Kontrollfaktor für gerichtetes Nervenwachstum gefunden

Embryonales Nervensystem einer normalen Taufliege Drosophila mit einer Färbung <br>einzelner Nervenaxone (grün) und der Expression des Proteins Syndecan (rot). <br>(Quelle: Dr. Vorbrüggen / MPIbpc)

Während der Entwicklung des Nervensystems müssen die Axone einzelner Nerven ihren Weg über teilweise sehr große Strecken finden, damit sie ihre Signal an andere Nervenzellen oder Muskeln weitergeben können. Dieses Wachstum wird durch eine komplexe Wechselwirkung verschiedener Eiweißstoffe (Proteine) kontrolliert, die auf die Axone anziehend oder abstoßend wirken und als Orientierungshilfen zum Ziel hin dienen. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen haben jetzt einen Kontrollfaktor entdeckt, der an diesem Prozess wesentlich beteiligt ist (Current Biology, Vol 14 (3), 2004).

Die Funktion des Nervensystems basiert auf der Interaktion vieler, oft weit auseinander liegender Nervenzellen. Bei der Entwicklung des Nervensystems senden einzelne Nervenzellen dazu Axone aus, die ihre jeweiligen Kommunikationspartner über teilweise sehr große Distanzen finden müssen. Die Orientierung der Axone wird während der Embryogenese durch eine Kombination von Faktoren, in der Regel Proteine, reguliert, die sich auf der Oberfläche anderer Zellen entlang des Weges zum Ziel hin bilden. Sie wirken auf die Enden der Axone entweder anziehend oder abstoßend und dienen so als Wegmarkierung. Es sind verschiedene Gruppen solcher Signalmoleküle bekannt, die von der Taufliege bis zum Menschen hin konserviert sind und jeweils ähnliche Funktionen haben. Diese Kontrollfaktoren sind also über mehr als 600 Millionen Jahre bei der Evolution im Tierreich erhalten geblieben.

Wissenschaftler aus der Gruppe um Dr. Gerd Vorbrüggen am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie haben nun gefunden, dass bei der Taufliege Drosophila an der Kontrolle des Nervenwachstums auch spezielle Zuckermoleküle beteiligt sind, die an Proteine auf der Zelloberfläche der auswachsenden Nervenzellen gekoppelt werden. Diese sogenannten Heparan-Sulfat-Zuckerketten bewirken eine spezifische Modifizierung der Proteine und kontrollieren die Wechselwirkung der Proteine mit den als Wegweiser dienenden Signalmolekülen. In der Februarausgabe der Fachzeitschrift Current Biology berichtet die Göttinger Arbeitsgruppe, dass für die Zielfindung einer Gruppe von Axonen das durch solche Zuckerketten modifizierte Protein „Syndecan“ notwendig ist. Die Forscher erzeugten Taufliegen, denen dieses Protein fehlt. In diesen Syndecan-defekten Fliegen hatten die Nervenaxone die Fähigkeit verloren, auf das Signalmolekül „Slit“ zu reagieren, das von der Taufliege bis zum Menschen hin von zentraler Bedeutung für das gerichtete Nervenwachstum ist. Als Folge wuchsen die Axone orientierungslos über Slit präsentierende Bereiche hinweg, wodurch ein ungeordnetes, nicht funktionelles Nervensystem entstand. Dieses Ergebnis zeigt, dass für die Erkennung des Slit-Signalmolküls neben dem eigentlichen Rezeptor zusätzlich mit Heparan-Zuckerketten modifzierte Proteine notwendig sind. Das eröffnet eine weitere regulatorische Ebene bei der biologischen Verarbeitung von Wachstumssignalen. Da das identifizierte Protein Syndecan, seine Modifikation mit bestimmten Zuckerketten und der Signalfaktor Slit auch beim Menschen auftreten, vermuten die Wissenschaftler, dass ähnliche Wegweiser für Nervenaxone auch bei der Entwicklung des menschlichen Nervensystems eine Rolle spielen.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Gerd Vorbrüggen
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
Abt. Molekulare Entwicklungsbiologie, 37070 Göttingen,
Tel. 0551-201-1049, Fax: -1755
eMail: gvorbru@gwdg.de

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