Empa-Technologie: ein Schwingungsdämpfer, der mitdenkt

Die „smarten“ Dämpfsysteme, die ihre Dämpfkraft den jeweiligen Brückenseilschwingungen anpassen können, sollen demnächst die „Sutong-Brücke“ über den Yangtse schwingungssicher machen – immerhin die Schrägseilbrücke mit der mit 1080 Metern weltweit grössten freien Spannweite zwischen den zwei Pylonen.

Unerwünschte Brückenschwingungen entstehen vor allem durch Wind und Verkehr. Orkanartige Winterstürme haben etwa im März 2005 und 2006 die bis zu 220 Meter langen Seile der „Franjo Tudjman Bridge“ im kroatischen Dubrovnik zu derart heftigen Schwingungen angeregt, dass Schäden an der Seilummantelung und an einzelnen Litzen des Seils entstanden. Dies reduziert die Tragsicherheit sowohl der Seile als auch der Brücke. Die Empa entwickelt in Zusammenarbeit mit der Industrie unter anderem adaptive Schwingungsdämpfer. Diese Feedback-geregelten, „magnetorheologischen Fluiddämpfer“ (MR-Dämpfer) verändern ihre Dämpfungskraft je nach tatsächlich vorhandener Seilschwingung. Das heisst: Je heftiger die Seile auf und ab schwingen – dies misst ein Bewegungssensor -, desto grösser wird die Dämpfkraft. Und da MR-Dämpfer auch bei Stromausfall mit ihrer Grunddämpfungskraft arbeiten, sind sie ausfallsicher.

Der regelbare Kraftbereich der MR-Dämpfer wird dabei an der Empa-Abteilung „Ingenieur-Strukturen“ von Felix Weber auf die jeweiligen Bedingungen vor Ort abgestimmt. Der Regelalgorithmus wurde ebenfalls an der Empa entwickelt und am Seilmodell in der Bauhalle in Dübendorf getestet und optimiert. Ende Juni letzten Jahres wurden adaptive MR-Dämpfer in einem ersten „Feldversuch“ an der Franjo Tudjman Bridge eingebaut und von den Empa-Forschern vor Ort überprüft. Die Messungen bestätigten die Wirksamkeit der von der Empa und der Münchner Firma Maurer Söhne entwickelten High-Tech-Dämpfer: Die Seile sind rund zehn Mal stärker bedämpft, was Spitzenwerte von rund zwei Metern – wie während der Stürme 2005 und 2006 erreicht – auf nur mehr etwa 20 Zentimeter Ausschlag reduzieren würde.

Auf nach China: Empa-Know-how goes East!

Kaum waren sämtliche Dämpfer installiert, wartete auf Weber bereits die nächste Herausforderung – in Form von 48 MR-Dämpfern und 228 Öldämpfern. Prototypen der MR-Dämpfer und der Öldämpfer hatte Maurer Söhne im letzten November nach Dübendorf geschickt, um sie von den Empa-Forschern auf ihren Einsatz in Fernost „tunen“ zu lassen. Ihr Einsatzort ist die chinesische „Sutong-Brücke“ über den Yangtse, die sich derzeit im Bau befindet. Keine leichte Aufgabe, handelt es sich bei der Sutong-Brücke doch um die Schrägseilbrücke mit der weltweit grössten freien Spannweite zwischen zwei Pylonen – 1080 Meter – mit Seillängen von bis zu 540 Meter. Die Öldämpfer kommen an den kürzeren Seilen zum Einsatz, die MR-Dämpfer, deren Dämpfkraft individuell geregelt wird, an den längeren.

An der Empa wurden die beiden Dämpfertypen auf „Herz und Nieren“ geprüft; zunächst passte Weber den Regelalgorithmus der MR-Dämpfer auf die Seilverhältnisse der Sutong-Brücke an. Bei den Öldämpfern optimierte er unter anderem die Ölmischung und die Ventilstellung. Nach Abschluss der Versuche wurden die Dämpfer per Luftfracht nach Shanghai transportiert. Mitte Januar machten sich Weber und seine Münchner Kollegen, Hans Distl und Wolfgang Fobo, ebenfalls auf gen Osten. Sie sollten die Dämpfer vor Ort – und vor den Augen ihrer chinesischen Kunden – an einem 228 Meter langen Originalseil auf ihre Dämpfeigenschaften testen.

Tests unter Zeitdruck – 30 Schwingungsversuche in eineinhalb Tagen
Nach einigen „Anlaufschwierigkeiten“ – die Dämpfer steckten acht Tage im Zoll fest, so dass Webers Team seinen Rückflug zweimal verschieben musste -, konnten die Ingenieure endlich Hand anlegen. Allerdings unter Zeitdruck: „Wir hatten nur noch eineinhalb Tage für sämtliche Tests – eigentlich nicht gerade ideal“, so Weber. Zunächst untersuchten sie, ob die Dämpfer inklusive Regelhardware und Bewegungssensoren die Reise unbeschadet überstanden hatten. Nach zufriedenstellenden Ergebnissen mussten Weber, Distl und Fobo auf dem Testgelände des chinesischen Seilherstellers „Fasten“ beweisen, dass die Dämpfer halten, was ihre Hersteller versprechen. In einem rund 250 Meter langen, einen Meter tiefen Betongraben wurde das 228 Meter lange Brückenseil gespannt. An drei Stellen – 6 Meter, 6.6 Meter und 7.8 Meter von der Verankerung – montierten Weber und seine Kollegen ihre Dämpfer. An der Seilmitte sowie im Viertels- und im Sechstelspunkt brachte Hans Distl das Seil dann zum Schwingen – mit ordentlich Muskelkraft und mit Hilfe eines Metronoms, das ihm die richtige (Eigen-)Frequenz des Seils angab, bei der die heftigsten Ausschläge zu erwarten sind.

Fazit der Tests: Die MR-Dämpfer erhöhen die Seileigendämpfung zum Teil sogar noch minim besser als auf der Franjo Tudjman Bridge – dank Webers Tuning des Regelalgorithmus an der Empa. Eine weitere Besonderheit der Regelung ist, dass der hohe Wirkungsgrad der Dämpfung an allen drei Dämpferpositionen erreicht wird, und zwar unabhängig von den angeregten Seilschwingungen. Bei Stromausfall sind die Dämpfer noch etwa halb so gut, allerdings nur für schwächere Seilschwingungen. Und wie erwartet dämpfen die Öldämpfer das Seil etwas weniger effizient als die geregelten MR-Dämpfer, da das Tuning der Öldämpfer einen Kompromiss für die verschiedenen getesteten Schwingungen darstellt. „Man kann passive Dämpfer wie diese Öldämpfer eben nur auf eine Schwingungsform und für eine Dämpferposition einstellen – im Gegensatz zu den geregelten MR-Dämpfern, wo Seildaten, Schwingungsform, Schwingamplitude und Dämpferposition in den Regelalgorithmus einfliessen“, erklärt Weber, der seinen Untersuchungsbericht bereits an die chinesischen Partner abgegeben hat. Sollten die ebenso zufrieden sein wie Weber und seine Kollegen von Maurer Söhne, könnten die Dämpfer bereits Ende 2007 eingebaut sein.

Fachliche Informationen
Dr. Felix Weber, Ingenieur-Strukturen, Tel. +41 44 823 45 36, felix.weber@empa.ch

Media Contact

Sabine Voser idw

Weitere Informationen:

http://www.empa.ch

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