Künstliche microRNAs in der Pflanzenzüchtung

Ein deutlich sichtbarer Aspekt des Verlustes der Genfunktion von Eui1 ist das stark verlängerte obere Internodium, der Teil des Stieles der die Blüten (Panikel) trägt. Bild: Norman Warthmann/MPI für Entwicklungsbiologie

Reis wird fast überall auf der Welt angebaut: In 89 Ländern auf sechs der sieben Kontinente stehen Reisfelder. Für rund die Hälfte der Weltbevölkerung ist Reis das wichtigste Grundnahrungsmittel, und die vielen verschiedenen Reissorten werden ständig durch Züchtung verbessert. Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen ist es nun in Kooperation mit Kollegen vom International Rice Research Institute auf den Philippinnen gelungen, mit künstlich erzeugten kleinen RNA-Molekülen Züchtungsprozesse erheblich zu beschleunigen. (PLoS One, 19. März 2008)

Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Reiszüchter und eines Tages entdecken Sie in Ihrem Feld eine Pflanze mit genau jenen Eigenschaften, nach denen Sie schon immer gesucht haben. Freudestrahlend nehmen Sie die Pflanze mit in Ihr Labor, wo Sie herausfinden, dass diese spontane und nutzbringende Veränderung auf der Inaktivierung eines einzelnen Gens beruht. Das ist eine großartige Entdeckung – allerdings stellt sich nun die Frage, wie sich dieses inaktivierte Gen auch auf andere Reissorten übertragen lässt. Weltweit gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Reissorten, die sehr gut angepasst sind an die jeweilige Region, in der sie wachsen. Normalerweise dauert es Jahre, um im Rahmen konventioneller Züchtung ein einzelnes Gen zu übertragen ohne all die anderen Gene zu beeinträchtigen, die für die Anpassung der jeweiligen Reissorte an den lokalen Standort verantwortlich sind. Wäre es nicht großartig, wenn das viel schneller ginge?

Inaktivierte Gene in der Reiszüchtung einsetzen zu wollen, klingt weit hergeholt, ist aber tatsächlich nicht unüblich. So beruhen die maßgeblichen Veränderungen, die zur Grünen Revolution beim Reis geführt haben, auf dem Verlust eines Gens, das die Reispflanzen hoch wachsen lässt (und dadurch abknicken lässt, wenn sie viele schwere Reiskörner tragen). Daher sind Reiszüchter an der Übertragung inaktivierter Gene sehr interessiert.

Forscher vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen haben zusammen mit ihren Kollegen vom International Rice Research Institute auf den Philippinen ein neues Werkzeug entwickelt, das die Züchtung von Reissorten mit spezifischen Eigenschaften enorm beschleunigen könnte. Wie Norman Warthmann und seine Mitarbeiter zeigen konnten, lassen sich Gene nämlich gezielt durch sogenannte künstliche microRNAs stumm schalten.

Bei microRNAs handelt es sich um kleine 20 bis 22 Basenpaare lange RNA-Moleküle. Sowohl in Pflanzen als auch in Tieren übernehmen diese microRNAs wichtige Aufgaben bei der Regulation von Genen. Indem sie an die komplementäre Basensequenz einer Boten-RNA binden (von den Wissenschaftlern als RNA-Interferenz bezeichnet), verhindern sie deren Übersetzung in das entsprechende Protein. Das Gen wird auf diese Weise quasi stumm geschaltet, der Ablauf ganzer Signalketten verändert. Mit künstlichen microRNAs (amiRNAs, englisch: artificial micro RNAs) kann man diesen natürlichen Weg des Stummschaltens nutzen, um Gene, die für den Züchter von Interesse sind, zu inaktivieren – und zwar mit beispielloser Spezifität.

Die Arbeitsgruppe von Detlef Weigel, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, hat diese Technik an der Modellpflanze Arabidopsis thaliana entwickelt und erstmalig eingesetzt. Die Fülle an Einsatzmöglichkeiten in der Landwirtschaft hat die Forscher nun dazu bewogen, diese Methode auch an Reispflanzen auszuprobieren, unter anderem am Gen Eui1. Wenn dieses Gen inaktiv ist, werden der oberste Stiel der Reispflanze und Teile der Reisblüte länger (Abb. 1) und die Pflanze kann so leichter benachbarte Pflanzen bestäuben. Züchter nutzen diesen genetischen Trick jedoch, um hybride Samen zu produzieren.

Ursprünglich als spontane Mutation in einer japanischen Reisvariante entdeckt, wurde die eui1-Mutation in jahrelanger Züchtung auf Indica-Sorten übertragen. Mit künstlicher microRNA, die gegen die Boten-RNA des Eui1-Gens gerichtet ist, konnten die Forscher des International Rice Research Institute innerhalb von Wochen bei zwei verschiedenen Reissorten Pflanzen mit der gewünschten Eigenschaft erzeugen, und zwar einschließlich der landwirtschaftlich bedeutenden Indica-Sorte IR64, eine der Hauptanbausorten in Südostasien. Auch zwei weitere Gene (Pds und Spl11) ließen sich auf diese Weise erfolgreich stumm schalten.

„Durch künstliche microRNAs können wir nicht nur eine reduzierte Genfunktion schnell auf andere Sorten und sogar Spezies übertragen“, sagt Norman Warthmann, „auch die Identifizierung wichtiger Gene und die Entdeckung neuer Genfunktionen wird sich damit beschleunigen.“ Die Anwendungen in der Reiszüchtung sind vielfältig und enden nicht bei Reis-Genen: So könnte es gelingen, die Abwehr von Krankheitserregern und Fraßschädlingen zu verstärken, indem man die von Pathogenen abgeleiteten Gene ausschaltet.

„In allen bisher untersuchten Pflanzenarten sind microRNAs gefunden worden. Es sollte daher möglich sein, diese Technik auch auf andere Nutzpflanzen zu übertragen“, sagt Detlef Weigel, „damit eröffnet sich ein ganz neuer Weg, um den Nährwert von Pflanzen und den landwirtschaftlichen Ertrag zu steigern.“

Originalveröffentlichung:

Warthmann N, Chen H, Ossowski S, Weigel D, Hervé P
Highly Specific Gene Silencing by Artificial miRNAs in Rice
PLoS ONE 3(3): e1829. doi:10.1371/journal.pone.0001829

Media Contact

Dr. Bernd Wirsing Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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