"Was das Pflanzenprotein im Nadelöhr macht"

Neuer Mechanismus für Membran-Transport in Zelle entdeckt

Chloroplasten sind wichtige Bestandteile von Pflanzenzellen und von zwei Membranen umgeben. Die meisten Proteine, also Eiweißbausteine, der Chloroplasten werden im Zellkern kodiert, im Zellinneren synthetisiert und müssen dann durch diese Doppelmembran geschleust werden. Es sind mehrere Membranproteine bekannt, die dabei eine Rolle spielen. Der Mechanismus des Transportvorganges selbst ist unverstanden. Prof. Jürgen Soll und zwei Mitarbeiter vom Department Biologie I, Botanik, haben nun ein Protein identifiziert, das als molekularer Motor andere Proteine durch die Chloroplasten-Membranen schleust, wobei ein bislang unbekannter Mechanismus zugrunde liegt. Die Veröffentlichung ist online in den Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen. Eine Druckversion wird in etwa zwei Wochen folgen (PNAS, Bd. 100, S. 4604 – 4609, 2003). Die Wissenschaftler hatten vor einigen Jahren das Protein Toc75 identifiziert, welches sich wie ein Tunnel durch die Doppelmembran zieht und neue Chloroplasten-Proteine in das Innere der Organellen läßt. Wie dieser Vorgang aber angetrieben wird, war bislang unklar. Nun konnte das Team um Soll zeigen, dass eine kleine Proteinmaschinerie dafür verantwortlich ist. Toc159 bindet an neu synthetisierte Chloroplasten-Proteine und schiebt diese dann Stück für Stück durch den Kanal Toc75. „Der Prozess ähnelt ein wenig dem Nähen mit einer Nähmaschine“, erklärt Soll. „Toc159 ist dabei die Nadel mit Motor, das zu transportierende Protein ist der Faden, und das Kanalprotein in der Membran ist der Stoff.“

Einige Bestandteile von höheren Zellen verfügen über eigenes genetisches Material. Dazu gehören auch die Photosynthese betreibenden Chloroplasten. Allerdings werden die meisten Chloroplasten-Proteine mit nur wenigen Ausnahmen von der DNA im Zellkern kodiert und im Zellinneren synthetisiert. Deshalb müssen diese Proteine auch erst die Doppelmembran der Chloroplasten überwinden, um an ihren Bestimmungsort zu gelangen. Tunnelförmige Kanalproteine, die die beiden Membranen durchziehen, sind das „Eingangstor“ für diese neu synthetisierten Proteine.

Soll und seine Mitarbeiter haben vor einiger Zeit das Kanalprotein Toc75 in der Außenmembran der Chloroplasten identifiziert. Wie eine Pore verbindet es das Innere der Zelle mit dem Inneren der Organelle und schleust Chloroplasten-Proteine ein. Die treibende Kraft hinter diesem Vorgang ist das neu entdeckte Protein Toc159, wie das Team um Soll jetzt in vitro zeigen konnte. Bislang unbekannt war allerdings der genaue Mechanismus, wie ein neu synthetisiertes Chloroplasten-Protein zu Toc159 gelangt und von diesem dann durch das Kanalprotein Toc75 „gefädelt“ wird.

Die Wissenschaftler vermuten, dass Toc159 das neu synthetisierte Chloroplasten-Protein Stück für Stück durch den Kanal drückt. Vergleichbar ist dieser Mechanismus der Funktionsweise einer Nähmaschine, die den Faden auch in kleinen Abschnitten durch den Stoff fädelt. Die Forscher schlagen einen Mechanismus vor, bei dem zunächst das neu synthetisierte Chloroplasten-Protein von dem Membran-gebundenen Toc159 gehalten wird. Dadurch wird eine energiereiche Einheit, die ebenfalls an diesen molekularen Motor bindet, gespalten. Das setzt genug Energie frei, um einen Teil von Toc159 auf den Membrankanal zuzubewegen und einen Abschnitt des Chloroplasten-Proteins hineinzudrücken. Wird die Bindung gelöst, kann eine neue Runde beginnen: Ein weiter hinten liegender Abschnitt des Chloroplasten-Proteins bindet an Toc159, Energie wird freigesetzt, und der „Faden“ ein Stück weiter in den Kanal geschoben.

Proteine können ihre Funktion nur ausführen, wenn sie eine charakteristische, dreidimensionale Form angenommen haben. Sie werden von bestimmten Organellen im Zellinneren, so genannten Ribosomen, zusammengesetzt. Zunächst wird ein Baustein an den anderen gehängt, so dass eine lange Kette entsteht. Aber schon während der Synthese am Ribosom beginnt die Faltung des Proteins. Neue Proteine, die in das Innere von Chloroplasten gelangen müssen, dürfen sich nicht falten. Denn dann passen sie nicht durch die engen Kanalproteine. Bei den bislang bekannten Mechanismen sorgen bestimmte Proteine, die Chaperone, während der Synthese und auch danach dafür, dass sich die neu gebauten Proteine nicht falten. Dadurch ähneln diese einem langen, dünnen Faden und können leichter durch enge Membranporen geschleust werden. Im neuen Modell spielen Chaperone keine Rolle. Es ist allerdings noch unklar, ob Toc159 die Proteine selbst während ihrer Synthese bindet und im ungefalteten Zustand hält, oder ob sie von einem anderen Trägerprotein an die Chloroplasten-Membran zu Toc159 gebracht werden.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Jürgen Soll
Department Biologie I, Botanik
Tel. 089/17861-245,-244
Fax. 089/17861-185
E-mail: soll@uni-muenchen.de

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Cornelia Glees-zur Bonsen idw

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