Neue Erkenntnisse in zellulären und molekularen Modellen für Lern- Gedächtnis-Bildung

Die Entschlüsselung der zellulären und molekularen Mechanismen der Lern- und Gedächtnisbildung ist eine der spannendsten Fragen der modernen Neurowissenschaften. Die Arbeitsgruppe von Juniorprofessor Dietmar Schmitz in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern aus England und den USA konnte in einem ’Research Article in Nature Neuroscience’ neue Ergebnisse beisteuern.

Das Zentralnervensystem (ZNS) ist kein statisches Organ, sondern ändert sich plastisch in Abhängigkeit von Aktivität und Erfahrung. Für die Abspeicherung von Erfahrungen scheint der Hippocampus und seine angrenzende Struktur, der entorhinale Cortex (EC), als „Tor zum Gedächtnis“ von besonderer Wichtigkeit zu sein. So sind Patienten mit bilateralen Schädigungen des Hippocampus und des EC nicht in der Lage, Neues zu Lernen. Interessanter Weise können sie sich aber an Gedächtnisinhalte, die vor der Schädigung erworben wurden, z.T. erinnern.

Daraus ist zu schließen, dass der Hippocampus- EC- Komplex für den Prozess des Speicherns von Informationen von entscheidender Bedeutung ist, aber keinen endgültigen, sondern nur eine Art Zwischenspeicher für Gedächtnisinhalte darstellt. Da es sehr unterschiedliche Arten von Lernen gibt, ist auch die Abhängigkeit verschiedener Lernvorgänge von der funktionellen Integrität des Hippocampus nicht einheitlich. Prozedurales Lernen beispielsweise, also die Fähigkeit, bestimmte motorische Abläufe zu lernen, gilt als nicht-deklaratives Gedächtnis und ist unabhängig vom Hippokampus. Das Erinnern von Tatsachen und Gedanken dagegen gilt als hippocampusabhängig und wird auch als deklaratives oder episodisches Gedächtnis bezeichnet.

Verschaltung des Hippocampus

Auf Grund mikroskopischer und funktioneller Unterschiede wird der Hippocampus in zwei korrespondierende Bereiche unterteilt: die Area Dentata und das Cornu Ammonis. Die Körnerzellen der Area Dentata erhalten vornehmlich ihre Eingänge aus dem entorhinalen Cortex über den so genannten Tractus Perforans. Die Körnerzellen wiederum geben nun Axone ab, um synaptische Verbindungen mit den Pyramidenzellen des Cornu Ammonis (CA) 3 einzugehen. Diese Synapse wird auf Grund ihrer außergewöhnlichen anatomischen Charakteristika als Moosfaser-Synapse bezeichnet.

Die Axone der CA3 Pyramidenzellen weisen mehrere Projektionszielorte auf: Zum einen verlassen die Axone den Hippocampus via Fornix und zum anderen projizieren sie auf benachbarte CA3-Pyramidenzellen als auch auf vorgeschaltetete CA1-Pyramidenzellen. Die CA1-Pyramidenzellen projizieren nun wieder Richtung Subikulum und entorhinalen Cortex.

’Long-term potentiation’ (LTP) als zelluläres und molekulares Modell für Lern- und Gedächtnisbildung

Ende der 40er Jahre stellte der Neuropsychologe Donald O. Hebb eine Hypothese auf, in der die zeitlich koordinierte Aktivität zweier synaptisch verbundener Neurone zu plastischen Veränderungen der synaptischen Stärke führt. Solch ein Mechanismus, so theoretisierte Hebb weiter, würde es erlauben Informationen zu kodieren und ggfs. auch zu speichern. Im Jahr 1973 machten die Physiologen Bliss und Lomo eine aufregende Entdeckung. Sie fanden, dass kurze repetitive Stimulation afferenter Fasern zu einer lang anhaltenden Verstärkung der synaptischen Übertragung führt. Die Autoren bezeichneten dieses Phänomen als ’long-term potentiation’ (LTP). In den darauf folgenden Jahren wurden intensiv die molekularen und zellulären Mechanismen der LTP erforscht.Es lassen sich zwei grundlegend verschiedene Formen der LTP unterscheiden: NMDA-Rezeptor-abhängig versus Nicht-NMDA-Rezeptor-abhängig.

Bei der NMDA-Rezeptor-abhängigen Form der LTP führt eine kurze repetitive Stimulation der Afferenzen zu einer Aktivierung eines postsynaptisch lokalisierten NMDA-Rezeptors (= Untertyp eines Glutamat-Rezeptors). Da neben der Bindung eines Transmittermoleküles zusätzlich eine Depolarisierung (Aktivierung) der postsynaptischen Zelle notwendig ist, damit es zur Öffnung des Ionenkanals kommen kann, dient der NMDA-Rezeptor somit als Detektor für die zeitlich koordinierte Aktivität von prä- und postsynaptischer Zelle.

Der NMDA-Rezeptor besitzt eine hohe Durchlässigkeit für Kalzium-Ionen. Dieser Einstrom von Kalzium-Ionen führt dann zur spezifischen Aktivierung von Enzymen, die wiederum zu Langzeit-Veränderungen der Synapse führen.

In der vorliegenden Arbeit wurde jedoch die viel weniger untersuchte und demzufolge viel weniger verstandene Nicht-NMDA-Rezeptor-abhängige Form der LTP untersucht. Die Untersuchungen wurden dabei vornehmlich an der bereits zuvor erwähnten Moosfaser-Synapse im Hippocampus der Ratte bzw. Maus durchgeführt.Mit Hilfe elektrophysiologischer Techniken und Nutzung pharmakologischer und gentechnischer Werkzeuge konnten die Autoren zeigen, dass die Moosfaser-LTP kritisch abhängt von so genannten Kainat-Rezeptoren, die sich auf der präsynaptischen Seite befinden. Bei den Kainat-Rezeptoren handelt es sich um Liganden-gesteuerte Ionen-Kanäle. Der natürliche Ligand ist in diesem Fall der Überträgerstoff Glutamat. Von noch größerem Interesse scheint jedoch, dass diese Kainat-Rezeptoren zu einer vollkommen neuen Form der Assoziativität von neuronaler Aktivität auf der rein präsynaptischen Seite der Neurone führt. Über diese Kainat-Rezeptoren können Signale von benachbarten Moosfasern assoziativ miteinander verknüpft werden. Diese neue Form der heterosynaptischen LTP hat weit reichende Auswirkungen für das Verständnis des Hippocampus und damit auch auf theoretische Modelle der Lern- Gedächtnis-Bildung.

Der Beitrag ’Presynaptic kainate receptors impart an associative property to hippocampal mossy fiber long-term potentiation’ von Dietmar Schmitz et al wird publiziert in Nature Neuroscience (Oktober 2003), bereits online: http://www.nature.com/cgi-taf/DynaPage.taf?file=/neuro/journal/vaop/ncurrent/abs/nn1116.html&dynoptions=doi1063008875

Informationen
Prof. Dr. Dietmar Schmitz
Medizinische Fakultät Charité
Neurowissenschaftliches Forschungszentrum
Tel. 030-450-539054, Fax 450-576936
e-mail dietmar.schmitz@charite.de

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