Untersuchungen mit dem Computertomographen bei Audi: Von der Aluminium-Karosserie zur ägyptischen Mumie

So genau hat noch keine Anlage die Karosserien bei Audi untersucht: Mit einer Detailgenauigkeit von einem My-Meter, das entspricht etwa dem Hundertstel eines Haardurchmessers, durchleuchtet ein in seinem Aufbau weltweit einmaliger Computertomograph (CT) bei Audi in Neckarsulm nicht nur einzelne Bauteile, sondern – und das ist die Besonderheit – komplette Karosserien. Der Vorteil, Objekte vollkommen berührungslos und zerstörungsfrei zu überprüfen, hat dazu geführt, dass auf der CT-Anlage bei Audi nun auch ein ganz besonderer „Patient“ untersucht wurde: eine rund 2.000 Jahre alte Ibis-Mumie aus Abydos in Ägypten, die vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt zur Verfügung gestellt wurde.

Dr. Erwin Keefer vom Landesmuseum Württemberg ist begeistert von den ersten Bildern der antiken Kostbarkeit: „Dies ist das erste Mal, dass in Deutschland ein mumifiziertes Objekt in einer industriellen CT-Anlage durchleuchtet wurde – die einmalig hochauflösenden Aufnahmen bringen uns bei der unserer Forschung einen großen Schritt weiter“.

Keefer sieht in der CT-Anlage bei Audi die innovativste Methode für die Untersuchung von mumifizierten Objekten. Bisher konnten lediglich zweidimensionale Röntgenbilder erstellt werden, die Aufnahmen der CT-Anlage sind um den 50-fachen Faktor schärfer. Damit können dreidimensionale Bilder erstellt werden, anhand derer man die Federäste des mumifizierten Vogels sogar auf Milben oder Flöhe untersuchen kann.

Die Bilder des Ibis geben dem Forscherteam detaillierte Informationen zum Gesamterhaltungszustand des heiligen Vogels aus Ägypten. So können Keefer und sein Team Rückschlüsse auf die Haut und deren Oberfläche, Mageninhalt, Sehnen, Organe oder Halswirbelsäule ziehen – zellgenaue Informationen, die auf den zweidimensionalen Bildern der Röntgengeräte im Verborgenen blieben.

Auch die Präparatorin des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Michaela Kurbel, sieht große Vorteile in der Computertomographie: „Wir können die Mumie vollständig entkleiden, ohne dabei ihre Hülle physisch zu zerstören – so bleibt uns die Mumie komplett erhalten.“ Mittels einer 3-D-Animation soll der heilige Ibis sogar zum Fliegen gebracht werden.

Ibisse aus dem alten Ägypten zählen zu den häufigsten Tiermumien. Die Vögel wurden in großer Anzahl in Volieren gehalten. Einziger Sinn und Zweck war, sie als Weihegaben nach ihrem Tod einzubalsamieren, da sie eine Verkörperung des Gottes Toth darstellten.

Doch zurück zur eigentlichen Aufgabe der CT-Anlage bei Audi in Neckarsulm: Die rund eine Million Euro teure und zehn Tonnen schwere Anlage nimmt normalerweise Verbindungstechniken im Aluminium- und Leichtbau ganz genau unter die Lupe. Röntgenstrahlen durchleuchten dabei scheibenweise Schweißnähte, Stanzverbindungen, Laserschweißnähte und Clinchverbindungen. „Eine wichtige Neuerung ist, dass die Teile berührungslos und damit zerstörungsfrei überprüft werden können“, sagt Dr. Manfred Sindel von der Qualitätssicherung Aluminiumtechnologie bei Audi.

Bisher mussten Einzelteile aus der Karosserie herausgeschnitten werden, um sie auf mögliche Ungenauigkeiten zu untersuchen. Die Einsatzmöglichkeiten des CT sind vielfältig: Das Spektrum umfasst kleinste Elektronik-Komponenten mit Abmessungen von drei Millimetern bis zu Karosserieteilen von über fünf Metern Länge.

Während Patienten in der Medizin liegend im Computertomographen untersucht werden, sind die Objekte in der industriellen Anwendung zunächst stehend auf einem Drehteller positioniert. Damit auch große Bauteile, wie zum Beispiel ganze Karosserien, überprüft werden können, wurde die Anlage von Audi maßgeschneidert für den Automobilbau. So werden die großen Bauteile an einem Roboter befestigt, der sie in die gewünschte Position bringt.

Während der Drehung des Objekts im Röntgenstrahl erstellt der Computertomograph für 100 bis 1.000 verschiedene Winkelstellungen Röntgenprojektionsbilder. Dazu steht das zu durchleuchtende Objekt zwischen einer Röntgenquelle, die Strahlen abgibt, und einem Röntgendetektor, der die Röntgenstrahlung in elektrische Signale umwandelt und ein so genanntes Schattenbild erstellt. Die aus den so entstehenden Aufnahmen gewonnen 3-D-Rekonstruktion des Untersuchungsobjektes ermöglicht viele unterschiedliche Blickwinkel.

So kann der Betrachter zum Beispiel per Computer einen virtuellen Schnitt durch das Objekt ziehen oder es von innen „durchfliegen“, um in jeder Perspektive einen Eindruck von der physischen Beschaffenheit zu erhalten.

Der Computertomograph selbst befindet sich in einer 45 Quadratmeter großen Strahlenschutzkabine, die von speziell geschulten Mitarbeitern bedient wird. Die Zusatzqualifikationen der Mitarbeiter umfassen in erster Linie den Anlagenbetrieb, die Anlagenwartung, eine Auswertung der Messergebnisse mit geeigneter Software sowie den Röntgenschutz.

Das Ziel für Projektleiter Dr. Michael Brodmann und sein Team war es insbesondere, mit Hilfe der Anlage kürzere Arbeitsprozesse, wozu die eigentliche Untersuchung und die Auswertung der Ergebnisse gehören, zu realisieren. Inzwischen wird die Fertigungstechnik der Audi A8-Karosserie serienmäßig mit Hilfe der CT-Anlage überwacht.

Pro Jahr werden mehrere vollständige Karosserien komplett untersucht. Dabei werden tausende Verbindungen detailgenau vermessen und zerstörungsfrei bewertet.

„Daneben wird die Anlage ebenso für Projekte zur Definition von Qualitätsstandards und zur Bemusterung von Neuteilen eingesetzt“, so Brodmann. Auch aus der Untersuchung des ungewöhnlichen „Patienten“, der Ibis-Mumie, zieht Brodmann einen Nutzen: „Wir haben die Möglichkeit, die Anlage an vollkommen anderen Materialien zu testen und können sowohl weitere Erfahrungen in der Anwendung der Anlage als auch in der Weiterverarbeitung der Daten sammeln“. Und vielleicht wird irgendwann auch einmal ein richtiger Pharao durchleuchtet.

Media Contact

Eric Felber Audi AG

Weitere Informationen:

http://www.audi.de

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