EU-Forschungsprojekt MatheMACS untersucht die Eigenschaften komplexer Systeme

Das Projekt MatheMACS „Mathematics of Multi-level Anticipatory Complex Systems“ vereint Wissenschaftler aus Deutschland, Schweden, Frankreich und Italien.

Gemeinsam mit den Leipziger Wissenschaftlern arbeiten sie an einer mathematischen Theorie zur Beschreibung komplexer vielschichtiger Systeme und deren Dynamik. In der vergangenen Woche fand am Institut das Auftaktmeeting zum Start des auf drei Jahre angelegten Projektes statt.

Komplexe Systeme sind Teil unseres Alltags und finden sich in vielen Bereichen des menschlichen Lebens, sei es in der Biologie, Soziologie, Ökonomie oder Medizin – vom menschlichen Gehirn mit seinen vielfach verknüpften Neuronen, über ökologische Systeme, Immunsysteme, politische Parteien bis hin zu den zahlreichen kulturellen und sozialen Gemeinschaften unserer Gesellschaft. Dabei zeichnen sich komplexe Systeme durch eine große Anzahl einzelner Subkomponenten aus. Eingebettet in eine Umgebung bilden sie durch ihr Zusammenspiel und ihre Wechselwirkung eine Funktionseinheit und streben einen möglichst stabilen Zustand an. Selbstorganisierende und selbstregulierende Eigenschaften ermöglichen diesen Systemen die Bildung stabiler Strukturen und die Fähigkeit, ein inneres Gleichgewicht zu erhalten. Wechselwirkungen zwischen verschiedensten Komponenten des Systems und kleinste Störungen können jedoch auch weitreichende Auswirkungen haben.

Im Projekt MatheMACS sollen insbesondere komplexe Systeme untersucht werden, die sich durch eine vielschichtige hierarchische Struktur auszeichnen – vergleichbar mit einer weit verzweigten Unternehmensstruktur mit Leitungsebene, Abteilungen, Unterabteilungen bis hin zum einzelnen Mitarbeiter. Im Fokus der Mathematiker stehen dabei die unterschiedlichsten Ebenen komplexer Systeme und deren zeitliches und räumliches Verhalten zueinander. Anhand der Untersuchung schon bekannter Strukturen erhoffen sich die Wissenschaftler, besonders bedeutsame und auch zusätzliche Ebenen zu identifizieren, welche für die Funktionsweise des Gesamtsystems verantwortlich sind.

Um den theoretischen Rahmen eng mit praktischen Anwendungen zu verknüpfen, untersucht MatheMACS insbesondere drei Hauptbereiche komplexer Systeme: die Neurobiologie, die menschliche Kommunikation und die Ökonomie. Die Wissenschaftler betrachten diese Bereiche jedoch keinesfalls isoliert, sondern suchen nach vereinigenden Prinzipien und Konzepten. Die Ökonomie als Gesamtsystem führt hin zum Zusammenspiel einzelner Unternehmen, welche wiederum durch ihre Mitarbeiter mit ihren kognitiven Fähigkeiten und deren Kommunikation gekennzeichnet sind. Auf Basis dieser übergreifenden Betrachtungsweise versuchen die Wissenschaftler, eine allgemeingültige mathematische Theorie vielschichtiger antizipatorischer komplexer Systeme zu entwickeln.

Die Bereiche Neurobiologie, menschliche Kommunikation und Ökonomie liefern den Wissenschaftlern bestens bekannte Beispiele komplexer vielschichtiger Systeme. Andererseits sind sie auch sehr gut als Testfelder geeignet, um die Allgemeingültigkeit mathematischer Theorien zu überprüfen, da sie eine breite Spanne von räumlichen und zeitlichen Skalen enthalten. Zudem haben die drei genannten Systeme einen sehr bedeutsamen gemeinsamen Aspekt: ihre Komplexität und ihre selbstorganisierenden Eigenschaften entspringen vorausblickenden und vorwegnehmenden Aktionen der in ihnen enthaltenen Einheiten. Das MatheMACS-Projekt schreibt diesen Konzepten von Antizipation und Prädiktion eine besondere Bedeutung zu und arbeitet an deren mathematischer Modellierung.

Um die allgemeine Gültigkeit der theoretischen Ergebnisse anhand reeller Daten zu überprüfen, erhält das Projekt exklusiven Zugang zu großen Datenmengen aus unterschiedlichsten Bereichen – von menschlichen Bewegungsmustern bis zu komplexen urbanen Umgebungen. Durch die Auswertung dieser Daten erhoffen sich die Wissenschaftler grundlegende Erkenntnisse über die einzelnen Ebenen und deren Rolle innerhalb des Gesamtsystems. In einigen Anwendungen sind die einzelnen Ebenen recht offensichtlich beziehungsweise können relativ einfach identifiziert werden, wie beispielsweise in den Neuronen im menschlichen Gehirn oder auch die Strukturen sozialer Organisationen. Die Identifizierung zusätzlicher bedeutsamer Ebenen stellt aber in allen Disziplinen eine große und hoch komplizierte Herausforderung an die Wissenschaft dar.

In der vergangenen Woche fand das Auftaktmeeting des MatheMACS-Projektes am Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften in Leipzig statt. Der Projektkoordinator Dr. Fatihcan Atay begrüßte hierzu 19 Wissenschaftler aus den am Projekt beteiligten Institutionen, der Universität Bielefeld, der Technischen Hochschule Chalmers in Schweden, der Universität Venedig, dem Technologisch-wissenschaftliche Forschungsinstitut INRIA in Frankreich und der Polytechnischen Universität Marche in Italien.

Das Projekt ist durch zahlreiche Kooperationen und wissenschaftlichen Austausch sowohl in der europäischen als auch weltweiten Forschungslandschaft eingebettet. Es bietet eine einzigartige Chance, verschiedenste Aspekte von Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft zu verbinden. Die Theorie komplexer Systeme stellt sich nicht nur einigen aktuellen fundamentalen Herausforderungen an die Wissenschaft, sondern spielt eine entscheidende Rolle, um unterschiedlichste und bisher oft isoliert betrachtete Forschungsstränge zusammenzubringen.

Kontakt:

Projektkoordinator
Dr. Fatihcan Atay
Telefon: 0341 9959 518
Email: fatay@mis.mpg.de
Pressereferentin
Jana Gregor
Telefon: 0341 9959 650
Email: jgregor@mis.mpg.de
Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften
Inselstraße 22
04103 Leipzig

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Jana Gregor Max-Planck-Institut

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