Von bronzezeitlichen Siedlungen bis zum Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache

Der Haushalt des Akademienprogramms als einem der größten Forschungsprogramme im Bereich der geisteswissenschaftlichen Grundlagenforschung Deutschlands soll 2007 um 3 Prozent steigen. Das hat die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) heute beschlossen.

Damit endet eine jahrelange finanzielle Stagnation des Akademienprogramms. Dank der Steigerung des Haushalts können 2007 insgesamt zehn positiv evaluierte Forschungsprojekte aus Geschichte, Archäologie, Theologie und den Sprachwissenschaften im Umfang von 2,42 Millionen Euro neu aufgenommen werden.

Der Haushalt des Akademienprogramms wird insgesamt bei 44,6 Millionen Euro liegen, wovon 157 Vorhaben in 201 Arbeitsstellen finanziert werden. Die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert das Forschungsprogramm. Nachdem der Wissenschaftsrat empfohlen hatte, es zu einem Instrument für die Förderung der geisteswissenschaftlichen Grundlagenforschung in Deutschland weiterzuentwickeln, wurde das Programm für 2007 erstmals bundesweit ausgeschrieben. Bei allen Vorhaben handelt es sich um modular gestufte, langfristige Forschungsprojekte von nationaler Relevanz.

Die Themen der neuen Projekte:

„Europäische Traditionen – Enzyklopädie jüdischer Kulturen“

Welches Erbe haben die Juden der Frühen Neuzeit in der deutschen und europäischen Kultur hinterlassen? Wie fügt sich ihr Wissen in eine universale Wissenschaftslandschaft ein? In drei miteinander verzahnten Modulen will das Projekt Antworten auf diese Fragen geben. Die Grundlage bildet ein Lexikon jüdischer Geschichte und Kultur. Es bündelt die Forschung und Begriffsbildung zu den historischen Lebenswelten der Judenheiten im Zentraleuropa der Neuzeit und macht sie nach Schlagworten zugänglich. Ergänzt wird dieses Lexikon durch eine kommentierte Edition von ausgewählten Werken, die für die Judenheiten ikonographischen Charakter erlangten – eine Bibliothek jüdischer Geschichte und Kultur. Ein Archiv jüdischer Geschichte und Kultur dagegen soll im dritten Modul ausgewählte Quellen (Nachlässe, Briefe, Tagebücher) erschließen und veröffentlichen. Die Arbeitsstelle des Projektes ist in Leipzig angesiedelt, Projektleiter ist Prof. Dr. Dan Diner.

„Quellenedition zur Konfessionsbildung und Konfessionalisierung in der Frühen Neuzeit“

Kaum war Luther tot, begann der Streit. Unter dem Einfluss Melanchthons äußerte sich deutlich die theologische Vielfalt des Protestantismus – und es wurden Fragen diskutiert, die für die weitere Entwicklung von Bekenntnis und Lehre bis heute ausschlaggebend sind. In diesem Vorhaben sollen nun erstmals zentrale Texte bereitgestellt werden, die zeigen, wie sowohl auf der Seite des Obrigkeitsstaates als auch innerhalb des Protestantismus ein Klärungsprozess in Gang kam. Die hierfür zu verwendenden Quellen waren bisher zumeist weder gesichert noch wurden sie ausgewertet, da sich die Forschung auf den Beginn der Reformation konzentrierte. Die Arbeitsstelle des Projektes ist in Mainz angesiedelt, Projektleiterin ist Prof. Dr. Irene Dingel.

„Corpus Coranicum: Edition und Kommentar des Korans“

Das Gespräch und die Auseinandersetzung mit dem Islam bedürfen der genauen Kenntnis der Quellen. Das, was für die Arbeit mit dem Alten und dem Neuen Testament seit mehr als hundert Jahren selbstverständlich ist, fehlt bislang für den Koran. Deshalb bemühen sich Islamistik und Arabistik um eine kritische Ausgabe der bedeutenden Schrift. Der bislang allgemein verwendete Text der Kairoer Ausgabe von 1923 dokumentiert nur eine der sieben Lesarten des Textes und bemüht sich nicht um älteste verfügbare Manuskripte. Außerdem fehlt eine ausführliche Kommentierung des Gesamtkorpus. Das Vorhaben soll daher zwei grundlegende Desiderata erarbeiten: Eine kritischen Maßstäben genügende Edition des Korantextes und einen umfassenden Kommentar. Die Arbeitsstelle des Projektes ist in Potsdam angesiedelt, Projektleiterin ist Prof. Dr. Angelika Neuwirth.

„Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“

Ein Europäisierungsprozess besonderer Art lässt sich bereits im 11. Jahrhundert im noch zergliederten Abendland beobachten. Das Papsttum erhob nicht nur universalen Anspruch – es setzte diesen auch durch eine hoch entwickelte Verwaltungsorganisation und ein sehr fortschrittliches Rechtsprechungssystem durch. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gelang es ihm, in alle Teile Europas auszugreifen. Der Schwerpunkt der traditionsreichen Papsturkundenforschung lag jedoch bislang auf dem zentraleuropäischen Raum. Um die Wirkungsmacht der Kurie vergleichend bewerten zu können, muss nun auch die vernachlässigte Überlieferung aus der Peripherie (v.a. Osteuropa) berücksichtigt werden. Zahlreiche Neufunde sollen in diesem Vorhaben in einem chronologischen Verzeichnis systematisiert und der mittelalterliche Europäisierungsprozess durch die päpstliche Politik und die Papsturkunden verdeutlicht werden. Die Arbeitsstelle des Projektes ist in Göttingen angesiedelt, Projektleiter ist Prof. Dr. Klaus Herbers.

„Erschließung der Akten des kaiserlichen Reichshofrates“

Wenn bisher die Rechtsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation erforscht wurde, so betrachtete man zumeist Akten aus dem Reichskammergericht. Doch die höchste Gerichtsbarkeit im Reich war zweigeteilt: Der kaiserliche Reichshofrat war mindestens genauso wichtig – und kann wegen seiner größeren Nähe zum Herrscher und vielfältigerer Aufgaben Einblicke in die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Reich bieten. Das neue Vorhaben hat nun den bislang zu Unrecht vernachlässigten Reichshofrat mit seinem kaum erschlossenen Quellenfundus im Blick und will Forschungsgrundlage für neue Erkenntnisse der Rechts- und Verfassungsgeschichte liefern. Die Arbeitsstelle des Projektes ist in Göttingen angesiedelt, Projektleiter ist Prof. Dr. Wolfgang Sellert.

„Siedlungen der Bronzezeit: Archäologische und paläoökologische Untersuchungen älterbronzezeitlicher Siedlungen in Norddeutschland“

Wie haben die Menschen in der späteren Bronzezeit ihre Häuser gebaut? Wie waren ihre Siedlungs- und Wirtschaftseinheiten strukturiert? Wie nutzten sie die Natur um sie herum? Wie veränderten sie ihr Umfeld? Fragestellungen zur Lebenswirklichkeit während des 2. vorchristlichen Jahrtausends stoßen bisher sehr schnell an ihre Grenzen, da fast ausschließlich Grabhügel, Bestattungen und Beigaben sowie Hortfunde erforscht wurden. Die Siedlungen sind heute kaum mehr zu identifizieren. Nun soll mit archäologischen und naturwissenschaftlichen Methoden eine grundlegende systematische Untersuchung auf Siedlungsplätzen und in ihrem Umfeld erfolgen. Die Arbeitsstelle des Projektes ist in Schleswig angesiedelt, Projektleiter ist Prof. Dr. Karl-Heinz Willroth.

„Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache“

Den Wortschatz einer Sprache aufgrund verlässlicher Quellen zu beschreiben, gehört nicht nur zu den elementaren Aufgaben der Sprachwissenschaft; es ist auch für alle von Bedeutung, die sich über Aussprache, Sinn, Verwendung, Herkunft und Entwicklung von Wörtern informieren wollen. Erstmals in der deutschen Lexikographie soll nun ein ständig erweiterbarer, aber von Beginn an sehr breit gefächerter digitaler Corpus erstellt werden, der alle wichtigen Textgattungen repräsentiert. Ziel des Projektes ist nicht ein auf herkömmliche Weise gedrucktes Wörterbuch, sondern ein über das Internet zugängliches „Digitales Lexikalisches System“, das unterschiedlichsten Nutzern offen steht – und somit die wissenschaftliche Analyse des deutschen Wortschatzes genauso ermöglicht wie die Recherche von interessierten Laien. Die Arbeitsstelle des Projektes ist in Berlin angesiedelt, Projektleiter ist Prof. Dr. Wolfgang Klein.

„Deutsche Wortfeldetymologie im europäischen Kontext – Der Mensch in Natur und Kultur“

Wie wird ein bestimmter Sachverhalt, ein Konzept in einer Sprache und verwandten Sprachen bezeichnet? Gibt es mehrere Versprachlichungen? Woher kommen sie? Um solche Fragen beantworten zu können, braucht man ein umfassendes etymologisches Wörterbuch, das die Geschichte und Herkunft von Wörtern und Wortfeldern erklärt. Für das Deutsche fehlt ein solches Wörterbuch bisher – diese Lücke soll das Projekt schließen. Hier wird die bisherige etymologische Forschung erfasst und erweitert, aber auch die Organisation des Wortschatzes nach Wortfeldern beachtet. Diese Wortfelder um den Menschen in Natur und Kultur werden zum einen von der Gegenwartssprache mitsamt ihren Bewertungen und Bezügen über das ältere Neuhochdeutsche, Frühneuhochdeutsche, Mittelhochdeutsche bis zum Althochdeutschen verfolgt, zum anderen wird aber auch umgekehrt der semantische Wandel der ältesten Wortform bis in die Gegenwart nachgezeichnet. Gleichzeitig möchte man die Wörter und Wortfelder jeweils in ihren europäischen Bezug stellen und damit die Interkulturalität des deutschen Wortschatzes verdeutlichen. Die Arbeitsstelle des Projektes ist in Jena angesiedelt, Projektleiterin ist Prof. Dr. Rosemarie Lühr.

„Repertorium Academicum Germanicum (RAG)“

Die mittelalterlichen Ursprünge der Wissensgesellschaft macht das Repertorium Academicum Germanicum (RAG) sichtbar. Mit ihm entsteht ein Who's Who der graduierten Gelehrten des Alten Reiches (1250 bis 1550). Es werden biographische Daten zu ca. 35.000 Gelehrten in einer Internet-Datenbank erschlossen, die an einer Universität des Alten Reichs oder des Auslands einen akademischen Grad erlangt haben. Denn die Akademisierung und Professionalisierung gelehrter Tätigkeit an den Höfen, in Räten, Gerichten und Kanzleien der Könige und Kaiser, geistlichen und weltlichen Territorien sowie Städten sind Voraussetzungen für das Entstehen moderner „Staatlichkeit“. Das RAG bildet die Basis, die Ursprünge der neuzeitlichen Wissensgesellschaft detailliert zu erforschen: Wer trägt gelehrtes Wissen wohin, und wie wirken sich Personen und Wissen am jeweiligen Ort im Vergleich mit dem ganzen Reich aus? Wie entstehen die Karrieren von akademisch gebildeten Experten? Die Arbeitsstellen des Projektes sind in Gießen und München angesiedelt Projektleiter ist Prof. Dr. Peter Moraw.

„Wissenschaftsbeziehungen im 19. Jahrhundert zwischen Deutschland und Russland auf den Gebieten der Chemie, Pharmazie und Medizin“

Die Naturwissenschaften erlebten einen nie gekannten Aufschwung, der Transport beschleunigte sich dramatisch, Nachrichten gelangten immer schneller selbst in entlegene Gebiete – in dieser Zeit des Umbruchs im 19. Jahrhundert schaute Russland nach Deutschland. Westliche Rationalität sollte nach Russland importiert werden und damit vor allem deutsche Wissenschaft und Medizin. Nach und nach jedoch wurde aus dem Import eine gegenseitige Befruchtung. Wie sich die bilateralen wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland von 1789 bis 1917 in Chemie, Pharmazie und Medizin im einzelnen entwickelten, soll nun das neue Projekt im Akademienprogramm analysieren. Die Arbeitsstelle des Projektes ist in Leipzig angesiedelt, Projektleiter ist Prof. Dr. Heiner Kaden.

Ihre Ansprechpartner
für Rückfragen sind:
Prof. Dr. Volker Gerhardt, der Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission der Akademienunion, unter Tel. 0172/360 80 72 oder per Mail unter GerhardtV@Philosophie.HU-Berlin.de

Frau Bärbel Lange, die Koordinatorin des Akademienprogramms für die Akademienunion, unter Tel. 06131/21 85 28-17 oder per Mail unter baerbel.lange@akademienunion.de

Frau Myriam Hönig, die Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Akademienunion, unter Tel. 030/325 98 73 70 oder per Mail unter hoenig@akademienunion-berlin.de

Die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften ist die Dachorganisation von sieben Wissenschaftsakademien, die sich zur Umsetzung gemeinsamer Interessen zusammengeschlossen haben. Unter dem Dach der Union sind mehr als 1600 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedenster Fachrichtungen vereint, die zu den national und international herausragenden Vertretern ihrer Disziplinen gehören. Die Union koordiniert das „Akademienprogramm“, das eines der größten und bedeutendsten geisteswissenschaftlichen Forschungsprogramme der Bundesrepublik Deutschland darstellt. So ist die Union zuständig für die Koordinierung und Durchführung gemeinsamer Forschungsvorhaben ihrer Mitgliedsakademien. Sie empfiehlt die Bildung von Schwerpunkten für verwandte Projekte, fördert die Kommunikation zwischen den Akademien und betreibt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie kommuniziert mit Wissenschaftsorganisationen des In- und Auslandes und entsendet Vertreter in nationale und internationale Wissenschaftsorganisationen. Eine organisierte Zusammenarbeit der deutschsprachigen Akademien der Wissenschaften gibt es bereits seit über 100 Jahren. Sie geht zurück auf das sogenannte „Kartell“, das 1893 in Leipzig für die Betreuung von über 30 gemeinsamen Akademie-Forschungsvorhaben gegründet wurde.

Media Contact

Myriam Hönig idw

Weitere Informationen:

http://www.akademienunion.de

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