Alle Erreger, stillgestanden! – Mit Thrombosen gegen Infektionen kämpfen

Ein Team um Engelmann konnte nun zeigen, dass zwischen der Blutgerinnung und der Abwehr von Pathogenen ein enger Zusammenhang besteht – und die Neutrophilen ein wichtiges Bindeglied sind. „Diese Immunzellen lösen bei systemischen Infektionen gezielt die Bildung harmloser Blutgerinnsel in kleinen Gefäßen aus, um die Ausbreitung der Erreger zu stoppen“, sagt Engelmann.

„Insgesamt lassen die Ergebnisse vermuten, dass Thrombosen ein physiologisches Mittel in der Abwehr von Infektionen sein können. Nur wenn Blutgerinnsel irrtümlich und ohne Pathogene in größeren Gefäßen entstehen, drohen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Unsere Ergebnisse liefern möglicherweise neuartige therapeutische Ansatzpunkte zur Unterdrückung pathologischer Thrombosen.“ (Nature Medicine online, 1. August 2010)

Die Arthropoden oder Gliederfüßer sind der artenreichste Stamm des Tierreichs, zu dem unter anderem die Insekten und die Spinnentiere gehören. Gemein ist allen Arthropoden, dass sie nur über eine angeborene Immunität verfügen. Diese eher unspezifische Abwehr kann unter anderem entzündliche Reaktionen auslösen, um Krankheitserreger abzuwehren. Dazu kann die Hämolymphe, also die Körperflüssigkeit der Arthropoden, Gerinnsel bilden und so extrem effektiv das Eindringen von Erregern in den Kreislauf und in Zellen verhindern. Auch die Säugetiere und damit der Mensch verfügen über eine angeborene Immunabwehr, die sehr schnell auf eingedrungene Erreger reagiert. Es wurde vermutet, dass auch hier ein Zusammenhang zwischen der Blutgerinnung und der Abwehr von Keimen besteht.

Das Team um Professor Bernd Engelmann vom Institut für Klinische Chemie der LMU München hat sich zusammen mit Professor Steffen Massberg von der TU München in der vorliegenden Studie auf wichtige Abwehrzellen des Blutes, die Neutrophilen, konzentriert. Diese Immunzellen gehören zur angeborenen Körperabwehr und akkumulieren zusammen mit den Blutplättchen sehr schnell, wenn eine Wunde vorliegt. „Die Neutrophile produzieren antimikrobielle Faktoren“, sagt Engelmann. „Sie spielen aber auch bei der Blutgerinnung eine Rolle. Wir haben vermutet, dass diese duale Funktion ein in der Entwicklungsgeschichte konservierter Prozess ist, der die Blutgerinnung und die Abwehr von Mikroben verbindet.“

Die Untersuchung zeigte, dass eben diese antimikrobiellen Faktoren – vor allem sogenannte Serin-Proteasen – auch die Blutgerinnung und damit die Bildung von Thrombosen in Gefäßen fördern. Während einer systemischen Infektion, die den gesamten Organismus erfasst, werden die Bakterien durch winzige Blutgerinnseln in kleinen Lebergefäßen eingeschlossen, wo die Thromben vermutlich keinen Schaden anrichten können. Wie sich zeigte, erfüllen die Ministöpsel ihren Zweck: Das Eindringen der Erreger in das Gewebe konnte weitgehend verhindert werden. „Insgesamt lassen die Ergebnisse vermuten, dass Thrombosen ein physiologisches Mittel in der Abwehr von Mikroben sein können“, so Engelmann. „Die Aktivierung der Blutgerinnung ist wahrscheinlich sogar ein wichtiger und weit verbreiteter Abwehrmechanismus.“

Problematisch wird der Prozess nur, wenn er in großen Blutgefäßen zur Bildung von Thrombosen beiträgt. „Denn Thrombosen sind der wichtigste Auslöser von Herzinfarkt, Schlaganfall, Lungenembolien, aber auch von den lebensgefährlichen Spätfolgen einer Sepsis und mancher Infektionen“, sagt Engelmann. „Die arterielle Thrombose ist – als Folge verschiedener Erkrankungen – sogar eine der wichtigsten Todesursache weltweit. Unsere Ergebnisse zeigen einmal mehr, dass die Unterdrückung pathologischer Thromben ein herausragendes Behandlungsziel bei vielen Erkrankungen sein muss.“ Die Resultate könnten aber auch bei der Suche nach Behandlungsansätzen helfen. Schließlich haben sie erwiesen, dass dieselben molekularen Mechanismen zur Bildung physiologisch wichtiger und pathologischer Blutgerinnsel führen, was neue therapeutische Angriffspunkte liefern könnte.“ (suwe)

Publikation:
„Reciprocal coupling of coagulation and innate immunity via neutrophil serine proteases“
Steffen Massberg et.al
Nature Medicine, 1. August 2010
DOI: 10.1038/nm.2184
Ansprechpartner:
Professor Bernd Engelmann
Institut für Klinische Chemie der LMU
Tel.: 089 / 7095 – 3243
Fax: 089 / 7095 – 6220
E-Mail: bernd.engelmann@med.uni-muenchen.de

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Luise Dirscherl idw

Weitere Informationen:

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