Vierkanthöfe in Oberösterreich: "Diese Häuser hat der Most gebaut"

Bürgerhäuser und Stifte dienten als Vorbild für die Vierkanter. Foto: Johann Illich-Edlinger<br>

So alt sind die rund 10.000 Vierkanthöfe Oberösterreichs und die 3.000 in Niederösterreich noch gar nicht, obwohl sie heute aus der Landschaft nicht mehr wegzudenken sind. Entstanden sind die meisten von ihnen vor rund 150 Jahren, zu einer Zeit, als sich Wohlstand in der Mostregion ausbreitete.

„In der damaligen Zeit stellte der Vierkanthof die ideale Bewirtschaftungsform dar. Der geschützte und von allen vier Seiten umgebene Hofbereich, der angrenzende Stall, Schuppen sowie der Wohnbereich ergeben ein geschlossenes und durchaus ökonomisches Ganzes“, erklärt Martin Heintel vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien, der gemeinsam mit Norbert Weixlbaumer und Werner Dietl sowie Studierenden die umfassende EU-Studie durchführte.

100 Jahre Blütezeit: Vom Bau der Kaiserin-Elisabeth-Bahn bis zur Agrarreform
Wesentlicher Grund für den beginnenden Wohlstand war die Fertigstellung der Kaiserin-Elisabeth-Bahn – heute Westbahn –1858 von Wien bis Linz und ab 1860 auch durchgehend bis Salzburg. Dadurch konnten die Bauersleute des Mostviertels ihre Ernteprodukte auch auf den Märkten in Wien, Linz und Salzburg feilbieten und so ihre Einnahmen aufbessern.

Die neue Bahnverbindung brachte auch Arbeiter und Migranten in die prosperierende Region, die dort mit offenen Armen empfangen wurden, da Arbeitskräfte für Ernte, Transport und Bauarbeiten gebraucht wurden. Die Vierkanthöfe wurden zum Zeichen des Wohlstandes. In Anlehnung an städtische Bürgerhäuser sowie an Stifte – z.B. St. Florian – wurde die vormalige „Haufensiedlung“, also einzelne Gebäude mit unterschiedlicher Nutzung, zu einem einzigen großen, fast „wehrhaft“ anmutenden Bau umgestaltet.

Mit Beginn der Agrarrevolution in den 1950er Jahren begann der langsame Abstieg. „Landwirtschaftliche Maschinen wurden größer, sie passten nicht mehr in die Hofeinfahrt. Es kam zu großen strukturellen Veränderungen mit höherer Produktion und besserer Infrastruktur. Der geschlossene Vierkanthof passte nicht mehr optimal“, so der Regionalforscher Martin Heintel.

Vier Nutzungsprofile in Haag
In ihrer von der EU geförderten Pilotstudie zum Status Quo der Vierkanthöfe in der Region Haag dokumentierten die Geographen Heintel, Weixlbaumer und Dietl alle 207 Höfe. Vier wesentliche Nutzungsprofile konnten sie dabei identifizieren: verlassene, beharrende, spezialisierte sowie umgewidmete Vierkanthöfe. „Verlassene Höfe machen dabei nur einen kleinen Teil aus“, betont Norbert Weixlbaumer: „Die meisten Landwirte haben sich spezialisiert, viele Höfe wurden auch umgebaut und einer anderen Nutzung zugeführt, z.B. werden sie als Büros oder Herbergen genutzt.“ In den sogenannten beharrenden Vierkantern leben ältere Leute, die versuchen das Bestehende zu retten und zu erhalten. „Das ist oft nicht so einfach, da ein Vierkanthof immer eine Baustelle ist“, so ein Landwirt aus der Region.
Am erfolgreichsten: Spezialisierung und Umbau
Die „erfolgreichsten“ BesitzerInnen von Vierkanthöfen haben sich in der Landwirtschaft spezialisiert und so eine Nische für sich gefunden, sei es im Biolandbau, in der Umstrukturierung zu Großbetrieben oder in der Intensivierung von Mostanbau, der in manchen Regionen durchaus noch eine Rolle spielt. Drei Betriebe erzeugen heute Schnaps in großem Stil. Auch eine Nutzung abseits der Landwirtschaft – z.B. Pensionen, Ferienwohnungen, Büros, etc. – hat sich bewährt.

Die Ergebnisse wurden auch als Buch „vierkanter haag. entwicklungsperspektiven eines regionalen kulturgutes“ veröffentlicht. Diese ist jedoch aufgrund der großen Nachfrage bereits vergriffen. Die Studie wurde finanziell unterstützt von Bund, Land, Europäischer Union, LEADER Region Tourismusverband Moststraße, Stadtgemeinde Haag und der Universität Wien. Im Benediktinerstift Seitenstetten läuft noch bis 4. November 2012 die Sonderausstellung „Leben im Vierkanthof – wo Bauern und Mönche beten und arbeiten!“

Wissenschaftlicher Kontakt
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Martin Heintel
Institut für Geographie und Regionalforschung
Universität Wien
1010 Wien, Universitätsstraße 7
T +43-1-4277-486 22
martin.heintel@univie.ac.at
http://humangeo.univie.ac.at/team/martin-heintel/
Rückfragehinweis
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Alexandra Frey Universität Wien

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