Professor Robert Weinberg: Krebsforschung sieht klarer bei Metastasenbildung

Grund dafür ist laut Prof. Weinberg, dass Krebsforscher in den vergangenen Jahren eine Reihe von Transkriptionsfaktoren entdeckt haben. Das sind Proteine, die Gene an- und ausschalten und die, wie die Forschung inzwischen gezeigt hat, auch bei der Entstehung von Metastasen beteiligt sind.

„Transkriptionsfaktoren können“, so der amerikanische Krebsforscher, „in höchst bösartigen Krebszellen agieren und viele Eigenschaften dieser Zellen umprogrammieren. Aber auch die Krebszellen selbst sind in der Lage, eine relative kleine Anzahl von Schlüsselkontrollgenen anzuschalten und sie für ihre Zwecke auszubeuten“, sagte er. Diese Kontrollgene spielen normalerweise bei der Entwicklung des Körpers eine wichtige Rolle.

Prof. Weinberg, der auch am Massachusetts Institute of Technology (MIT), ebenfalls in Cambridge, USA, lehrt, gilt als Pionier der Krebsforschung. Er entdeckte das erste Krebsgen beim Menschen, das gesunde Zellen in Tumorzellen umwandelt, sowie das erste Tumorsuppressorgen, das ebenfalls Krebs auslösen kann, wenn es verändert ist.

2007 starben nach einer Statistik der Amerikanischen Krebsgesellschaft fast 560 000 Amerikaner und mehr als 1,8 Millionen Europäer an Krebs. Prof. Weinberg wies darauf hin, dass die Mehrheit dieser Patienten ihren Metastasen erlagen, also Krebszellen, die sich vom Ursprungstumor losgelöst und weit entfernt in anderen Organen angesiedelt haben. „Nur zehn Prozent der Patienten sterben an ihrem Ersttumor.“

Die Mehrzahl der lebensgefährlichen Tumore, etwa 80 Prozent, entsteht in Gewebe, das aus Epithelzellen besteht. Epithelzellen kleiden innere Organe aus wie Brustdrüsen, Darm, Prostata oder Blut- und Lymphgefäße. Zu den Epithelzellen gehören aber auch die Hautzellen, die die äußere Schutzschicht des Körpers bilden. Wie gelingt es jedoch einzelnen Krebszellen sich vom Ersttumor zu lösen und „über die Autobahnen des Körpers, den Blut- und Lympgefäßen“, wie Prof. Weinberg formulierte, sich neue Stellen im Körper zu suchen und dort anzusiedeln?

Krebszelle drastisch verändert – Auffallende Ähnlichkeit mit Embryonalentwicklung und Wundheilung

Forschungen der jüngsten Zeit deuten darauf hin, dass ein biologischer Vorgang, den die Forscher epitheliale-mesenchymale Transition (EMT) nennen, die bis zu diesem Zeitpunkt festsitzenden, unbeweglichen Krebszellen drastisch verändert. „EMT bedeutet für die Zelle eine tiefgehende biologische Veränderung, bei der sie all ihre Eigenschaften einer Epithelzelle verliert. Damit ändert sich auch das Regelwerk, nach dem Gene dieser Zelle an- und abgeschaltet werden“, erläuterte Prof. Weinberg. „Stattdessen nimmt die Krebszelle die Eigenschaften einer Mesenchymzelle an.“ Das bedeutet sie hat sich auf eine frühere Entwicklungsstufe zurückentwickelt. Das macht sie mobil. „Dieser pathologische Vorgang ähnelt auffallend der EMT, die normalerweise während der Embryonalentwicklung oder bei der Wundheilung auftritt“, betonte Prof. Weinberg.

Ohne Zellkitt

Die umprogrammierte, zur Mesenchymzelle gewordene Krebszelle, verliert dabei auch noch ihren Zellkitt, der sie bis dahin fest mit den Zellen um sie herum verbunden hat. Diesen Kitt bilden normalerweise Proteine wie etwa E-cadherin oder beta-Catenin, deren Bildung in der Mesenchymzelle unterdrückt wird. Jetzt kann die frei bewegliche Zelle das sie umgebende Gewebe durchdringen, Blut- und Lymphgefäße durchbohren, in ihnen im Körper vordringen, sie wieder veranlassen und in anderen Organen ansiedeln.

So wichtig die Erkenntnisse über die Rolle der EMT für die Bildung von Metastasen sind, auch dieses Transformationsprogramm ist möglicherweise nur ein neues Puzzlestück. „Denn es ist immer noch unklar“, so Prof. Weinberg, „ob allen bösartigen Karzinomzellen EMT zugrunde liegt, oder ob es alternative Programme gibt, die die Krebszellen dazu befähigen, Metastasen zu bilden und im Körper zu streuen“.

Viele weitere Fragen sind ebenfalls noch immer offen: Weshalb bilden sich bei Brustkrebs Metastasen vor allem im Gehirn, der Leber, den Knochen und den Lungen, während bei Prostatakrebs die Metastasen hauptsächlich in den Knochen streuen und bei Dickdarmkrebs in der Leber? Weshalb bilden winzigste Metastasen (Mikrometastasen) häufig erst nach vielen Jahren große Metastasen, die schließlich für den Patienten tödlich sind? Und weshalb bilden manche Krebsarten überhaupt keine Metastasen?

Zu dem Kongress sind 160 Krebsforscher aus mehreren europäischen Ländern sowie Israel, Japan, den USA, Singapur, und der Türkei nach Berlin gekommen, um bis zum 29. März über neueste Erkenntnisse zur Entstehung und Ausbreitung von Metastasen zu diskutieren. Organisatoren des Kongresses sind Prof. Walter Birchmeier und Dr. Ulrike Ziebold vom MDC und Prof. Jürgen Behrens (Universität Erlangen). Prof. Birchmeier sowie Prof. Behrens haben in den vergangenen Jahren gemeinsam bedeutende Forschungsergebnisse über die Bildung von Metastasen erzielt. Sie sind zudem Koordinatoren des Förderschwerpunktprogramms „Zelladhäsion, Invasion und Metastasierung“, das die Deutsche Krebshilfe im Jahr 2003 initiiert hat und bis Ende 2008 mit rund zehn Millionen Euro fördert. Die Deutsche Krebshilfe sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützen diesen Kongress.

Barbara Bachtler
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