Im Archiv der Wasserflöhe: Dauerstadien erlauben Blick auf Evolutionsprozesse im Klimawandel

Daphnia galeata mit Dauerei (Ephippium<br>© Nora Brede <br>

So ist es möglich, Genome einer Spezies aus unterschiedlichen Jahrzehnten zu vergleichen. Wissenschaftler des Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) weisen jetzt in einem in Trends of Ecology & Evolution (TREE) erschienen Artikel darauf hin, dass in den Dauerstadien mehr steckt als nur eine Abbildung der Vergangenheit: Wasserflöhe und andere Arten archivieren, wie Evolution auf der Ebene der Gene wirkt und zeigen, wie Klimawandel und Umweltveränderungen auch in Zukunft Arten verändern können.

Sie trotzen Nahrungsknappheit und widrigen Umweltbedingungen durch Abwarten und Nichtstun: Samen, Sporen, Zysten und Dauereier können Jahre, manche sogar Jahrzehnte „ruhen“, bevor sie schlüpfen oder keimen und zu vollständigen Organismen heranwachsen. Während dieser Wartezeit, der sogenannten Dormanz, bleibt die genetische Ausstattung im Inneren intakt, und so stellt jede einzelne Dauerform jeweils einen Schnappschuss aus dem Evolutionsgeschehen dieser Art dar. Diese Sammlung genetischer Momentaufnahmen lagert sich in Erdschichten und in Seesediment zu biologischen Archiven ab. An diesen können Wissenschaftler die Wirkung von Umweltbedingungen auf die Evolution einzelner Arten studieren. Bisher wurde dabei in die Vergangenheit geblickt. Mit Hilfe der Dauerformen sind nun auch Prognosen möglich, wie sich Klimawandel und Umweltveränderungen auf Evolutionsprozesse solcher Arten auswirken können.

Mit Wasserflöhen in die Zukunft blicken

In dem nun veröffentlichen Artikel „The evolutionary time machine: using dormant propagules to forecast how populations can adapt to changing environments” zeigen die Autoren anhand der Dauereier von Wasserflöhen (Daphnien), dass genomische Untersuchungen nicht nur eine detaillierte Rekonstruktion der Vergangenheit einer Spezies ermöglichen. Aus vergangenen Anpassungsprozessen lässt sich auf generelle Anpassungsmechanismen und das Adaptationspotenzial einer Art an veränderte Umweltbedingungen schließen. Relevant dafür sind nicht nur die genetischen Grundlagen, sondern auch ökologische Merkmale und die relative Fitness. Auch Umweltverschmutzung und Klimawandel bilden sich in den Genen ab, denn sie beeinflussen die Evolution einer Spezies.

Hier tun sich einzigartige Chancen für die Wissenschaft auf, denn das jahrzehntealte Forschungsmaterial lässt sich wieder zum Leben erwecken: „Wir können nicht nur das Genom der Art zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit untersuchen, sondern die komplette Evolutionsgeschichte über längere Zeiträume nachvollziehen“, berichtet Prof. Dr. Klaus Schwenk vom Biodiversität und Klimaforschungszentrum (BiK-F), und erläutert weiter: „Denn wir können alles messen, wie zum Beispiel Morphologie und Fitness der erwachsenen Individuen. Es gibt kein anderes biologisches System, dass uns solche Einblicke erlaubt.“

Genetik, Genomik und die Wiedererweckungsökologie

Geeignete Datierungsmethoden enthüllen das Alter der Dauerstadien in einer Erd- oder Schlammschicht. So zeigt sich z.B., zu welchem Zeitpunkt welche Arten vorkamen und wie sich die Artenzusammensetzung an dem Standort über die Zeit verändert hat. Dieser klassische Ansatz der Paläobiologie wurde in den letzten Jahren entscheidend erweitert. Zusätzlich zu den genetischen Veränderungen lassen sich in den zum Schlüpfen gebrachten Individuen auch die morphologischen und ökologischen Anpassungen von Populationen untersuchen. So konnte z.B. gezeigt werden, dass die Eutrophierung der Seen, eine vom Menschen verursachte ökologische Veränderung, nachhaltige evolutive Veränderungen in natürlichen Wasserfloh-Populationen der betroffenen Gewässer bedingt haben.

Studie:
Orsini, L., K. Schwenk, L. De Meester, J. K. Colbourne, M. E. Pfrender, and L. J. Weider: The evolutionary time machine: using dormant propagules to forecast how populations can adapt to changing environments. – Trends in Ecology & Evolution. Volume 28, Issue 5.
DOI 10.1016/j.tree.2013.01.009

Pressebilder unter
http://www.bik-f.de/root/index.php?page_id=32&ID=664&year=0

Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:
Professor Dr. Klaus Schwenk
Institut of Environmental Science
Universität Koblenz-Landau
Tel. + 49 (0)6341 28031 223
schwenk@uni-landau.de

oder

Dr. Julia Krohmer
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F),
Transferstelle
Tel. 49 (0)69 7542 1837
julia.krohmer@senckenberg.de

LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Frankfurt am Main
Mit dem Ziel, anhand eines breit angelegten Methodenspektrums die komplexen Wechselwirkungen von Biodiversität und Klima zu entschlüsseln, wird das Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK‐F) seit 2008 im Rahmen der hessischen Landes‐ Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe Universität Frankfurt sowie weitere direkt eingebundene Partner kooperieren eng mit regionalen, nationalen und internationalen Akteuren aus Wissenschaft, Ressourcen‐ und Umweltmanagement, um Projektionen für die Zukunft zu entwickeln und wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für ein nachhaltiges Handeln zu geben.

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Sabine Wendler Senckenberg

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