezeigt. Mit Hilfe dieses Tricks konnte sie nun nachweisen, dass bei lebenden Zellen, in denen verschiedene Paarungen von fluoreszierenden Fusionsproteinen auftraten, die Besetzung des KDEL-Rezeptors (durch Choleratoxin) bei bestimmten Paarungen mit zeitgleichen Änderungen des FRET-Signals einherging. So ließ sich zeigen, dass die Besetzung des Rezeptors zunächst dazu führt, dass mehrere Rezeptormoleküle miteinander in Wechselwirkung treten (Oligomerisierung) und dass der besetzte, oligomerisierte KDEL-Rezeptor anschließend mit bestimmten weiteren Proteinen interagiert und damit die Bildung des so genannten „budding“-Komplexes einleitet. Dieser Komplex bewirkt die Ausbildung von Membranausstülpungen, aus denen anschließend Transportvesikel oder Transport-Tubuli entstehen. Gleichzeitig kommt es während der Ausbildung des Komplexes zu einer Sortierung des besetzten KDEL-Rezeptors in diese Membranausstülpungen.

Die beschriebenen Vorgänge wären ohne die in der Arbeitsgruppe Hell entwickelte Multifokale Multiphoton-Mikroskopie (MMM) kaum darstellbar gewesen. Bei dieser Methode wird die Fluoreszenz nicht mit tiefblauem oder ultraviolettem Licht ausgelöst, sondern im nahen Infrarot, welches im allgemeinen verträglicher für die Zelle ist. Dabei wird der Farbstoff nicht mit einem, sondern mit zwei gleichzeitig absorbierten Infrarot-Photonen angeregt (Multiphotonenabsorption). Weil dieser Prozess nur bei ausreichender Photonendichte stattfindet, wird die Fluoreszenz nur in einer relativ dünnen Schicht um die Fokalebene herum aktiviert. Dies verbessert die Lokalisation der fluoreszierenden Fusionsproteine in der Zelle und erhöht die Messpräzision von FRET. Der besondere Trick von MMM ist eine rotierende, mit 30 Mikrolinsen versehene Scheibe, die den Laserstrahl in 30 Teilstrahlen aufteilt. Damit wird die auf die einzelnen Abschnitte der Zelle einstrahlende Energie vermindert und gleichzeitig der Beobachtungsbereich in 20-30 mal kürzerer Zeit abgetastet. So ist es mit dem MMM-Verfahren möglich, dynamische Vorgänge in Zellen auch über längere Zeitabschnitte (1 – 3 Stunden) zu beobachten, was neue Möglichkeiten für zellbiologische Untersuchungen an lebenden Zellen eröffnet.

Als nächstes wollen wollen die Wissenschaftler untersuchen, ob auch so genannte SNARE-Proteine, die eine entscheidende Rolle beim Verschmelzen der Transportvesikel mit der Zellmembran spielen, an der Sortierung von transportierten Proteinen beteiligt sind.


Titel der Originalpublikation:
Irina Majoul, Martin Straub, Stefan W. Hell, Rainer Duden, and Hans-Dieter Söling: KDEL-cargo regulates interactions between proteins involved in COPI vesicle traffic: measurements in living cells using FRET. Developmental Cell, 1, 139-153 (2001)


Für Rückfragen:
Dr. Irina Majoul, Prof. Dr. Hans-Dieter Söling, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Abt. Neurobiologie, 37070 Göttingen, Tel.: 0551 201 -1617 oder -1663, Fax: 0551 201 1639, E-Mail: imajoul@gwdg.de bzw. hsoelin@gwdg.de

PD Dr. Stefan Hell, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, AG Hochauflösende Optische Mikroskopie, 37070 Göttingen, Tel.: 0551 201 1366, Fax: 0551 201 1085, E-Mail: shell@gwdg.de

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