"Troubleshooting" im Zellkern

Wie Kopierfehler bei Gen-Abschriften beseitigt werden

Die menschliche Erbinformation ist in der DNA gespeichert. Wie ein Bauplan muss sie aber auch umgesetzt werden: Einzelne DNA-Abschnitte, die Gene, werden in der lebenden Zelle in Proteine übersetzt. Die RNA-Polymerase II (Pol II) übernimmt dabei einen entscheidenden Teil, nämlich den Prozess der so genannten Transkription. Das Enzym liest also einzelne Gene ab und erstellt eine Kopie, die aus der Nukleinsäure RNA besteht. Dabei kann es allerdings zu Kopierfehlern kommen, die in der Synthese falsch zusammengesetzter RNA resultieren. Außerdem können bestimmte Gen-Abschnitte die gesamte Transkription zum Halten bringen. Professor Patrick Cramer und seine Mitarbeiter Hubert Kettenberger und Karim-Jean Armache vom Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München konnten jetzt zeigen, dass in Fällen, in denen die Transkription stoppt oder ein Fehler in die Genkopie RNA eingebaut wurde, die große Stunde eines bis dahin wenig beachteten Transkriptionsfaktors schlägt (Cell, Bd. 114, S. 347-357, 2003). Dieses Protein namens TFIIS lagert sich an Pol II an und bewirkt im Inneren des Enzyms eine Strukturänderung. Daraufhin ist Pol II in der Lage, den fehlerhaften oder störenden RNA-Abschnitt zu entfernen und die Transkription bis zum Ende durchzuführen.

„Die Transkription ist ein hochkomplexer Prozess, der hervorragend durch Strukturanalysen der beteiligten Faktoren untersucht werden kann“, so Cramer. Erst vor wenigen Monaten konnten die Forscher ihre Ergebnisse zur Strukturbestimmung der Pol II in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichen – und lieferten damit die bis jetzt größte bekannte Molekularstruktur eines asymmetrischen Proteinkomplexes. Sie gehen jetzt einen Schritt weiter mit der Analyse des Komplexes von Pol II und des zusätzlichen Faktors TFIIS. „Das ist nicht leicht, weil die Kristalle, die wir aus mehreren Proteinen zur Untersuchung bilden, nicht sehr beständig sind“, berichtet Kettenberger. „Außerdem arbeiten wir in diesem Fall mit einem außergewöhnlich großen Komplex“, ergänzt Armache. „Pol II alleine besteht schon aus zwölf Protein-Untereinheiten.“

Das genetische Material höherer Organismen befindet sich in den Zellkernen. Die zelluläre Maschinerie zur Proteinsynthese aber liegt in der umgebenden Zellflüssigkeit. Deshalb überbringt ein „Bote“ die in den Genen enthaltene Information aus dem Zellkern an ihren Bestimmungsort. Das ist die „messenger-RNA“ oder mRNA. Sie wird in höheren Zellen von der Pol II gebildet, die sie als Abschriften der entsprechenden Gene synthetisiert. Zunächst muss das Enzym Gene erkennen, die in mRNA übersetzt werden sollen. Dann „dröselt“ Pol II an der betreffenden Stelle die doppelsträngige DNA auf und umschließt wie eine Klammer einen der beiden Stränge, an dem sie dann entlangleitet. Schritt für Schritt produziert das Enzym dabei mit höchster Präzision einen RNA-Strang der der kodierenden DNA-Sequenz gleicht.

Dabei kann es allerdings zu Problemen kommen. Bestimmte DNA-Sequenzen etwa können von Pol II nur schwer kopiert werden. Das kann dazu führen, dass das Enzym plötzlich rückwärts an der DNA entlangläuft und durch den dann ebenfalls rückwärts laufenden RNA-Abschnitt „verstopft“ wird, was zu einem Transkriptions-Stopp führt. Wie die Wissenschaftler zeigen konnten, kommt dann TFIIS ins Spiel. „TFIIS windet sich entlang der Oberfläche von Pol II und dringt bis in das aktive Zentrum im Inneren des Enzyms vor, wo die Transkription stattfindet“, so Cramer. „Das Erstaunliche ist, dass dieses Protein dort dann eine bedeutende Strukturänderung bewirken kann.“ TFIIS verstärkt eine Funktion von Pol II, die sonst nur sehr schwach ausgeprägt ist: das Abschneiden von RNA. TFIIS verändert das aktive Zentrum derart, dass Pol II den fehlerhaften RNA-Abschnitt schnell abtrennen und dann mit der Transkription fortfahren kann.

Enzyme, die Nukleinsäuren synthetisieren, verfügen oft auch über die Fähigkeit, die synthetisierten Stränge wieder zu durchtrennen, um eine Fehlerkorrektur zu ermöglichen. Klassische DNA-Polymerasen, die für die Verdopplung des Erbguts verantwortlich sind, haben zwei getrennte aktive Zentren. Eines synthetisiert die Nukleinsäure, das andere kann einen fehlerhaften Strang abschneiden. Dies aber erfordert große Bewegungen des ständig wachsenden DNA-Stranges, weil er zwischen den beiden aktiven Zentren hin- und herwandern muss. Die Wissenschaftler konnten nun im Fall von Pol II zeigen, dass die Synthesefunktion und das Abschneiden des RNA-Stranges nicht etwa an verschiedenen Stellen des Enzyms stattfinden. „Damit verfügt Pol II wirklich über ein einzigartiges aktives Zentrum“, meint Cramer. „Denn es kann je nach Bedarf zwischen Synthese- und Korrektur-Modus hin- und herschalten.“

Ansprechpartner:

Professor Dr. Patrick Cramer
Institut für Biochemie und Genzentrum der LMU
phone: +49-89-2180-76953
email: cramer@LMB.uni-muenchen.de

Media Contact

Cornelia Glees-zur Bonsen idw

Weitere Informationen:

http://www.lmb.uni-muenchen.de

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