Statement von Bundesministerin Edelgard Bulmahn anlässlich der heutigen Pressekonferenz

„Die wirtschaftliche Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2000“

am 19. Juli 2001 in Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren,

1,76 Mio. Studierende gibt es in Deutschland.

Der Durchschnittsstudierende ist 24,7 Jahre alt, lebt in einer festen Partnerbeziehung und besitzt eine allgemeine Hochschulreife. Gott sei Dank kann man mittlerweile nicht mehr sagen, ob der Durchschnittstudierende weiblich oder männlich ist. Im Studienjahr 2000/2001 nahmen 34% der Männer und 33% der Frauen ein Hochschuldstudium auf. Diese Entwicklung begrüße ich ausdrücklich und wünsche mir, dass sich diese Entwicklung bis an die Spitze der Hochschulen durchsetzt! Ich werde mein Möglichstes dazu beitragen.

Die 16. Sozialerhebung, die ich Ihnen heute zusammen mit Herrn Professor Dr. Rinkens vorstelle, ist die vierte gesamtdeutsche Erhebung. Das, was wir hier an Ergebnissen haben, birgt keine große Überraschung, aber sie bestätigen die Notwendigkeit der Reform des Hochschul- und Stipendiensystems.

Wir alle wissen, dass es den Durchschnittsstudierenden leibhaftig nicht gibt! Aber die Studie zeigt Durchschnittswerte, an denen wir Trends feststellen können, die politisches Handeln bestätigen oder notwendig machen.

Der erste wichtige und erfreuliche Trend ist: Die Studierendenzahl ist im Zeitraum Wintersemester 1999/2000 bis Wintersemester 2000/2001 erstmals wieder gestiegen! Als Trendwende kann man dies jedoch noch nicht bezeichnen. Ich hoffe jedoch, dass wir vor dem Hintergrund unserer Reformen auch in den kommenden Jahren mehr junge Menschen für ein Studium motivieren können.

Es gibt jedoch Benachteiligungen beim Hochschulzugang je nach sozialer Herkunft:

Fast 3/4 der Kinder, deren Vater Beamter ist, beginnen ein Studium. Kinder von Selbständigen oder Freiberuflern studieren zu 60%. Die Bildungsbeteiligung des Nachwuchses aus Angestelltenhaushalten liegt mit 37% deutlich darunter. Nur eine Minderheit der Arbeiterkinder gelangt an eine Hochschule, nämlich nur 12%. Während wir einen deutlichen Zuwachs seit 1985 bei der Bildungsbeteiligung der Kinder von Beamten und Selbstständigen beobachten können, ist die Quote der Arbeiterkinder auf niedrigem Niveau nur leicht angestiegen, seit einigen Jahren stagniert sie sogar.

Der Anteil der Studierenden, deren Eltern den Hauptschulabschluss als höchsten Schulabschluss vorweisen, ist von 25% auf 20% zurückgegangen. Der Grund dafür, dass wir an der Hochschule selbst weniger Studierende aus bildungsfernen Elternhäusern haben, liegt an der demographischen Entwicklung dieser Gruppe, die insgesamt kleiner geworden ist.

Hier müssen wir bessere Förderung besonders in der Schule herstellen, um diese Situation zu beheben.

Es ist kein Geheimnis: Unter der Vorgängerregierung ist das BAföG zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Allein im Zeitraum von 1993 bis 1998 hat sich die Zahl der BAföG-Empfänger fast halbiert.

Wir haben diesen Trend direkt nach Amtsantritt im März 1999 mit der 20. BAföG-Novelle gestoppt. Die Vernachlässigung der Förderung von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien zeigte verheerende Auswirkungen. Chancengleichheit in Deutschland muss wieder ein Thema werden. Und das sage ich auch vor dem Hintergrund meiner eigenen Biographie. Jeder muss hier in Deutschland die Möglichkeit erhalten, studieren zu können – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Dies ist keine Floskel aus den 70er Jahren. Das ist heute mindestens genauso so notwendig wie damals. Deutschland kann es sich in Zukunft nicht mehr leisten, auf das Potenzial zu verzichten! Angesichts des Fachkräftemangels in wichtigen Zukunftsbranchen, wie der Informationstechnologie, ist das nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ökonomisch widersinnig.

Nach dem aktuellen OECD-Bericht liegt Deutschland, wie Sie wissen, bei der Zahl der Studienanfänger mit einem Anteil von 28% deutlich unter dem internationalen Durchschnitt. In den USA beginnen 44% aller Jugendlichen nach der Schule mit einem Studium, in Israel 49% und in Finnland sogar 58%. Wir brauchen also vor allem mehr und besser ausgebildete Hochschulabsolventen!

Die große BAföG-Reform ist seit April 2001 in Kraft. Die Ergebnisse konnten in dieser Studie also noch nicht einfliesen. Ich hoffe, mit der BAföG-Reform eine klare und deutliche Trendwende eingeleitet zu haben. Damit stehen jährlich rund 1,3 Mrd. DM mehr für Jugendliche aus Familien mit geringem oder mittlerem Einkommen zur Verfügung. Jedes Jahr können damit 81.000 Jugendliche zusätzlich gefördert werden.

Herr Prof. Dr. Rinkens wird im Anschluss über erste Ergebnisse der Auswirkungen der neuen BAföG-Reform informieren.

Ein positives Signal gibt es bei der studentischen Erwerbstätigkeit – also dem Jobben neben dem Studium: Der in den letzten beiden Jahrzehnten bestehende Trend einer jährlich 2% zunehmenden Erwerbstätigkeit ist von 1997 auf 2000 erstmals gebremst worden. Ich gehe davon aus, dass sich mit der vollen Wirksamkeit der BAföG-Reform eine weitere Verbesserung für die Studierenden ergibt und diejenigen, die heute noch dazuverdienen müssen, um das Studium und ihren Lebensunterhalt zu sichern, in Zukunft von diesem Zwang entlastet werden.

Die Reform unseres Stipendiensystems ist aber nur ein wichtiger Schritt bei der Modernisierung des Hochschul- und Bildungssystems, die wir seit 1998 in Angriff genommen haben. Erlauben Sie mir dazu noch eine kurze, aber wichtige Bemerkung: Wir arbeiten in Deutschland an einer tiefgreifenden Bildungsreform. Das Forum Bildung, unser Bündnis für Bildung, wird Ende dieses Jahres seine Ergebnisse und konkreten Empfehlungen vorlegen. Eines ist jetzt schon glasklar: bereits im Kindergarten muss die Arbeit gegen soziale Ungleichheiten und Benachteiligungen aufgenommen werden. Außerdem brauchen wir eine Stärkung des 2. und 3. Bildungsweges.

Die soziale Situation im Elternhaus beeinflusst aber auch die Wahl des Studienfaches. Studierende aus bildungsfernen oder finanzschwächeren Elternhäusern sind in den Ingenieur- und Sozialwissenschaften überrepräsentiert – Studierende aus bildungsnahen Elternhäusern nehmen überdurchschnittlich häufig ein Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Medizin auf.

Ein anderer wichtiger Bestandteil, der mir Sorge bereitet: Im Vergleich zu 1997 hat sich der Anteil der Studierenden, die ihr Studium zwischendurch unterbrochen haben, von 11% auf 15% erhöht. 28% gaben als Gründe dafür den Zweifel am Sinn des Studiums an. Mit einer Erwerbstätigkeit begründete 27% der Studierenden und 26% mit finanziellen Problemen. Im Klartext heißt das: Studierende brauchen eine bessere Orientierung im Studium und eine sehr viel bessere Studienberatung als bisher. Das ist die ureigenste Aufgabe der Hochschule. Ich gehe davon aus, dass wir mit der Umsetzung der Dienstrechtsreform noch in dieser Legislaturperiode auch die Studienberatung entscheidend verbessern. Denn eine gute Studienberatung wird bei der Bewertung von Professoren mit einfließen und eine wichtige Rolle spielen.

Besonders erfreulich ist, dass sich die Bildungsbeteiligung von Frauen weiter deutlich verbessert hat. Im Jahr 2000 lag der Anteil der Studentinnen von allen Studierenden bereits über 45%. Noch deutlicher wird diese Tendenz, bei der Studienanfängerzahl: Hier ist der Anteil von Frauen auf fast 49% gestiegen. Sehr unterschiedlich ist jedoch die Fächerwahl der Studentinnen.

In der Medizin z. B. bilden die Frauen die Mehrzahl der Studierenden nämlich 55%. Bei den Wirtschaftswissenschaften holen die Frauen mit ihrer Beteiligung an diesen Fächern auf. Hohe Frauenanteile erreichen jedoch nicht die technischen und damit typisch „männlichen“ Studienfächer. In den Ingenieurwissenschaften haben wir nur 21% Studentinnen und 79% Studenten. Das unterstreicht die Notwendigkeit von Kampagnen, wie wir sie Anfang des letzen Jahres begonnen haben. Mit einer großen Anzeigenkampagne „be-ing“ haben wir für mehr Frauen in den Ingenieurwissenschaften geworben und uns damit auch bewusst an die Unternehmen gewannt, auf weibliches Potenzial nicht zu verzichten, sondern es zu nutzen. Das Interesse an der Kampagne war gemessen an 1.000 Zugriffen pro Tag auf die Website im Internet sehr hoch.

Ich hoffe, dass wir hier sowohl bei den jungen Frauen als auch bei den Unternehmern und Unternehmerinnen eine Bewusstseinsänderung in den kommenden Jahren herbeiführen können. Denn gerade die Ingenieurwissenschaften, die Naturwissenschaften und vor allem die Informations- und Technologiewissenschaften sind ganz klare Zukunftsberufe. In diesen Feldern sollten Frauen ihre Chancen nutzen und nutzen können!

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie: Der Anteil der Studierenden mit Kindern beträgt im Bundesdurchschnitt 6,7%. Von den studierenden Müttern sind 27% alleinerziehend, von den studierenden Vätern 7%. Ich hoffe, dass wir durch eine stärkere Berücksichtigung der Kinderbetreuung beim BAföG die Situation der betroffenen Studierenden etwas erleichtern konnten. Hier brauchen wir aber insgesamt eine bessere Kinderbetreuung und zwar bundesweit.

Wie wichtig Verbesserungen bei der Ausbildungsförderung sind, zeigt sich auch bei den Auslandsaufenthalten von Studierenden, die in den letzten drei Jahren um 2% angestiegen sind (1997: 27%; 2000: 29%). Auslandsaufenthalte sind nicht nur eine persönliche Bereicherung, dadurch erhöhen sich auch die Chancen der jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Interessant ist, dass weibliche Studierende ein größeres Interesse an Auslandsaufenthalte haben als ihre männliche Kommilitonen, (33% zu 26%).

Lassen sie mich zum Abschluss noch einen wichtigen Punkt herausstellen: Die bis 1997 anhaltende Tendenz eines steigenden Durchschnittsalters bei den Studierenden hat sich (glücklicherweise) nicht fortgesetzt, sie liegt bei 25,1 Jahre. Viele junge Männer und Frauen beginnen nicht sofort nach dem Erwerb der Hochschulreife ein Studium, 79% der Studenten und 42% der Studentinnen. Bei den Männern spielt hier vor allem der Wehr- und Zivildienst eine Rolle, bei Männern und Frauen aber auch die Entscheidung erst eine Berufsausbildung oder auch ein Praktikum zu absolvieren. Vor allem junge Frauen entscheiden sich zu einem Auslandsaufenthalt.

Vielen Dank.

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