Deutsch-russische Kooperation in Forschung und Entwicklung

Bereits vor der offiziellen Gründung der Bergakademie im Jahr 1765 zog Freiberg junge Leute aus dem osteuropäischen Ausland an, die sich im Bergwerks- und Hüttenwesen unterrichten lassen wollten.

Der russische Zar Peter I. persönlich weilte vor Ort um sich über das Bergwerksgeschäft zu erkundigen, Michail Vassilevich Lomonossov verbrachte 1740 nahezu ein Jahr in Freiberg. Von Beginn an war die Freiberger Bergakademie als erste Montanuniversität Vorbild für die Gründung ähnlicher Hochschulen in vielen Ländern der Welt. Große Industrienationen, wie Russland, Großbritannien, Japan oder die U.S.A. entsendeten hunderte ihrer Spezialisten zur Ausbildung nach Freiberg, unter ihnen viele künftige Hochschullehrer an den neuen Montanuniversitäten. Heute ist die Bergakademie anerkannt für ihre einmalige Expertise in der Rohstofferkundung, dem Rohstoffabbau und der Rohstoffverarbeitung und schließlich der Fertigung von Komponenten.

Dieser besondere Status prädestiniert die moderne Technische Universität Bergakademie Freiberg in besonderer Weise als Plattform für den internationalen akademisch- wissenschaftlichen Austausch, speziell mit Partnern in Russland. Heute pflegt die TU Bergakademie Freiberg 5 offizielle Partnerschaften mit russischen Hochschulen auf den Gebieten der Geologie, der Geophysik, dem Bergbau, der Geotechnik, der Bohrtechnik und der Werkstoffwissenschaften sowie der Werkstofftechnologie. Mit über 20 weiteren russischen Einrichtungen wird in einzelnen Projekten zusammengearbeitet.

In beiden Ländern stehen derzeit Wissenschaft und Forschung vor äußerst komplexen Herausforderungen, die nur bilateral oder in größeren internationalen Kooperationsprojekten lösbar sind. Die Globalisierung der Wirtschaft wird sich weiter verstärken und sowohl in Deutschland wie auch in Russland noch spürbarer werden. Deshalb gilt es, sowohl die Probleme zu lösen, aber auch die Chancen zu nutzen, die für beide Länder mit der weltweiten Vernetzung der Wirtschaft verbunden sind. So sind in der Industrie global konkurrenzfähige Technologien gefragt, unter anderem in der Rohstoffverarbeitung. Um entsprechende Ideen und Ansätze zu finden, ist das Zusammenwirken der klügsten Köpfe aus beiden Ländern und unterschiedlichen Fachdisziplinen nicht nur hilfreich, sondern unabdingbar. Dabei ist es wichtig, dass sich junge Menschen in einem Wissenschaftsgebiet aufbauend auf solidem Grundlagenwissen sowohl fachlich spezialisieren wie auch mit anderen Fachdisziplinen zusammenarbeiten. Eine solche Herangehensweise stellt jedoch besondere Anforderungen an die Wissenschaftler und deren Ausbildung. Ein Beispiel dafür, wie die TU Bergakademie und eine ihrer russischen Partnerhochschulen heute gemeinsam dafür Sorge tragen, ihre Nachwuchswissenschaftler den globalen Anforderungen entsprechend auszubilden, ist die Zusammenarbeit mit dem MISIS, dem Moskauer Institut für Stähle und Legierungen, auf den Gebiet der Werkstoffwissenschaften und Werkstofftechnologie.

Bereits vor der offiziellen Gründung des MISIS im Jahr 1919 bestanden auf dem Gebiet der Metallurgie zahlreiche enge Kontakte zwischen Professoren der Bergakademie und russischen Fachkollegen aus Moskau. Bis in die 30er Jahre hinein gab es eine Zusammenarbeit auf Institutsebene insbesondere in Fragen der Eisen- und Gusseisenherstellung. Infolge des 2. Weltkrieges gab es jedoch einen nahezu vollständigen Abbruch und erst nach 1945 konnten die Kontakte wiederbelebt werden. Zunächst kamen russische Professoren nach Freiberg, um Vorlesungen am Institut für Metallkunde zu halten. Es wurden auch russische Lehr und Fachbücher ins Deutsche übersetzt. Später wurden die Besuche häufiger und beiderseitig. Seit 1970 verbindet eine offizielle Hochschulpartnerschaft die TU Bergakademie Freiberg und das MISIS. Seit den 70er Jahren hielten sich Wissenschaftler für mehrere Monate jeweils im anderen Land auf. Es wurden auch gemeinsame Lehrwerke erstellt und schließlich ein Teilstudium für Freiberger Studenten in Moskau für eine Dauer von 5 Monaten eingerichtet. Es folgten Exkursionen in Betriebe der Metallindustrie sowohl in Russland wie auch in Deutschland die für Wissenschaftler und Studenten regelmäßig durchgeführt wurden. Ab den 90er Jahren gab es gemeinsame Ausbildungsprogramme, in denen bis zu 20 Studenten pro Jahr betreut wurden.

Die derzeitigen Aktivitäten im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem MISIS überspannen den Bereich der Fakultät Werkstoffwissenschaften und der Werkstofftechnologie. Gemeinsame Projekte gibt es in der Metallkunde und Werkstofftechnik, der Werkstofftechnologie, bei den metallurgischen Schmelzverfahren, in der Gießereitechnik und in der Umformtechnik. Ein Hauptanliegen auf beiden Seiten ist es dabei, junge Leute als fachlichen Nachwuchs so zu qualifizieren, dass sie den Anforderungen des Arbeitsmarktes sowohl im eigenen Land wie auch im Partnerland gewachsen sind und das Rüstzeug haben, auch in Kooperation mit weiteren internationalen Partnern zu arbeiten . Auf der Grundlage des Kooperationsvertrages zwischen der TU Bergakademie Freiberg und dem MISIS gibt es seit 1996 für die studentische Ausbildung ein Doppeldiplomprogramm. Es wird in erster Linie von russischen Studenten wahrgenommen und sieht vor, dass sie sich während des Hauptstudiums für 2 bis 3 Semester in Freiberg aufhalten. Darauf werden die russischen Studenten bereits in Moskau durch Deutsch-Sprachkurse vorbereitet, die von Freiberger Lehrkräften abgehalten werden. Während des Aufenthaltes in Deutschland gibt es Exkursionen in Betriebe und ein 6-wöchiges Praktikum in einem Unternehmen. Die Finanzierung wird durch das Unternehmen gesichert. Am Schluss steht eine 6-monatige Diplomphase. Die Abschlussarbeit wird sowohl in Freiberg wie auch in Moskau verteidigt und der Student erhält den Abschluss beider Hochschulen. In entgegen gesetzter Richtung ist dies auch für Freiberger Studenten möglich.

Was ist der Nutzen aus solch einem Doppeldiplom? Die Studenten sollen sich einerseits natürlich fachlich qualifizieren, andererseits aber auch sensibilisiert werden für die Andersartigkeit der Bedingungen im Gastland. Wichtig ist dabei das Kennenlernen des jeweiligen akademischen Systems und der spezifischen wissenschaftlichen Methodik, was wiederum nur möglich ist wenn man sich auch mit dem Land insgesamt, seinen Menschen, der Kultur und nicht zuletzt der Sprache auseinandersetzt.

Dies zu meistern stellt eine Herausforderungen für die jungen Menschen dar, an welcher sie entscheidend wachsen können. Die Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes an akademische Fachkräfte beschränken sich längst nicht mehr auf fachliche Qualitäten. Gefragt sind Fachexperten, die zusätzlich fähig sind, sich mit Fachleuten anderer Gebiete zu vernetzen, international zu kommunizieren und mobil zu sein. Außerdem müssen sie offen für neue Entwicklungen sein und anpassungsfähig an die sich weiter ändernden Bedingungen infolge der globalen Entwicklungen. Sehr gute Erfahrungen gibt es dabei aus dieser Doppeldiplom-Ausbildung bisher. Seit 1996 haben beispielhaft 40 Studenten des MISIS einen solchen Abschluss in der Vertiefung Umformtechnik an der TU Bergakademie in Freiberg erworben und sich in verschiedenen Positionen als ausgezeichnete Fachkräfte bewährt. Derzeit befinden sich mehrere Studenten in der Diplomphase. Die Möglichkeit eines Doppelabschlusses wurde auch auf die Stufe der Promotion erweitert. Seit 2000 haben sich 4 junge Wissenschaftler im Rahmen einer Doppelpromotion im Bereich der Umformtechnik qualifiziert.

Seit 2007 besteht ein offizieller Vertrag zwischen beiden Hochschulen über Doppelpromotionen. Derzeit sind 5 weitere Doppelpromotionen in Vorbereitung. Gute Erfahrungen gibt es nicht nur in der Lehre und Ausbildung. Die Professoren der beiden Universitäten arbeiten auch in der Forschung erfolgreich zusammen. Im Fokus steht die Herstellungstechnologie von metallischen Werkstoffen. Die gemeinsamen Ergebnisse werden auf nationalen und internationalen Tagungen und Workshops präsentiert und als Tagungs- oder Fachbeiträge in namhaften Zeitschriften veröffentlicht.

Die Zusammenarbeit der TU Bergakademie Freiberg mit russischen Hochschulen und anderen Partnern erlangt in speziellen Initiativen eine Dimension die für die beiden Wirtschaften und Gesellschaften insgesamt bedeutend ist. So wurde 2006 das „Ständige deutsch-russische Forum zu Fragen der Nutzung von Rohstoffressourcen“ zwischen dem St. Petersburger staatlichen Bergbauinstitut und der TU Bergakademie Freiberg mit Beteiligung der Wirtschaft (VNG –Verbundnetz Gas AG/Leipzig und Gazprom Export/Russland) eingerichtet. Hauptanliegen ist es, mittels einer innovativen Ressourcenstrategie die künftige stabile Entwicklung der Volkswirtschaften Russlands und Deutschlands zu gewährleisten. Dazu soll die Basis für die Erkundung, den Abbau und die Weiterverarbeitung von Rohstoffen gestärkt werden, und verbesserte Möglichkeiten einer rationellen und effektiven Nutzung fossiler, mineralischer und alternativer Rohstoffressourcen sollen aufgezeigt werden. Innovative Lösungen werden angestrebt in Hinsicht auf wissenschaftlich-methodische, forschungs und produktionsseitige sowie ausbildungsrelevante Fragestellungen.

Ebenfalls 2006 begründete die TU Bergakademie Freiberg 2006 die International University of Resources (IUR). Dieses Netzwerk von zunächst 5 Montanuniversitäten aus Deutschland, Russland, Polen, Österreich und der Ukraine soll die Rahmenbedingungen für eine effektivere internationale Zusammenarbeit in Ausbildung und Forschung gewährleisten. Der Partner auf der russischen Seite ist das Staatliche Bergbau- Institut St. Petersburg. Die Themen, welche gemeinsam kontinuierlich bearbeitet werden stehen im Zusammenhang mit der sicheren Versorgung der Volkswirtschaften mit stofflichen und energetischen Ressourcen. Zentrales Anlegen ist es, Lösun4 gen zu finden für Probleme der Ressourcenverknappung, wie sie z.B. bei mineralischen und fossilen Rohstoffen, Wasser und Energie deutlich sind.

Mit diesen Initiativen, die ganz wesentlich von der Kooperation mit russischen Partnern geprägt werden, kann die TU Bergakademie Freiberg ihren Beitrag als moderne Universität leisten, die sich den Herausforderungen der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft und Wissenschaft stellt.

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