Sicherheit nach Plan

Der Blick aus dem 30. Stockwerk eines Hochhauses in der Berliner Gropiusstadt ist überwältigend – doch wohnen möchten viele hier nicht. Dabei sollten soziale und bauliche Rehabilitationsmaßnahmen Hochhausquartieren in den vergangenen Jahren europaweit auch ein besseres Image verpassen.

Soziologen am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht und internationale Forscher haben nun untersucht, ob kriminelle Delikte zurückgegangen sind und sich Mieter dadurch tatsächlich sicherer fühlen. Eine Autorin der MaxPlanckForschung hat sich in zwei Berliner Siedlungsgebieten umgeschaut und berichtet darüber in der neuesten Ausgabe des Forschungsmagazins (MaxPlanckForschung 2/2007).

Monotone Fassadenfronten und dunkle Häuserschluchten. Die Großwohnsiedlungen Marzahn im ehemaligen Ostberlin und Gropiusstadt im Westen der Stadt gelten als Problembezirke. Die Bewohner der Mietskasernen fühlen sich immer mehr bedroht – obwohl die Fallzahlen der Kriminalitätsstatistiken in beiden Arealen leicht sinken; eine offensichtliche Schere zwischen Wahrnehmung und Realität. Das zeigt auch die Studie, die eine internationale Gruppe aus England, Ungarn, Polen und Deutschland im Rahmen eines europäischen Förderprogramms durchgeführt hat. Der Soziologe Tim Lukas, Doktorand am Max-Planck-Institut für Strafrecht hat die Befragungen in Berlin geleitet. Die Forschungsfrage der Wissenschaftler war, ob baulich-architektonische Eingriffe in solchen Hochhausquartieren der Kriminalität entgegenwirken und ob die Bewohner dadurch auch weniger Angst vor Kriminalität haben. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Menschen vor fünf Jahren zufriedener gewesen sind als heute. Doch obwohl sich die Befragten in beiden Berliner Arealen im Jahr 2005 weniger sicher fühlten als in 2000, verblüfft Marzahn mit einer Erfolgsnachricht: Etwa 75 Prozent der Mieter finden ihre Gegend sogar attraktiv.

Dieses und andere Ergebnisse gewannen die Forscher in schriftlichen Befragungen. Jeweils 500 Bewohner über 18 Jahren gaben per Fragebogen Auskunft über ihre Einstellung zu Kriminalität und Unsicherheitsgefühlen. Die Forscher wählten dabei bewusst den Vergleich von zwei Hochhaussiedlungen, die im Osten und im Westen vor dem Mauerfall entstanden sind. „Viele Plattenbauten wurden damals hochgezogen und galten als Errungenschaften der Moderne“, sagt Lukas. „Doch wenige Jahrzehnte später bröckelte der Lack.“

Seit Mitte der 1980-er Jahre litten viele Großwohnsiedlungen unter Mieterschwund und Imageverlust. Jugendliche Gewalt und Vandalismus machten sich in den anonymen Häuserschluchten breit. Modernisierungsprogramme und städtebauliche Eingriffe sollten die Wende bringen und den Hochhauskomplexen einen Mieterschub verschaffen.

„Städtebauförderprogramme wie die Soziale Stadt zielten auf die Verbesserung des Lebensraumes ab und sollten das Image erhöhen“, erklärt Lukas. Ein sicheres Lebensgefühl und geringe Kriminalität sollten folgen. Ob es tatsächlich so ist, erfragten nun die Forscher in den unterschiedlichen Ländern. Die Ergebnisse überraschen: Das Sicherheitsgefühl sank trotz hoher Investitionen. Neun von zehn Gropiusstädtern fahren nur mit ungutem Bauchgefühl nachts mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. In Marzahn sind dagegen weniger Menschen ängstlich. Das liegt nach Vermutung der Forscher an dem hohen Anteil älterer Mieter in Gropiusstadt. „Die sind grundsätzlich ängstlicher als jüngere Menschen“, ergänzt Lukas.

Der Faktor Angst steht auch teilweise im Widerspruch zu leicht fallenden Kriminalitätsstatistiken. Obwohl in Gropiusstadt 2004 die Straftaten pro Einwohner mit 116 pro 1000 Einwohner unter den Anfangswert von 125 im Jahr 2000 gesunken sind, fühlen sich die Menschen dort erheblich unsicherer als im Ost-Pendant. In Marzahn sind die Straftaten im letzten Jahr leicht gesunken, aber immer noch knapp ein Viertel höher als in 2000. Diese unerwartete Zufriedenheit im Osten entsteht besonders durch die Bindung der Mieter an ihr Umfeld und die geringere Isolation.

Dieses Ergebnis gewannen die Forscher auch in Hochhaussiedlungen in Krakau und Budapest: Je höher die Bindung der Menschen an ihr Quartier, desto sicherer fühlen sie sich. Die Forscher wollten auch wissen, ob der Faktor Zeit die Bindung ans Quartier beeinflusst. „In der Literatur wird immer davon ausgegangen, dass die Nachbarschaftskontakte besser und die Bindung ans Viertel höher werden, je länger man dort wohnt“, berichtet der Soziologe Lukas: „Das haben wir in unserer Befragung nicht verifizieren können.“

Nach den Funden der Forscher muss nun eine Lösung gefunden werden, um die wachsenden Angstgefühle trotz stabiler Kriminalitätsstatistiken zu bekämpfen. Maßnahmen wie das Conciergemodell, eine Art multifunktionaler Hausmeister und Ansprechpartner, haben bereits Erfolg gezeigt und die soziale Kontrolle teilweise erhöht. Zusätzlich können gezielte Freizeitangebote und soziale Treffpunkte die Einwohner besser integrieren.

Eine ausführliche Version dieses Textes finden Sie im Schwerpunkt der neuesten Ausgabe der MaxPlanckForschung. Unter dem Titel „Gesellschaft im Konflikt“ beleuchten wir Themen, die die Gesellschaft herausfordern oder zumindest für Kontroversen sorgen. Diese Themen efordern zwar meist politisches Handeln, doch Wissenschaftler helfen die richtigen Lösungen zu finden. Nicht nur, wenn es um die Stadtplanung in Großwohnsiedlungen geht, um sie sicherer und als Wohnort attraktiver zu gestalten. Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft haben auch untersucht, wie das Strafrecht an neue Formen der Kriminalität etwa im Internet angepasst werden muss. Ob Kinderpornografie, Aktivitäten von Terroristen im Netz oder international operierende Betrüger – das nationale Strafrecht ist gegen diese Verbrechen oft stumpf. Wie Staaten, vor allem aber internationale Organisationen darauf reagieren können, ohne das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unverhältnismäßig zu beschneiden, schildern wir unter dem Titel „Verbrecherjagd im Datennetz“. Zwischen verschiedenen Rechtsgütern müssen Politiker auch angesichts des biomedizinischen Fortschritts abwägen. Die Schwierigkeiten Ethik und Recht dabei miteinander in Einklang zu bringen, beleuchten wir unter dem Titel „Wie die Moral zu ihrem Recht kommt“. Wie Feindbilder entstehen, ist Thema eines Interviews in unserem Schwerpunkt. Der Titel „Ethnische Pluralität löst keine Kriege aus“ verweist auf eine zentrale These unseres Gesprächspartners Günther Schlee. Demnach haben ethnische Konflikte wie auf dem Balkan, in Somalia oder in Sudan keine ethnischen Ursachen; sie entstehen vielmehr in komplexen Ausgangslagen, in denen ethnische Zugehörigkeit nur eine Randbedingung darstellt.

Im Essay analysieren die Autoren Gerd Gigerenzer und Wolfgang Gaissmaier die psychologische Wirkung von Terroranschlägen. Die beiden Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung führen aus, dass die Atmosphäre der Unsicherheit, die Terroranschläge schaffen, oft nicht der tatsächlichen Bedrohungslage entspreche. „Die Angst nach dem Terror“ sei vielmehr auch in der Natur des Menschen begründet.

In der Rubrik „Wissen aus erster Hand“ berichten Kai Sundmacher und Hannsjörg Freund vom Max-Planck Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme, wie sie der chemischen Industrie helfen, ihre Produkte deutlich sicherer, umweltfreundlicher und preiswerter herzustellen. Unter dem Titel „Kurzer Prozess im chemischen Reaktor“ stellen sie Ideen vor, um chemische Prozesse zu intensivieren.

Der „Kongressbericht“ fasst die Beiträge einer Tagung auf Schloss Ringberg zusammen, bei der sich Forscher auf Einladung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik über kosmische Gammablitze austauschten. Unter dem Titel „Gewaltiger war nur der Urknall“ fassen wir zusammen, welche Phänomene Forscher als mögliche Ursachen dieser extrem hellen Gammasignale diskutieren.

Warum wir von manchen Gütern und Dienstleistungen gar nicht genug bekommen können, obwohl sie nicht unsere Grundbedürfnisse befriedigen, lesen Sie dargestellt an der Entwicklung des Tourismus in dem Beitrag über „Heilbäder als Wirtschaftsquellen“. Und in der Rubrik „Zur Person“ porträtieren wir Ulrich Christensen, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. Er blickt den Planeten unter die Haut und simuliert die dynamischen Prozesse in ihrem Inneren – unter anderem, um die Stärke ihrer Magnetfelder zu erklären.

Dem Heft liegt der BIOMAX „Im Menschen ist der Wurm drin – was ein kleiner Nematode über unsere Gene verrät“ und der TECHMAX „Mit unbeschränkter Haftung – wie Gecko und Co die Materialforschung inspirieren“ bei.

MaxPlanckForschung erscheint viermal im Jahr. Das Wissenschaftsmagazin kann bei der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft oder über unser Webformular abonniert werden. Der Bezug ist kostenfrei.

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Dr. Bernd Wirsing Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

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