Warum die Sprachkompetenz mehrsprachiger Kinder oft falsch eingeschätzt wird

Diese Frage beschäftigt pädagogische Fachkräfte, Kinderärzte und Eltern besonders in der Übergangsphase vom Kindergarten in die Grundschule.

Bei Kindern, die mit mehreren Sprachen aufwachsen, ist die Gefahr ihre sprachlichen Fähigkeiten falsch einzuschätzen, besonders groß. Das Frankfurter Projekt „cammino – Mehrsprachigkeit am Übergang von Kita zur Grundschule“ unter der Leitung von Prof. Petra Schulz und Dr. Angela Grimm erfasst, wie der jeweilige Sprachstand von den Beteiligten beurteilt wird.

Die Wissenschaftlerinnen hoffen, dass ihre Erkenntnisse einen Beitrag dazu leisten, dass in Zukunft weniger mehrsprachige Kinder in ihrem Sprachvermögen falsch eingeschätzt werden. „cammino“ wird in den kommenden zwei Jahren mit 300.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

In der Praxis steht meist wenig Zeit zur Verfügung, um die sprachlichen Fähigkeiten von Kindern zu erfassen. Schon für Kinder, die mit nur einer Sprache aufwachsen, stellt die Beurteilung der Sprachkompetenz Erzieher, Lehrer sowie Ärzte vor große Herausforderungen. „Umso mehr gilt dies für mehrsprachige Kinder; bei dem gegenwärtigen Kenntnisstand lässt sich eine Über- oder Unterschätzung ihrer sprachlichen Fähigkeiten häufig nicht vermeiden“, sagt Petra Schulz, die seit 2006 die Professur für Deutsch als Zweitsprache an der Goethe-Universität inne hat. „Gleichzeitig bergen auch standardisierte Tests die Gefahr einer Fehleinschätzung, zumal wenn sie nicht für mehrsprachige Kinder konzipiert sind.“ Für die Kinder und ihren weiteren Bildungsweg können Fehldiagnosen schwerwiegende Folgen haben, da z.B. Sprachförderung an ihren tatsächlichen Fähigkeiten vorbeigehen kann.

Wie die Praxis aussieht und wie viele Kinder tatsächlich von Fehleinschätzungen betroffen sind, ist bisher noch weitgehend unerforscht. Dies will das Forschungsprojekt „cammino“ (italienisch „Weg“) nun in zwei Teilstudien leisten. In der ersten Studie soll untersucht werden, wie die verschiedenen Verantwortlichen den Sprachstand von Kindern zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr bewerten. Kernfragen des Forschungsprojekts sind: Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten kennzeichnen die Beurteilung der Sprachentwicklung in den kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen, in der Schuleingangsuntersuchung, bei der Schulanmeldung, in Kindertagesstätten und durch die Eltern? Wie differenzieren diese verschiedenen Beteiligten zwischen mehrsprachigen Kindern mit einem typischen Zweitspracherwerb und Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen? Um dies zu ermitteln, wird das Team, zu dem auch Barbara Geist und Barbara Voet Cornelli gehören, insgesamt 100 Verantwortliche nach ihrem Vorgehen bei der Erfassung des Sprachstandes befragen. In der zweiten Teilstudie vergleichen die Sprachwissenschaftlerinnen die Sprachkompetenz mehrsprachiger Kinder mit den Beurteilungen der beteiligten Akteure. Dazu werden 120 Kindern von der Kindertagesstätte bis in die erste Klasse in den Blick genommen.

Das Projekt „cammino“ ergänzt die Forschung im Bereich Deutsch als Zweitsprache an der Goethe-Universität. So wird unter anderem der gemeinsam mit Prof. Rosemarie Tracy (Universität Mannheim) entwickelte Sprachtest LiSe-DaZ eingesetzt, der im Sommer im Hogrefe Verlag erscheint. Auch mit dem Projekt MILA, einem Teilprojekt des Frankfurter IDeA-Forschungszentrums, findet eine enge Kooperation statt: So werden in MILA entwickelte Aufgaben zur Diagnostik von Sprachauffälligkeiten auch in dem neuen „cammino“-Projekt eingesetzt.

Informationen: Prof. Petra Schulz und Dr. Angela Grimm, Barbara Geist, Institut für Psycholinguistik und Didaktik der deutschen Sprache, Campus Westend, Tel. (069)798-33124, p.schulz@em.uni-frankfurt.de, geist@em.uni-frankfurt.de

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Ulrike Jaspers idw

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