Umstellung der Sommerzeit – Auswirkungen auf die Innere Uhr?

Am Sonntag, 29. Oktober, endet mit dem Zurückstellen der Uhren von 3.00 auf 2.00 Uhr die Sommerzeit. Mit möglichen Auswirkungen der Zeitumstellung beschäftigt sich der nachfolgende Text. Autor ist Professor Dr. med. Dr. h.c. Björn Lemmer, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie an der Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Er befasst sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit unter anderem mit der Chronobiologie und damit gleichsam mit der „Inneren Uhr“ der Lebewesen.

In der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober geht die Sommerzeit zu Ende, die Uhr wird um eine Stunde zurückgestellt. Obwohl der Energiespareffekt durch die Einführung der Sommerzeit als äußerst gering eingeschätzt oder gar bezweifelt wird, greift diese abrupte Zeitumstellung in biologische Strukturen aller Lebewesen ein.

Alle Lebewesen – vom Einzeller über die Blumen bis zum Menschen – verfügen über Innere Uhren, die die Körperfunktionen rhythmisch steuern. Beim Menschen befindet sich die Haupt-Uhr in einem bestimmten Kerngebiet des Gehirns, dem Nucleus suprachiasmaticus. Am bekanntesten ist unser innerer Rhythmus in der Körpertemperatur und im Wach-Schlafverhalten. Aber auch die Ausschüttung körpereigener Hormone, die Aufmerksamkeit und die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit unterliegen solchen rhythmischen Abläufen. Ja, sogar das Auftreten von Krankheitssymptomen wie Asthma- oder Angina pectoris Anfälle und des Herzinfarktes ist nicht gleichmäßig häufig über den Tag verteilt, sondern unterliegt voraussagbaren tagesrhythmischen Schwankungen. Heute sind sogar die Gene bekannt, die für die Ausbildung der Inneren Uhren bei verschiedenen Lebewesen – ob Fruchtfliege, Schleimpilz, Hamster oder Mensch – verantwortlich sind.
Innere Uhren haben „vorausschauenden“ Charakter, das heißt der Organismus „weiß“ bereits nachts, was am nächsten Morgen mit seinen Körperfunktionen passieren wird. Damit kommt den Inneren Uhren eine ganz wesentliche Rolle für eine der äußeren Umwelt angepasste zeitliche Strukturierung der Körperfunktionen zu: Sie helfen allen Lebewesen, sich besser an die Umwelt anzupassen – und damit, besser zu überleben.

Da die Inneren Uhren biologische Nervenstrukturen sind, lassen sie sich nicht sofort umstellen wie eine Armbanduhr. Dies wird für den Menschen deutlich, wenn sich seine Umweltbedingungen schnell ändern, so bei Schichtarbeit, nach Flügen über mehrere Zeitzonen nach Osten oder Westen – dabei tritt die Jet-lag Symptomatik auf – oder auch, wenn die äußeren Uhren im Verhältnis zu den Inneren Uhren des Körpers abrupt umgestellt werden, wie bei der Umstellung auf Sommer- beziehungsweise Winterzeit. Untersuchungen nach transkontinentalen Flügen, zum Beispiel von Frankfurt nach New York über sechs Zeitzonen, haben gezeigt, dass im Durchschnitt sechs Tage vergehen, bis eine Anpassung der Körperrhythmen an die New Yorker Zeit geschehen ist, mit einer erstaunlichen Variation von Mensch zu Mensch zwischen zwei und 17 Tagen. Dies verdeutlicht erneut: Innere Uhren sind lebende Strukturen, die Zeit zur Anpassung an eine Zeitumstellung brauchen.

Von den meisten Menschen wird eine Zeitumstellung von einer Stunde kaum wahrgenommen. Aufgrund der geschilderten großen interindividuellen Empfindlichkeit können jedoch „zeitsensiblere“ Personen zwei bis drei Tage brauchen, um den „inneren“ Übergang von der Sommer- auf die Winterzeit zu vollziehen. Aus England liegen Daten vor, die nachweisen, dass in den ersten beiden Tagen nach Zeitumstellung vermehrt Verkehrsunfälle zu verzeichnen sind.

Wenig bekannt ist, dass wir vor kaum mehr als hundert Jahren noch im Einklang mit dem Sonnentag lebten. Erst 1893 wurde im Deutschen Reich die einheitliche Zeitzone einer Mitteleuropäischen Zeit eingeführt, vor allem bedingt durch die nun den Kontinent durchquerenden Eisenbahnen. Ein verlässlicher Reisezeitplan bedingte die Abschaffung der lokalen Kirchturmzeit, die der Sonnentag vorgab. Ein Reiseführer der Schweiz (Tschudi’s Schweiz) gibt noch 1888 minutengenau die Uhrzeiten europäischer Großstädte im Vergleich zur den Schweizer Bahnen an. Demnach entspricht 12:00 Uhr in der Schweiz 12:04 in Karlsruhe, 12:07 in Stuttgart, 12:24 in Berlin, 11:58 in Köln und 11:30 in London und 12:54 in Warschau.

So sollten wir auch bei der kleinen Zeitumstellung von der Sommerzeit auf die Winterzeit tolerant mit unseren Inneren Uhren umgehen und deren langsame Umstellung respektieren.

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Klaus Wingen idw

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