Mit wie viel Lärm kann man rechnen?

Wer in der Nähe eines Supermarktes wohnt, hört meistens sehr genau, wann dieser Markt beliefert wird: Der Lärm der LKW stört nicht nur, er liegt auch oftmals ohne weitergehende Schallschutzmaßnahmen über den erlaubten Grenzwerten. Ein Grund dafür ist, dass die in der Planungsphase berechneten Lärmimmissionen mit den später tatsächlich auftretenden nicht übereinstimmen.

Die Modelle, die den Schallberechnungen zugrunde liegen, weisen im Allgemeinen Ungenauigkeiten auf, weil sie typische Schallphänomene unberücksichtigt lassen. Deshalb hat die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Kooperation mit dem Institut für Angewandte Mechanik der Technischen Universität Braunschweig ein variables Modell einer Anlieferzone erstellt und daran gemessen, wie sich der Schall von Ladevorgängen unter verschiedenen Bedingungen ausbreitet. Auf der Grundlage dieser akustischen Messungen sollen Schwächen des Prognoseverfahrens behoben werden.

Lärmbelastungen durch Ladevorgänge von LKW treten in Wohngebieten vor allem an Nahversorgungsmärkten auf. Deshalb muss bereits im Genehmigungsverfahren vor dem Bau eines Supermarkts nachgewiesen werden, dass die Nachbarschaft nicht unzulässigem Lärm ausgesetzt wird. Doch die rechnerischen Prognosen, mit denen das geschieht, weisen prinzipielle Unsicherheiten bei den errechneten Schallpegeln auf. Sie berücksichtigen die komplexe geometrische Situation oft nicht ausreichend, wenn der Schall zum Beispiel an Häuserfassaden gebeugt oder von ihnen reflektiert wird. Aus diesem Grund werden Lärmbelastungen im Genehmigungsverfahren oft mit zu großen Unsicherheiten prognostiziert.

Das hat Folgen für die Wohnsituation, die Städteplanung und die Umwelt: Wird die Lärmbelastung niedriger eingestuft, als sie dann tatsächlich ist, werden die Anwohner durch die Ladevorgänge einer zu hohen Lärmbelastung ausgesetzt. Wird das Lärmpotential fälschlich als zu hoch eingestuft und werden dadurch kleine Supermärkte in Wohngebieten nicht genehmigt, dann öffnen mehr und mehr Supermärkte ihre Türen in Randbezirken. Das führt wiederum zu Zersiedelung und längeren Autofahrten, bei denen mehr Treibhausgase ausgestoßen werden.

Die Entwicklung eines neuen Berechnungsmodells wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert. Die Grundlage bilden akustische Messungen, die in der PTB durchgeführt wurden. Um die Schallausbreitung zu messen, haben die Wissenschaftler ein variables Modell eines LKW samt Supermarktfassade im Maßstab 1:8 aufgebaut. Dessen einzelne Bestandteile können verändert werden, um die Ausbreitung von Schallwellen unter verschiedenen räumlichen Bedingungen zu ermitteln. Die Messungen finden in einem Halbfreifeldraum statt, dessen Wände und Decke mit Schall absorbierenden Materialien ausgekleidet sind. Auf diese Weise wird das Verhalten des Schalls „unter freiem Himmel“ nachgebildet: Nur der Boden des Raumes und die Bauteile des Modells können den Schall reflektieren.

Bei der Schallermittlung an Modellen können die PTB-Wissenschaftler auf einen großen Erfahrungsreichtum zurückgreifen. Messungen an Modellen sparen enorme Kosten, die entstehen würden, wenn man für Schall-Messungen reale Gebäude baulich verändern müsste. Inzwischen sind die Messungen abgeschlossen. Sie bilden die Basis für die rechnerischen Modelle zur Schallprognose, die am Institut für Angewandte Mechanik der TU Braunschweig weiterentwickelt werden. ptb/msi

Ansprechpartner
Dr. Martin Schmelzer, PTB-Arbeitsgruppe 1.72 Angewandte Akustik,
Tel.: (0531) 592-1547, E-Mail: martin.schmelzer@ptb.de

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