Schuldenbremse nimmt Ländern Raum für Zukunftsinvestitionen
Die so genannte Schuldenbremse zieht enge Grenzen für die Verschuldung von Bund und Ländern. In einigen Bundesländern beschränkt das Instrument die Haushalte so strikt, dass sie in den nächsten Jahren finanziell kaum noch handlungsfähig sein dürften, zeigen Analysen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.
Ab dem Jahr 2020 gilt: Länder dürfen nur noch konjunkturell bedingte Schulden in den Büchern haben. Sie dürfen also lediglich durch einen Abschwung ausgelöste Kredite aufnehmen, die sie im Aufschwung wieder tilgen. Was das konkret bedeuten könnte, beleuchten Forscher des IMK anhand der Beispiele Nordrhein-Westfalens und Schleswig-Holsteins. Ihr Fazit: Die Schuldenbremse wird zu massiven Sparanstrengungen führen, die aber letztlich kontraproduktiv wirken dürften. Denn vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wird der nächste Aufschwung stark belastet, was wiederum die Haushaltskonsolidierung erschwert.
Wie stark die Schuldenbremse wirken wird, hängt vor allem von ihrer Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern ab. Dazu sind noch keine konkreten Pläne bekannt. Deshalb hat das IMK mit einigen Standardverfahren mögliche Effekte berechnet.
Schleswig-Holstein muss, je nach Berechnungsmethode, zwischen 2010 und 2020 ein so genanntes strukturelles Defizit in Höhe von 1,4 bis knapp 1,6 Milliarden Euro abbauen, will es die Regeln der Schuldenbremse erfüllen. Angesichts des geplanten Haushaltsvolumens von 9,5 Milliarden Euro im Jahr sei dies „ein gigantischer Konsolidierungsbedarf“, so die Ökonomen.
Unter diesen Bedingungen dürften die Ausgaben im Land zwischen Nord- und Ostsee von 2011 bis 2020 pro Jahr nominal – also ohne Anrechnung der Inflation – nur noch um etwas mehr als ein Prozent wachsen. Zum Vergleich: In den Jahren 1990 bis 2008 stiegen die Ausgaben nominal im Schnitt jährlich um 2,1 Prozent. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt würde das eine „deutliche Schrumpfung des Staatssektors bedeuten“, so das IMK. Weder die von Bund und Ländern gewährten Hilfen in Höhe von 80 Millionen Euro noch die bereits geplanten Einsparungen beim Personal von etwa 300 Millionen Euro reichten dazu aus.
Möglicherweise käme es noch schlimmer: Da Bund und Länder alle sparen werden, könnte auch das Wirtschaftswachstum schwächer ausfallen. In diesem Fall käme weniger Geld in die Staatskassen; der Defizitabbau würde noch schwieriger. Damit dürften die schleswig-holsteinischen Ausgaben bis 2020 jährlich sogar nur um 0,1 Prozent nominal steigen. Die Möglichkeiten für zentrale Zukunftsinvestitionen – zum Beispiel in Bildung – würden drastisch vermindert.
In Nordrhein-Westfalen sieht es nicht viel besser aus: Je nach Berechnungsmethode müsste die Düsseldorfer Landesregierung bis 2020 ein Defizit in Höhe von 5,2 bis 4,6 Milliarden Euro abbauen – und das bei einem geplanten Haushaltsvolumen von 53 Milliarden Euro für das Jahr 2010.
Für die Ausgaben bedeutet das: Von 2011 bis 2020 dürften sie nominal jährlich nur noch um 1,4 Prozent wachsen. Damit würde der Staatssektor Nordrhein-Westfalens in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ebenfalls deutlich schrumpfen.
Auch in NRW werden die Sparanstrengungen von Bund und Ländern durchschlagen, was das Wirtschaftswachstum dämpfen könnte – und das Steueraufkommen. In diesem Fall dürften die Landesausgaben bis 2020 jährlich nur um 0,8 Prozent zunehmen. Ob das Land unter diesen Bedingungen dem großen Bedarf an Investitionen in Infrastruktur und Bildung gerecht werden kann, müsse bezweifelt werden, so das IMK.
„Angesichts der drohenden dramatischen Konsequenzen für Wachstum und Beschäftigung sowie der zu erwartenden massiven Einschränkungen öffentlicher Leistungen wäre es vernünftig gewesen, auf die Einführung der Schuldenbremse zu verzichten“, sagt Dr. Achim Truger, Haushaltsexperte des IMK. Sollte sie, etwa durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, endgültig nicht verhindert werden, bliebe nur eine möglichst weite Auslegung der Verschuldungsregeln.
Auf Bundesebene müssten weitere Steuersenkungen „unbedingt verhindert und im Gegenteil möglicherweise deutliche Steuererhöhungen ins Auge gefasst werden, die durchaus auch ohne verteilungspolitisch negative Wirkungen möglich wären“, schreiben die Ökonomen des IMK. Wie Studien regelmäßig belegen, ist im internationalen Vergleich das deutsche Aufkommen gerade bei vermögensbezogenen Steuern unterdurchschnittlich – zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer.
Infografik zum Download und Links zu den IMK-Untersuchungen für NRW und Schleswig-Holstein: http://www.boeckler.de/32014_96795.html#link
Ansprechpartner in der Hans-Böckler-Stiftung
Dr. Achim Truger
Steuerexperte IMK
Tel.: 0211-7778-264
E-Mail: Achim-Truger@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.boeckler.de/32014_96795.html#linkAlle Nachrichten aus der Kategorie: Wirtschaft Finanzen
Aktuelle und interessante Meldungen und Entwicklungen aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften finden Sie hier zusammengefasst.
Unter anderem bietet Ihnen der innovations-report Berichte aus den Teilbereichen: Aktienmärkte, Konsumklima, Arbeitsmarktpolitik, Rentenmarkt, Außenhandel, Zinstrends, Börsenberichte und Konjunkturaussichten.
Neueste Beiträge
Was im Ozean passiert, wenn zwei Wirbelstürme zusammenstoßen
Fallstudie untersucht außergewöhnliches Phänomen im Indischen Ozean. Im April 2021 begegneten sich die beiden tropischen Wirbelstürme Seroja und Odette im Indischen Ozean nordwestlich von Australien. Wie sich dieses seltene Phänomen…
Hirntumorzellen knüpfen schnell Kontakte
… und sind dabei nicht wählerisch. Forschende der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg und des Universitätsklinikums Heidelberg haben mit veränderten Tollwutviren Tumorzellen des Glioblastoms und ihre direkten Zellkontakte im…
Wüstenameisen nutzen Polarität des Erdmagnetfeldes zur Navigation
Wüstenameisen verlassen sich beim Navigieren auf die Nord-Süd-Richtung des Erdmagnetfeldes, so das Ergebnis einer neuen Studie, die ein Team um Pauline Fleischmann von der Universität Oldenburg jetzt in der Zeitschrift…