Neuer Ansatz um die beste Methode zur Entwicklung eines neuen Produkts zu finden

Sicher durch den Methoden-Dschungel

Die Produktentwicklung zählt zu den kreativsten und wissensintensivsten Prozessen der Produktentstehung. Um sie so effizient wie möglich zu gestalten, frühzeitig richtige Entscheidungen zu treffen und unnötige Iterationsschleifen zu vermeiden, sollten in allen Phasen die am besten geeigneten Methoden eingesetzt werden. »Obwohl – oder gerade weil – zahlreiche Methoden und Hilfsmittel zur Unterstützung von Entwicklungsaufgaben existieren, herrscht in den Unternehmen eine erhebliche Unsicherheit bei der systematischen Auswahl bzw. Anwendung geeigneter Methoden. Insbesondere gibt es Schwierigkeiten, die Methoden an die unternehmens- und problemspezifischen Besonderheiten anzupassen und deren Anwendung in die betrieblichen Abläufe zu integrieren«, stellt Michael Kempf vom Fraunhofer IPA fest. Innerhalb des Sonderforschungsbereichs 374 »Entwicklung und Erprobung innovativer Produkte – Rapid Prototyping« hat er mit seinem Team einen probabilistischen Ansatz entwickelt, der die Methodenauswahl einfacher macht und die Methodenanwendung effizienter gestaltet.

Geht es beispielsweise darum, neue Produktideen zu finden, stehen eine ganze Reihe von Kreativitätsmethoden zur Auswahl: von Brainstorming über Zufallseinstieg, Herausforderung und Synektik bis hin zum Morphologischen Kasten. Dieser »Problembereich« wird nach Kempfs Ansatz mit Hilfe eines Einflussdiagramms modelliert – einem gerichteten azyklischen Graphen, dessen Knoten die relevanten Parameter im Entscheidungsfindungsprozess repräsentieren. In einem solchen Graphen gibt es drei verschiedene Typen von Knoten: Zufallsknoten, Entscheidungsknoten und Nutzenknoten. Die Zufallsknoten repräsentieren diskrete Zufallsvariablen und beschreiben die Parameter, die einen signifikanten Einfluss auf den Entscheidungsfindungsprozess haben. Beim Finden neuer Produktideen gehören dazu Kreativität, Know-how, Teamwork, Innovation und Produktkomplexität. Ihnen werden später bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilungen mitgegeben. Die Entscheidungsknoten stellen eine Menge von Alternativen für die jeweils anstehenden Entscheidungen dar und die Nutzenknoten bewerten die Qualität der Entscheidungen quantitativ: Wie geeignet ist eine Methode um das gewünschte Ziel zu erreichen, wie verhalten sich die Kosten zum erwarteten Nutzen, wie steht es mit der Akzeptanz der Methode bei den Anwendern im Unternehmen, wie flexibel und universell einsetzbar ist eine Methode und wie gut lässt sie sich in den bestehenden Entwicklungsprozess integrieren?

Zur Modellbildung muss der Anwender in einem ersten Schritt das Netz konstruieren, d. h. er muss die für die Methodenauswahl relevanten Parameter identifizieren. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Kontext, in dem die Methode angewandt wird. Er ist definiert durch alle problemspezifischen Aspekte des Unternehmens, des Produkts, des Projekts oder der Unternehmensstrategie. Vorhandenes Wissen über Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten unter den gesammelten Variablen bestimmen schließlich die Topologie des Einflussdiagramms, das im nächsten Schritt festgelegt wird. Abschließend quantifiziert der Anwender das so generierte Netz, indem er die Wahrscheinlichkeitswerte für die einzelnen Ereignisse angibt. »In der Regel kann er dabei auf Erfahrungswerte aus früheren Projekten, das Expertenwissen der beteiligten Teamkollegen und sog. ‘A-priori-Wissen’ beispielsweise über funktionale Zusammenhänge zurückgreifen«, erklärt Kempf. Nachdem der Anwender alle Werte für die bekannten oder beobachtbaren Variablen angegeben hat, berechnet das Modell die Nutzenwerte für die in Frage kommenden Methoden. Auf dieser Basis kann der Anwender nun die geeignetste Methode auswählen »und sicher sein, dass er auch alle wesentlichen Punkte berücksichtigt hat«, so Entwickler Michael Kempf.

Ihm ging es ursprünglich um Problemstellungen aus dem Rapid Product Development (RPD). RPD ist ein Prozess, bei dem in den einzelnen Iterationszyklen immer wieder verschiedene Konzepte und Lösungsalternativen bewertet, miteinander verglichen sowie die aussichtsreichsten ausgewählt werden müssen. Für die Bewertung der verschiedenen Lösungskonzepte kommen generell etliche Methoden in Frage – z. B. paarweiser Vergleich, Nutzwertanalyse, New Concept Selection u. ä. Um die jeweils geeignetste Methode auszuwählen, müssen die Rahmenbedingungen der aktuellen Entwicklung wie Produktkomplexität, Innovationsgrad oder ihr Reifegrad berücksichtigt werden. Ein anderes Beispiel für eine kontextsensitive Auswahl im RPD ist die Entscheidung über den zu verwendenden Werkstoff beim Stereolithograhieprozess für einen Prototyp, der – je nach dem, welche Merkmale an ihm verifiziert werden sollen – bestimmte Eigenschaften aufweisen muss. Das entwickelte Verfahren vereinfacht jedoch nicht nur die Werkstoffauswahl oder die kontextsensitive Methodenauswahl bei der Produktentwicklung. Es lässt sich auch auf alle anderen Entscheidungssituationen übertragen, in denen sowohl die Kriterien als auch die Randbedingungen bekannt und modellierbar sind.

Ihr Ansprechpartner für weitere Informationen:

Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik
und Automatisierung IPA
Dipl.-Math. Michael Kempf
Telefon: +49(0)711/970-1836
E-Mail: michael.kempf@ipa.fraunhofer.de

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