Planwirtschaft und Bürokratie bremsen die Hochschulreform
Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates und der Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung plädieren für Neuordnung von Studienangebot und Hochschulzugang
Eine nachhaltige Reform des deutschen Hochschulsystems wird durch Planwirtschaft und Bürokratie behindert. Ursächlich dafür ist insbesondere ein Relikt aus den 70er-Jahren, die sogenannte Kapazitätsverordnung (KapVO). Sie macht eine längst überfällige Neuordnung von Studienangebot und Hochschulzugang unmöglich. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Karl Max Einhäupl, und der Leiter des CHE, Detlef Müller-Böling, stellten heute auf einer Pressekonferenz in Berlin ein neues Konzept für eine nachfrageorientierte Steuerung des Studienangebotes vor. Damit könnte das lähmende Regelwerk abgelöst und der notwendige Wettbewerb zwischen den Hochschulen weiter belebt werden. Mit dem Hinweis auf strikte Rechtsvorschriften lasse sich der neue Vorschlag nicht bremsen, denn er sei verfassungskonform.
„Die Kapazitätsverordnung ist das Paradebeispiel für eine folgenreiche Fehlentwicklung im deutschen Hochschulsystem“, kritisierten die beiden Hochschulexperten. Ursprünglich aufgrund der Urteile des Bundesverfassungsgerichtes in den Jahren 1972 und 1973 zur vollständigen Auslastung vorhandener Lehrkapazitäten und zur gleichmäßigen Belastung der Hochschulen entwickelt, sei die KapVO längst zu einem zentralen Planungs- und Verteilungsinstrument weit über die NC-Fächer hinaus geworden. Seit Jahren würden Ressourcenentscheidungen in den Bundesländern und an den Hochschulen fast ausschließlich mit Blick auf die „Lehrauslastung“ von Fächern getroffen.
„Inzwischen erweist sich die Kapazitätsverordnung als Hemmschuh, wenn es darum geht, neue Herausforderungen für die Hochschulausbildung am Beginn des 21. Jahrhunderts aufzugreifen“, sagte der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Karl Max Einhäupl. Sie schränke den Handlungsspielraum der Hochschulen ein, wirke innovationsfeindlich und erlaube es vor allem nicht, neuere Entwicklungen bei der Studiennachfrage, etwa vielfältig kombinierbare Kurzzeitstudiengänge, angemessen zu berücksichtigen. Ohnehin habe sich das Regelwerk in Zeiten der Einführung von Globalhaushalten längst überlebt, weil es noch mit festen Stellen rechne.
„Wir schlagen deshalb einen grundlegenden Perspektivenwechsel vor: den Übergang von der angebots- zu einer nachfrageorientierten Steuerung der Studienangebote“, sagte CHE-Chef Detlef Müller-Böling. Nur so könne man den Hochschulen die eigenverantwortliche und flexible Ausgestaltung ihrer Studienangebote ermöglichen. Finanzielle Anreize müssten dafür sorgen, dass sie im Wettbewerb unter einander möglichst viele Studierende erfolgreich und am Bedarf orientiert ausbilden. Das setze aber auch voraus, dass sich die Hochschulen ihre Studierenden selbst aussuchen könnten. Parallel dazu müssten sich Studierende in allen Fächern direkt bei der Hochschule ihrer Wahl bewerben können.
Den verfassungsrechtlichen Spielraum für eine Neuordnung von Studienangebot und Hochschulzugang hat im Auftrag des CHE der Rechtsexperte Winfried Kluth von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ausgelotet. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Staat bei seiner grundgesetzlichen Verpflichtung zur Bereitstellung von Studienangeboten durchaus Alternativen hat. Analog zur Entwicklung bei Bahn oder Telekommunikation sei ein Übergang von der staatlichen Bereitstellungspflicht zur sogenannten Gewährleistungsverantwortung des Staates möglich. Dabei muss der Staat einen funktionierenden Wettbewerb von Leistungsanbietern schaffen, durch den die Ausübung insbesondere des Grundrechts auf freie Berufswahl sicher gestellt wird. Eingreifen sollte der Staat nur dann, wenn der Wettbewerb nicht funktioniert.
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