Wissenschaft auf Abwegen: Die Welteislehre

Erhebt eine Lehre einen wissenschaftlichen Anspruch für sich, den sie objektiv aber nicht erfüllen kann, spricht man von Pseudowissenschaft. Als solche wird die 1894 von dem Österreicher Hanns Hörbiger „entdeckte“ Welteislehre eingestuft, welche die Entstehung des Universums auf das Vorkommen von kosmischem Eis zurückführt. Sie besagt, dass Eismonde und -planeten sowie der eisige „Weltäther“ die gesamte Entwicklung des Weltalls bestimmen. Heute gilt die Theorie als kuriose Idee, die wissenschaftlich nicht haltbar ist.

Doch dem war nicht immer so, wie ein Projekt des Instituts für Geschichte, Universität Wien, nun aufzeigt. Obwohl wissenschaftliche Fachleute die Welteislehre schon damals ablehnten, fand diese Mitte der 1920er Jahre im deutschsprachigen Raum eine große Anhängerschaft in der Laienwelt und wuchs schließlich zu einer wahren Weltanschauungsbewegung an.

EISZEIT FÜR DIE WISSENSCHAFT
Grundlegend für die große Begeisterung in der Bevölkerung war Hörbigers gezielte Verbreitung seiner Lehre, wie Projektmitarbeiterin Dr. Christina Wessely erklärt: „Die Welteislehre zeichnete ein einfaches und anschauliches Weltbild in Form einer Erzählung. Dabei wurden astronomische und geologische Vorgänge mit spektakulären Geschichten gepaart, die fantastischen Abenteuerromanen glichen. Während diese Theorie einfach vorstellbar war, schienen die akademischen Naturwissenschaften nur Zahlen und abstrakte Formeln anzubieten zu haben und unverständlich und lebensfremd zu sein. Die Welteislehre wurde von den Menschen auf der Straße damit im Vergleich zu den etablierten Naturwissenschaften als weniger esoterisch empfunden.“ Die Folge war ein Richtungsstreit darüber, was wissenschaftlich sei, wobei der „gesunde Menschenverstand“ der breiten Öffentlichkeit der Meinung der Fachleute entgegenstand.

Nach dem Tod Hanns Hörbigers zu Beginn der 1930er Jahre ebbte die Begeisterung für die Welteislehre zunächst ab, lebte jedoch im Nationalsozialismus wieder auf. Neben Heinrich Himmler, der Forschungen auf diesem Gebiet förderte und unter seinen persönlichen Schutz stellte, hegte auch Hitler Interesse für die Welteislehre. Die Wissenschaftlichkeit der Welteislehre sollte mittels politischen Drucks durchgesetzt werden – der Widerstand seitens deutscher PhysikerInnen und AstronomInnen war dennoch groß. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges galt die Welteislehre nicht nur als falsche Theorie, sondern überdies als nationalsozialistische Pseudowissenschaft und verschwand weitgehend aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit.

SIEGESZUG DER WISSENSCHAFT

Das Projekt, welches große Mengen bisher gänzlich unbearbeiteter Materialien verwendet hat, gibt bedeutende Einblicke in die gesellschaftliche, weltanschauliche und schließlich auch politische Bedeutung der Popularisierung von Naturwissenschaft und Technik zur damaligen Zeit. Es widerlegt bisherige Annahmen eines geradlinigen „Siegeszuges“ der Wissenschaften und zeigt vielmehr, dass diese nicht immer nur überzeugen, sondern zum Teil sogar vehement gegen „falsche Weltbilder“ ankämpfen mussten.

„Am Beispiel der Welteislehre“, so Dr. Wessely, „zeigt sich ganz klar, wie die Grenzen zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft verschwimmen können. Es wird deutlich, dass die Geschichte der modernen Wissenschaften immer auch die Geschichte fantastischer Projekte und spektakulärer Irrtümer ist.“ Diese Irrtümer stellen die modernen Wissenschaften zwar in Frage, fordern sie gleichzeitig jedoch auch heraus und treiben sie voran. In letzter Konsequenz tragen die Pseudowissenschaften damit weniger zur Zerstörung als zur Stärkung der „wahren“ Wissenschaft bei. Diese und weitere Erkenntnisse zum Phänomen Welteislehre werden nun in Kürze in einem von Dr. Wessely mitherausgegebenen Sammelband zum Thema Pseudowissenschaft nachlesbar sein.

Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Christina Wessely
Universität Wien
Institut für Geschichte
Dr. Karl-Lueger-Ring 1
1010 Wien
T +43 / 1 / 4277 – 40 878
E christina.wessely@univie.ac.at
Der Wissenschaftsfonds FWF:
Mag. Stefan Bernhardt
Haus der Forschung
Sensengasse 1
1090 Wien
T +43 / 1 / 505 67 40 – 8111
E stefan.bernhardt@fwf.ac.at

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