Umweltchemie mit großem Aufgabenspektrum: Vom Risikomanagement bis zu üblen Gerüchen

Wissenschaftler aus Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie Vertreter aus Industrie und Behörden diskutieren auf einer großen Umwelttagung vom 6. bis 8. Oktober 2004 an der Technischen Hochschule Aachen über neueste Erkenntnisse zur Umweltchemie und Ökotoxikologie. Das Themenspektrum reicht vom Risikomanagement in der EU über die Chemie der Atmosphäre bis zu Arzneimittelrückständen in Gewässern oder Geruchsbelästigungen aus Schweineställen. Die Fachgruppe Umweltchemie und Ökotoxikologie der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und die Society of Environmental Toxicology and Chemistry – German Language Branch (SETAC-GLB) beteiligen auch niederländische Vereinigungen an ihrer gemeinsamen, in deutsch und englisch gehaltenen Veranstaltung.

Für die Abschätzung der Gefährdung unserer Umwelt (Ökotoxikologie) durch natürlicherweise dort nicht vorhandene Stoffe sind in den letzten Jahrzehnten viele ökotoxikologische Methoden entwickelt worden. In Aachen werden neue und weiterentwickelte Testmethoden sowie unverzichtbare Qualitätskriterien und Vorarbeiten für neue Richtlinien vorgestellt. In solchen Tests wird beispielsweise der Einfluss von Pflanzenschutzmitteln auf die Lebenszyklen von Fischen oder die Wirkung umweltrelevanter Chemikalien auf das Hormonsystem von wirbellosen Tieren, beispielsweise Insekten, geprüft. Untersuchungen von Gewässersedimenten sind gut geeignet, den historischen Einfluss auf Gewässer durch anthropogene Einträge von Umweltchemikalien deutlich zu machen. Solche Test dienen nicht nur einer derzeitigen Bestandsaufnahme, sondern sie helfen, neue Produkte, z. B. Waschmittel, möglichst umweltschonend zu entwickeln.

Für den vorsorgenden Schutz von Umwelt und Gesundheit ist es hilfreich, zytotoxische, also als Zellgift wirkende, und mutagene (erbgutschädigende) Belastungen – beispielsweise im Grundwasser alter Industrieregionen wie Bitterfeld – zu erkennen und zu identifizieren. Hierfür ist eine ausgeklügelte wirkungsbezogene Analytik vonnöten. Wichtig ist bei solchen Altlasten auch die Bestimmung ihrer Bioverfügbarkeit, ihrer biologischen Abbaubarkeit. Sprengstoffproduktionsstätten des Zweiten Weltkriegs besitzen auch heute noch ein beträchtliches Gefahrenpotenzial. Mangelnde Umweltschutzauflagen während der TNT-Produktion sowie Havarien und unsachgemäße Demontage der Anlagen nach Kriegsende führten zu einer großräumigen Kontamination mit Verteilung von sprengstofftypischen Verbindungen auf und im Boden. Die geringe Abbaubarkeit unter vorherrschenden Umweltbedingungen ist es, die einen Rückgang dieser Belastung verhindert, so dass sich in den letzten 60 Jahren das Gefahrenpotenzial kaum verringert hat.

Spannend bleibt nach wie vor das Kapitel Atmosphärenchemie. In speziellen Kammern simuliert man die Bedingungen der Troposphäre und untersucht, wie Sonnenlicht, Ozon, Hydroxyl-Radikale und andere reaktive Spezies nicht nur mit gasförmigen und leicht flüchtigen organischen Substanzen, sondern auch mit schwerflüchtigen organischen Substanzen wie polyhalogenierten Aromaten reagieren. Insbesondere nimmt man die Bildung von Aerosolen unter die Lupe – auch für Reaktionen in bodennahen Zonen.

Bodennah ist auch das Problem der Geruchsbelästigung aus Ställen, vor allem in der Schweinehaltung. 160 Geruchsstoffe machen Chemiker für den intensiven Geruch verantwortlich, nur wenige davon dominieren. Zu ihnen gehören beispielsweise p-Cresol, Indole und Skatole, einige flüchtige organische Säuren und Methylthiol als prominentes Mitglied der flüchtigen Schwefelverbindungen. Mit der Futterzusammensetzung kann man erheblich Einfluss auf den üblen Geruch nehmen. Auch die umgekehrte Fragestellung, welchen Einfluss die geruchs- und keimbelastete Atmosphäre in Tierställen auf die Nahrungsmittelqualität haben kann, ist von hohem Interesse.
Und noch ein Problem aus der Landwirtschaft beschäftigt die Umweltchemiker: Mit der Massentierhaltung ist ein intensiver Einsatz von Veterinärpharmaka verbunden. Diese werden nach der regelmäßigen Behandlung von Großvieh gegen Endo- und Ektoparasiten mit Antibiotika und Antiparasitika von den Nutztieren als unveränderte Ausgangsverbindungen und Metaboliten wieder ausgeschieden. Damit gelangen diese Rückstände direkt beim Weidegang oder mit der Ausbringung von Gülle auf Ackerland und Weide in den Boden und von diesem in die Gewässer. Das Umweltbundesamt hat von 2002 bis 2004 das „Runoff-Projekt“ mit der Zielsetzung gefördert, das Abflussverhalten (Runoff) von ausgewählten Veterinärpharmaka aus den Stoffklassen der Sulfonamide, Benzimidazole und Makrolide nach Gülleausbringung und Beregnung zu untersuchen. In Aachen werden erste Ergebnisse vorgestellt.

Neues gibt es in Aachen auch zum Entwurf für die Verordnung zur neuen europäischen Chemikalienpolitik („REACH“-VO). Der Entwurf sieht vor, u.a. die Handhabung von PBT (persistent, bioaccumulativ and toxic)- und vPvB (very persistent, very bioaccumulative)-Stoffen in einem Zulassungsverfahren zu regeln. Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten haben bereits Kriterien zur Identifizierung der Kandidaten abgestimmt, die sich allerdings noch von denen der OECD, der UNEP und Kanadas unterscheiden. Beim Europäischen Chemikalienbüro wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die zunächst aus 2700 Substanzen anhand einfacher Kriterien eine Vorauswahl getroffen hat. 150 Chemikalien werden derzeit auf ihre PBT- bzw. vPvB-Eigenschaften geprüft. Chemikalien, die persistent, also nicht oder nur langsam bzw. in geringem Maße abbaubar sind, und eine ausgeprägte Tendenz zur Bioakkumulation zeigen, werden derzeit als besonders regelungsbedürftig gesehen. Unter REACH sollen Hersteller, Stoffanwender und Importeure eigenverantwortlich Risikominderungsmaßnahmen planen und umsetzen. Für dieses Risikomanagement gilt es, Umweltstandards zu finden.

Bei der ökotoxikologischen Chemikalienbewertung ist Hormesis ein viel diskutiertes Thema. Hierunter versteht man einen dosisabhängigen Umkehreffekt, also biopositive, fördernde Wirkungen durch Chemikalien, die in höheren Konzentrationen toxisch sind. Derartige Dosis-Wirkungsbeziehungen sind bekannt, die Frage ist, ob sie den Normalfall und nicht die Ausnahme darstellen. Eine Projektgruppe des bei der GDCh angesiedelten Beratergremiums für Altstoffe (BUA) arbeitet derzeit daran, anhand von ersten Beispielen die Verbreitung von Hormesis zu untersuchen, woraus sich dann u.U. neue Schlussfolgerungen und Strategien für die Bewertung von Chemikalien ergeben. Die ersten Ergebnisse sind noch vage: eine fördernde Wirkung trat bei etwa 50 Prozent der Studien auf.

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker gehört mit über 26000 Mitgliedern zu den größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Sie hat 24 Fachgruppen, darunter die Fachgruppe Umweltchemie und Ökotoxikologie mit 950 Mitgliedern. Die Fachgruppe, gegründet 1990, will helfen, Erkenntnislücken zu schließen über Eintrag, Verteilung, Umwandlung und Verbleib von chemischen Stoffen in der Umwelt und über Einwirkungen von chemischen Stoffen (einschließlich der natürlichen) auf Menschen, Tiere, Pflanzen, niedere Lebewesen und auf Lebensräume (Boden, Wasser, Troposphäre, Stratosphäre).

Media Contact

Dr. Renate Hoer idw

Weitere Informationen:

http://www.gdch.de

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