Max-Planck-Institute – "Kaderschmieden" für die Wirtschaft

Wissenschaftler, die nach ihrer Tätigkeit in einem Max-Planck-Institut in die Wirtschaft wechseln, bringen dort vor allem ihre in der Forschung erworbenen Fähigkeiten zur Analyse komplexer Probleme und ihr abstraktes Denkvermögen in eine Vielzahl von Tätigkeitsfelder fruchtbringend ein. Zugleich eröffnet sich Unternehmen dadurch die Möglichkeit, neueste Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung zu identifizieren und für Produkte und Dienstleistungen nutzbar zu machen. Diese "Absorption" ist, so zeigt es eine neue Studie aus dem Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen in Jena, einer der wichtigsten Wege für die Verwertung von neuem Wissen in nationalen Innovationssystemen. <br>Bild: Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen

Wissenschaftliche Studie belegt: Max-Planck-Institute leisten mit der Heranbildung hochqualifizierter Nachwuchskräfte einen wesentlichen Beitrag zum Wissenstransfer in die Wirtschaft

Die Migration von Wissenschaftlern aus Max-Planck-Instituten in Wirtschaft und Industrie ist ein wichtiger Mechanismus des Wissenstransfers aus der Grundlagenforschung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie über die wirtschaftlichen Effekte der Grundlagenforschung, die Christian Zellner, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena, durchgeführt hat. In einer gerade in der November-Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift „Research Policy“ erschienenen Analyse zeigt er, dass ehemalige Max-Planck-Wissenschaftler vor allem ihre in der Forschung erworbenen Fähigkeiten zur Analyse komplexer Probleme und ihr abstraktes Denkvermögen in eine Vielzahl von Tätigkeitsfelder fruchtbringend einbringen. In der Regel wird dies durch Hintergrundwissen in der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin und ein breites Verständnis für naturwissenschaftliche Zusammenhänge noch unterstützt. Gleichzeitig eröffnet sich Unternehmen durch die Einstellung dieser Wissenschaftler die Möglichkeit, neueste Erkenntnisse der Grundlagenforschung zu identifizieren und für Produkte und Dienstleistungen nutzbar zu machen. Diese „Absorption“ ist, so zeigt es die Studie, einer der wichtigsten Wege für die Verwertung von neuem Wissen in nationalen Innovationssystemen.

Wie trägt Grundlagenforschung in modernen, zunehmend wissensbasierten Volkswirtschaften zur Wertschöpfung bei? Über welche Kanäle und Mechanismen gelangt neues Wissen in Wirtschaft und Industrie? Und inwieweit beeinflusst die Sichtbarkeit dieser Mechanismen die öffentliche Wahrnehmung, welchen wirtschaftlichen Beitrag die Grundlagenforschung tatsächlich leistet? Die empirische Innovationsforschung analysiert vor allem den Transfer kodifizierten Wissens oder besser von „Informationen“, zum Beispiel anhand der Intensität, mit welcher wissenschaftliche Veröffentlichungen in Patenten zitiert werden. Hingegen wurde die Mobilität der Wissenschaftler selbst lange Zeit vernachlässigt. Die übliche Unterscheidung in kodifiziertes und implizites Wissen führt oft zu der Ansicht, dass sich Wissenschaft im allgemeinen und speziell die Grundlagenforschung weitestgehend auf die direkt daraus resultierenden Theorien und konkreten Erkenntnisse reduzieren lässt. Dabei ist unbestritten, dass die Produktion von kodifiziertem Wissen eine der Hauptaufgaben der Grundlagenforschung ist. Doch eine solche begriffliche Verengung läuft Gefahr, weitere wichtige Aspekte des Wissenstransfers und damit letztlich auch die ökonomische Bedeutung der Grundlagenforschung a priori aus den Augen zu verlieren.
Christian Zellner vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen hat daher eine neue, genauere Systematik entwickelt, um die verschiedenen, in der Grundlagenforschung entstehenden Wissenstypen erfassen und bewerten zu können. Wissen lässt sich danach unterteilen in

a. wissenschaftliche Fähigkeiten,
b. Faktenwissen und
c. technisches Wissen und Fertigkeiten.

Diese drei Kategorien unterteilen sich jeweils noch einmal in fachspezifisches Spezialwissen und fächerübergreifendes Hintergrundwissen. Die Unterscheidung in Faktenwissen, methodisches Wissen und technisches Wissen folgt der Annahme, dass die Eigenschaften der Wissenstypen auch wesentlich ihre Transferierbarkeit in die Wirtschaft bestimmen. So liegt die Vermutung nahe, dass sich methodisches Wissen wesentlich schwieriger in kodifizierter Form übertragen lässt als theoretisches Faktenwissen. Weiterhin wurde Wissen danach unterschieden, wie spezifisch es für die Bearbeitung eines bestimmten Themas in der Grundlagenforschung ist. Man kann dabei davon ausgehen, dass bestimmte Typen von Wissen so speziell sind, dass sie nur innerhalb eines Forschungsgebiets erworben werden können. Hingegen können analytische Fähigkeiten und abstraktes Denkvermögen im Kontext unterschiedlichster Fragestellungen trainiert werden.

Die Fähigkeiten und Fertigkeiten von Wissenschaftlern umfassen somit neben dem zu erwartenden spezialisierten Faktenwissen, in das die direkten Ergebnis der Forschungstätigkeit einfließen, noch fünf weitere Wissenskategorien:

Einteilung der Fähigkeiten und Fertigkeiten von Wissenschaftlern nach Wissenskategorien

NICHT-SPEZIFISCHES WISSEN SPEZIFISCHES WISSEN
WISSENSCHAFTLICHE FÄHIGKEITEN (scientific skills) Nicht-fachspezifische analythische Fähigkeiten zur Formulierung und Lösung komplexer Sachverhalte Fachspezifisches methodisches Wissen (spezielle Techniken, experimentelle Prüfverfahren)
FAKTENWISSEN (propositional knowledge) Breite allgemeine Kenntnisse und Vertrautheit mit dem Fachgebiet Spezialisiertes inhaltliches Faktenwissen (theoretisches Wissen, Materialeigenschaften u.ä.)
TECHNISCHES WISSEN (technicalities) EDV / Informatikkenntnisse (Datenanalyse, Programmiersprache, Erstellung von Simulationen) Kenntnisse zu Spezialgerätschaften, Instrumentarien oder spezieller Labortechnik

Um die wirtschaftliche Bedeutung dieser sechs unterschiedlichen Wissenselemente abschätzen zu können, hat Zellner den Verbleib von Wissenschaftlern recherchiert, die zwischen 1990 und 2001 aus Instituten der Max-Planck-Gesellschaft ausgeschieden sind. Er konzentrierte sich dabei auf insgesamt neun Max-Planck-Institute (MPI), davon drei aus der Biologisch-Medizinischen und sechs aus der Chemisch-Physikalisch-Technischen Sektion. Zwischen 1990 und 2001 haben an diesen Instituten allein etwa 1.700 Doktoranden ihre Dissertationen beendet. 569 von ihnen wurden im Rahmen der Studie mit einem Fragebogen zu ihrem weiteren Berufweg und ihrer gegenwärtigen Tätigkeit kontaktiert, 214 von ihnen (37,6 Prozent) antworteten.

Die Umfrage ergab sehr eindeutige Ergebnisse:

1. Nicht-spezifisches Wissen wird für wichtiger erachtet als spezifisches Wissen. Das gilt für Faktenwissen, wissenschaftliche Fähigkeiten sowie technisches Wissen gleichermaßen.

Ehemalige Max-Planck Wissenschaftler wenden also in der Privatwirtschaft in erster Linie ihre analytischen Fähigkeiten zur Lösung komplexer Probleme an und nutzen dafür auch ihre breiten Kenntnisse aus dem jeweiligen Fachgebiet. Während in der empirischen Innovationsforschung in aller Regel der Transfer direkter Forschungsergebnisse hervorgehoben wird, zeigt die neue Studie, dass dies nur ein Aspekt des Wissenstransfers ist.

2. Den in der Grundlagenforschung erworbenen wissenschaftlichen Fähigkeiten wird ein höherer Stellenwert beigemessen als dem eigentlichen Faktenwissen (innerhalb des spezifischen wie auch des nicht-spezifischen Wissens).

Das zeigt, dass methodisches Wissen ein höheres Potential zur Wertschöpfung in anderen Problem- und Tätigkeitsfeldern aufweist. Gleichzeitig erscheint dieses Resultat vor dem Hintergrund gängiger Definitionen des Begriffs „Grundlagenforschung“ einleuchtend, die in der Regel die Isolation vom direkten Anwendungsbezug unterstreichen.

Bemerkenswert ist die Stabilität, mit der die Befragten die Bedeutung der verschiedenen Wissenselemente angaben. Zum Zeitpunkt der Befragung waren 41 Prozent der Befragten in der Forschung und Entwicklung tätig, 13 Prozent in der Produktion, 15 Prozent im Management, 9 Prozent in der EDV und Softwareentwicklung, 12 Prozent in beratenden Funktionen oder im Patentwesen und 7 Prozent im Marketing und Vertrieb. Trotz dieser unterschiedlichen Tätigkeiten schätzten sie die Bedeutung der Wissenselemente sehr ähnlich ein – mit der Ausnahme, dass technisches Wissen über die Forschungsinfrastruktur in seiner Bedeutung stark branchenabhängig ist.

Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, ob der Unternehmensbereich und die Art der ausgeübten Tätigkeit überhaupt einen zentralen Einfluss auf die Intensität des Wissenstransfers haben. In der Studie wird diese Frage eindeutig bejaht – besonders, wenn man die Rolle einer Tätigkeit in Forschung und Entwicklung (F & E) im Karriereverlauf betrachtet. Während zum Zeitpunkt der Befragung nur noch 41 Prozent der früheren Max-Planck-Wissenschaftler im F & E Bereich tätig waren, hatten immerhin 59 Prozent ihre Industriekarriere in der industriellen Forschung begonnen. Dies verdeutlicht zum einen, dass Unternehmen großes Interesse haben, Grundlagenforscher in ihren Forschungslaboren zu beschäftigen. Zum anderen zeigen die Daten zum Karriereverlauf, dass sich die Wissenschaftler nach einigen Jahren gleichmäßiger über unterschiedliche Unternehmensbereiche verteilen. So scheint es durchaus typisch zu sein, von der Forschung und Entwicklung später in die Produktion oder ins Management zu wechseln. Während daneben eine lange Verweildauer in der F & E nicht ungewöhnlich ist, ist umgekehrt ein Wechsel aus anderen Tätigkeitsgebieten in die Forschung jedoch sehr untypisch.

Betrachtet man die Untersuchungsergebnisse speziell für die Befragungsteilnehmer in der industriellen Forschung, so fällt auf, dass fachspezifischem Wissen hier höhere Bedeutung beigemessen wird als dies in anderen Unternehmensbereichen der Fall ist. Dies bestätigt die Hypothese, dass die Einstellung von Wissenschaftlern für Unternehmen ein wichtiger Mechanismus ist, um Zugang zu neuem Wissen aus der Grundlagenforschung erlangen.

Die relativ hohe Intensität des Transfers von spezifischem Wissen in die industrielle Forschung und Entwicklung zeigt zudem, dass nicht nur generische Wissenselemente aus der Grundlagenforschung in der Praxis von Bedeutung sind. Vielmehr finden dort über das Einstellen von Grundlagenforschern auch neue Methoden, Verfahren und Erkenntnisse des Fachgebiets ihren Weg in die Anwendung. Das Ausmaß des Transfers und die Zeitspanne bis zur tatsächlichen Umsetzung scheint jedoch in erheblichem Maße branchenabhängig zu sein. Von besonderer Bedeutung ist die Ausbildungsfunktion der Grundlagenforschung und der für die Unternehmen damit verbundene Zugriff auf neu entstandenes Wissen in den so genannten „science-based industries“. Dazu gehört heute nicht nur die Biotechnologie, sondern auch die Halbleiterindustrie und die chemische Industrie.

„Bei der Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen der Grundlagenforschung verwiest man zu Recht immer wieder auf die großen naturwissenschaftlichen Durchbrüche, die der Entwicklung radikal neuer Technologien oft vorangingen“, sagt Zellner. „Gleichzeitig darf dabei aber nicht vergessen werden, dass sich die Grundlagenforschung bei der Definition ihrer Forschungsprogramme eben nicht primär vom Anwendungspotential zukünftiger Ergebnisse leiten lässt und leiten lassen kann – was angesichts der historischen Erfolgsbilanz auch immer wieder als die Stärke der Grundlagenforschung unterstrichen wird.“

Gleichzeitig wirft die bewusste Distanz vom unmittelbaren Anwendungsbezug aber regelmäßig auch Fragen nach der „Bringschuld“ der Forschung auf. Vor diesem Hintergrund zeigt die Untersuchung der Karriereverläufe ehemaliger Wissenschaftler, dass die Intensität des Wissenstransfers nur sehr bedingt vom direkten Anwendungsbezug ihrer früheren Forschungsfragen bestimmt wird. Grundlagenforschung hat also – neben den theoretischen Grundlagen für neue Technologien – einen weiteren Wertschöpfungseffekt. Angesichts der zunehmenden Wissensbasierung moderner Volkswirtschaften wächst deshalb die Bedeutung von Forschungsinstituten für die Ausbildung höchstqualifizierter Arbeitskräfte in Zukunft noch weiter an.

Die Ergebnisse der Studie mahnen auch jene zur Vorsicht, die – nicht selten – Rufe nach mehr „Relevanz“ der Grundlagenforschung anstimmen. Die Gefahr derartiger Forderungen liegt darin, dass man die „Relevanz“ vor allem bei den Forschungsprogrammen und den dann erzielten Ergebnisse einfordert. Doch gerade das ist nicht die Aufgabe, die Grundlagenforschung zu erfüllen hat und untergräbt die Logik, die der Arbeitsteilung bei der Generierung neuen Wissens zugrunde liegt. So heißt es in der Studie zum Abschluss: „…es wurde gezeigt, dass die direkte ’Relevanz’ der Grundlagenforschung für ein nationales Innovationssystem in großem Umfang in der Fähigkeit zur Problemlösung besteht, die sie den Menschen vermittelt.“ Zellner selbst dazu: „Gerade im Verhältnis zu Patentanmeldungen und der Ausgründung von Spin-off-Firmen sollte die wirtschaftliche Bedeutung des Wissens, über das die einzelnen Wissenschaftler beim Übertritt in ein Industrieunternehmen verfügen, nicht unterschätzt werden.“

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Christian Zellner
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena
Tel.: 03641 6868-30
Fax: 03641 6868-68
E-Mail: zellner@mpiew-jena.mpg.de

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Christian Zellner Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpiew-jena.mpg.de

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