No Risk, no Food?

Der Einsatz von Neonicotinoiden: Eine Garantie für Nahrungsmittelsicherheit oder ökologisch und ökonomisch unsinnig? A. Künzelmann/UFZ

Denn sie stehen unter dringendem Verdacht, hauptverantwortlich für das weltweite Bienensterben und vieler weiterer ökologischer Schäden zu sein. Das Moratorium gefährde die Nahrungsmittelsicherheit sagen Kritiker. Aktuelle Studien, allen voran ein Report unter Leitung der Weltnaturschutzorganisation IUCN, beweisen jedoch das Gegenteil: Der Einsatz dieser Insektizide ist sowohl aus ökologischer als auch ökonomischer Sicht unsinnig.

„Auch wenn man es rein gesamtwirtschaftlich betrachtet, ist die Rechnung fragwürdig“, so Matthias Liess, Ökotoxikologe vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. „Denn Honigbienen sind das drittwichtigste Nutztier der Menschheit.“

Der ökonomische Gesamtwert allein für die Bestäubungsleistung durch Honigbienen wird für Europa auf 15 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Mehr als ein Drittel der Nahrungsmittelproduktion hängt direkt von der Bestäubung durch Bienen ab – von Äpfeln über Zwiebeln bis hin zu Gurken.

Dieser Wert ist damit fünfmal höher als der im Auftrag von Syngenta und Bayer ermittelte wirtschaftliche Nutzen der bienengefährlichen Neonicotinoide. Davon noch nicht abgezogen sind die Kosten, die der Gesellschaft durch verunreinigte Gewässer oder den Verlust von Biodiversität und vieler Nützlinge entstehen. „Neonicotinoide sind damit nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch unsinnig“, so Liess.

Der Ökotoxikologe ist Mitglied der IUCN-Arbeitsgruppe, die über vier Jahre 800 in hochrangigen Wissenschaftsmagazinen wie Science veröffentlichte Einzelstudien zum Einfluss von Neonicotinoiden auf die Umwelt auswertete. Mit eindeutigem Ergebnis: Neonicotinoide sind nicht nur ausgesprochen schädlich für Honigbienen und andere sogenannte „Nicht-Zielorganismen“.

Sie bleiben auch nicht, wie vorgesehen, nur im Boden. „Stattdessen werden sie in die Gewässer gespült, möglicherweise bis ins Grundwasser, und richten dort weiteren ökologischen Schaden an“, erklärt Liess. Denn als sogenannte systemische Insektizide werden sie nicht nur im Falle einer Schädlingsinvasion gezielt eingesetzt. Vielmehr wird schon das Saatgut mit den Wirkstoffen behandelt, sodass sie sich von der Wurzel bis in die Pollen in der ganzen Pflanze verteilen. Was für einen besonders effektiven Schutz gegenüber Insektenbefall gedacht ist, bewirkt, dass jedes Tier die Stoffe aufnimmt, sobald es an der Pflanze knabbert.

„Ein Verbot der Neonicotinoide bedeutet einen Verlust von mindestens zehn Prozent auf unseren Feldern. Ein echtes Risiko für die Nahrungsmittelsicherheit“, hält Harald von Witzke dagegen. „Bis 2050 wird sich der Bedarf an Nahrungsmitteln weltweit verdoppeln. Diesen können wir nur mit Neonicotinoiden decken.“

Von Witzke ist Agrarökonom und Mitglied des Humboldt Forum for Food and Agriculture (HFFA), das in einem Bericht den Wert von Neonicotinoiden untersucht hat. Schon jetzt würde die EU große Mengen an Nahrungsmitteln importieren. Er könne daher angesichts der vielen, durch die HFFA-Studie nachgewiesenen Vorteile nicht nachvollziehen, dass die EU-Kommission den Neonicotinoiden eine solche Galgenfrist setzt.

„Das Pikante an der Studie des Humboldt Forums ist, dass sie von den beiden Hauptproduzenten für Neonicotinoide, Bayer und Syngenta, in Auftrag gegeben wurde“, so Ökotoxikologe Liess. „Damit müssen die Ergebnisse mit Vorsicht betrachtet werden.“ Das sei so ähnlich, als würde die Tabakindustrie eine Studie in Auftrag geben, die die Auswirkungen des Rauchens auf die Gesundheit untersucht.

„Auch das Hauptargument der Befürworter, die Nahrungsmittelsicherheit, ist viel zu kurz gedacht“, so Ökotoxikologe Liess. „Laut Welternährungsorganisation FAO landen jedes Jahr weltweit ein Drittel aller Lebensmittel im Müll. Hier liegt das drängende Problem, nicht in zu geringen Erträgen.“

Auch hinsichtlich der EU-Importe von Nahrungsmitteln müsse man hinter die Zahlen schauen. Denn die EU führt nicht nur Nahrungsmittel ein, sondern exportiert diese auch in ähnlich großem Umfang – vor allem Getreide, Milch und Fleisch. Zudem gäbe es umweltverträglichere Pflanzenschutzmittel, die auch für hohe Erträge sorgen.

Letztendlich hofft Liess daher auf ausgewogene, nicht von einseitigen Interessen geleitete Erkenntnisse zu den Risiken dieser Stoffe und eine entsprechende Reaktion der EU-Kommission darauf. „Das Beispiel DDT hat es gezeigt: Hier wurde auch durch Beobachten der Umwelt festgestellt, dass dieses Insektizid derart umweltschädliche Auswirkungen hatte, dass es in den 1970er Jahren in großen Teilen der Welt verboten wurde“, so Liess. „Deutlich wurde es den Menschen aber auch damals erst, als in den USA der Weißkopfseeadler durch DDT auszusterben drohte.“

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