Der Mikrokosmos im Meeresboden

In einem Artikel, den das Wissenschaftsmagazin Nature am gestrigen Sonntag, 20. Juli 2008, vorab online veröffentlichte, befassen sich MARUM-Wissenschaftler mit der Bedeutung der erst vor wenigen Jahren entdeckten Mikroben im Ozeangrund.

Gemeinsam mit japanischen Kollegen weisen sie nach, dass – umgerechnet in Kohlenstoff – die Ablagerungen am Meeresboden etwa 90 Milliarden Tonnen mikrobielles Leben bergen. Das ist etwa ein Zehntel der Kohlenstoffmenge, die die tropischen Regenwälder speichern. Basierend auf neuen methodischen Ansätzen kam das deutsch-japanische Team außerdem zu dem Schluss, dass nicht, wie bislang angenommen, Bakterien die Biosphäre unter den Ozeanen dominieren. Vielmehr stammten mindestens 87 Prozent der untersuchten Zellbestandteile von Archaeen. Die bremisch-japanische Arbeit wirft somit ein völlig neues Licht auf die Zusammensetzung der Biosphäre unseres Planeten.

Das Team um Prof. Kai-Uwe Hinrichs untersuchte Sedimentproben aus mehreren Hundert Metern Tiefe. Die Meeresablagerungen stammen aus dem Atlantik, Pazifik, und dem Schwarzen Meer und wurden u.a. im Rahmen des Integrierten Ozeanbohr-Programms IODP erbohrt. Die Wissenschaftler verfolgten zwei Ziele: „Wir wollten herausfinden, welche Mikroorganismen den Meeresboden besiedeln und wie viele es davon gibt“, sagt der Biogeochemiker Kai-Uwe Hinrichs.

Lange Zeit glaubten Wissenschaftler, dass Leben im Meeresboden nicht möglich sei. Zu extrem sind die Bedingungen: hoher Druck, kein Sauerstoff, geringes Nährstoffangebot. Inzwischen ist klar: es gibt eine tiefe Biosphäre. „Generell wird das Leben am und im Meeresboden von winzigen einzelligen Organismen bestimmt. Unseren Analysen zufolge dominieren in den obersten zehn Zentimetern des Meeresbodens Bakterien. Darunter beginnt das Reich der Archaeen“, sagt Julius Lipp, der den Nature-Artikel im Rahmen seiner kürzlich abgeschlossenen Doktorarbeit publiziert.

Der Studie zufolge stellen Archaeen mindestens 87 Prozent der in der tiefen Biosphäre lebenden Einzeller. „Die Archaeen sind sozusagen die Hungerkünstler im Meeresboden. Ihre einzige Nahrungsquelle sind Überreste von Pflanzen, die schon von vielen Generationen von Mikroorganismen genutzt wurden Aufgrund der Struktur ihrer Zellmembranen benötigen sie vermutlich weniger Energie zum Überleben als Bakterien und sind daher besser an die dürftigen Umweltbedingungen angepasst“, sagt Julius Lipp.

Archaeen bilden neben Bakterien eine von drei Grundkategorien, in die Lebewesen eingeteilt werden. Unterschieden werden die beiden Gruppen u.a. an Hand von fettartigen Zellwandbausteinen, den so genannten Lipiden, nach denen das Team in den Meeresablagerungen suchte.

Aktuelle Schätzungen, wie viel mikrobielle Biomasse weltweit im Meeresboden vorhanden ist, schwanken zwischen 60 und 300 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. „Auf der Grundlage unserer auf unabhängigen Messungen resultierenden Berechnungen kommen wir auf rund 90 Milliarden Tonnen Kohlenstoff; ein Betrag, der genau in diesem Bereich liegt“, sagt Prof. Kai-Uwe Hinrichs, Leiter der Arbeitsgruppe Organische Geochemie im Bremer Fachbereich Geowissenschaften und MARUM. Dabei gehen die Autoren davon aus, dass den Mikroorganismen weltweit etwa 200 Millionen Kubikkilometer Meeresboden als Lebensraum zur Verfügung stehen. Das entspricht dem Inhalt eines Würfels mit einer Kantenlänge von rund 600 Kilometer Kantenlänge.

Weil die Angaben zur Menge und Zusammensetzung der Biomasse in der tiefen Biosphäre je nach Analysemethode stark schwanken, hat Prof. Hinrichs ein internationales Ring-Experiment initiiert. Wissenschaftler in deutschen, europäischen, US-amerikanischen und japanischen Labors untersuchen derzeit einheitliches Probenmaterial aus dem Meeresboden mit unterschiedlichen Methoden. Zudem wollen sie herausfinden, ob gleiche Methoden in unterschiedlichen Labors möglicherweise zu abweichenden Ergebnissen führen. Ziel ist es, ein verlässlicheres Bild vom Leben in der tiefen Biosphäre zu gewinnen. Auf einem Workshop, der im kommenden September am Bremer MARUM stattfindet, werden die Befunde vorgestellt und diskutiert. „Damit bringen wir wieder ein bisschen mehr Licht in das Dunkel der tiefen Biosphäre“, hofft Prof. Kai-Uwe Hinrichs.

Weitere Informationen/Interviewanfragen/Bildmaterial:

Yasmin Khalil
MARUM-Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 0421 – 218-65541
Email: ykhalil@marum.de
Prof. Kai-Uwe Hinrichs
MARUM – Organische Geochemie
Tel. 0421 – 218-65700
Email: khinrichs@uni-bremen.de

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Yasmin Khalil idw

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