Was hilft der Automobilwirtschaft in der Krise: Ausbeutung oder Kooperation?

Wenn Abnehmer und Zulieferer gegenseitig ihre Kosten offenlegen, können beide davon profitieren. Das so genannte Open Book Accounting erlaubt es Unternehmen, Kostentreiber zu entdecken und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

Das Konzept hat zuletzt auch in der Industrie an Bedeutung gewonnen. Professor Andreas Hoffjan vom Lehrstuhl für Unternehmensrechnung und Controlling an der TU Dortmund hat untersucht, wann der Austausch von Kosteninformationen funktionieren kann.

Open Book Accounting ist für deutsche Zulieferer ein wichtiges Thema. Die Betriebe haben in den vergangenen Jahren ihre Produktion bereits weitgehend rationalisiert, das Potenzial ist nun ausgeschöpft. Die Kosten aber lassen sich nicht ewig weiter senken. Wenn ein Unternehmen heute seine Wettbewerbsfähigkeit steigern will, muss es den gesamten Wertschöpfungsprozess unter die Lupe nehmen.

Das geht aber nur, wenn es genügend Informationen hat – und die müssen ihm andere Unternehmen in der Lieferkette zur Verfügung stellen. Open Book Accouting in der einen oder anderen Form wird daher immer wichtiger. Eine Ausprägung kann sich dabei auch im Supply Chain Management wiederfinden. Vor allem in der Automobilindustrie ist dies verbreitet, weil dort die Zulieferer einen größeren Anteil an der Wertschöpfung haben, was die Chance von gemeinsamen Einsparungen erhöht. Bei Nissan beispielsweise teilen vier von fünf Lieferanten ihre Kosteninformationen mit dem Abnehmer.

Open Book Accounting ist aber kein Selbstläufer. Kostentransparenz allein senkt keine Kosten. Die Zulieferer profitieren von der Kompetenz der größeren Automobilproduzenten. Die schicken ihre Berater zum Zulieferer, um beispielsweise die Einkäufer zu schulen und die Produktion effizienter zu gestalten. Der Abnehmer optimiert so die Abläufe beim Zulieferer. Das wiederum senkt den Druck, selbst die Kosten reduzieren zu müssen. Außerdem kann sich ein kleinerer Zulieferer mit Open Book Accounting vor überzogenen Forderungen eines Abnehmers schützen. Er kann glaubhaft signalisieren: Es geht nicht, ich kann meine Kosten nicht weiter senken.

Aber nicht zwangsläufig kommt es beim Austausch von Kosteninformationen zu einer „Win-Win“-Situation. Vor allem Zulieferer machen sich verwundbar. Der Abnehmer bekommt Informationen, die seine Verhandlungsposition enorm stärken. Wenn er die Kosten beim Zulieferer kennt, kann er dessen Marge ausrechnen. Bei den nächsten Verhandlungen weiß er genau, wie weit er den Preis drücken kann. Damit nicht genug: Wenn ein Abnehmer die Kosten bei mehreren Zulieferern kennt, kann er diese gegeneinander ausspielen. Manche Abnehmer suchen sich die laut Kalkulation ihrer Zulieferer kostengünstigsten Positionen heraus. Sie basteln sich daraus einen kostenoptimalen fiktiven „Wunsch-Lieferanten“ zusammen. Dieser stellt dann diejenigen Kosten dar, welche die Abnehmer maximal einzugehen bereit sind.

Daher müssen sich die Zulieferer vor Ausbeutung schützen. Unternehmen können zum Beispiel nur bestimmte Kennzahlen offenlegen, die keine Rückschlüsse auf die Gewinnmarge zulassen. Zudem können sie Puffer einbauen. Wer große Mengen an Materialien oder Rohstoffen einkauft, zahlt oft geringere Preise als auf dem Spotmarkt. Wenn der Zulieferer nun die Spotmarktpreise statt die wirklichen Kosten an den Abnehmer weitergibt, hat er einen Puffer. Und die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass dies nachvollziehbar ist.

Kann angesichts der Risiken gerade bei erheblichen Absatzproblemen in der gesamten Automobilwirtschaft die Kostenoffenlegung überhaupt noch funktionieren? Der klassische Köder für die Zulieferer, bei Kostenoffenlegung ein größeres Stück vom Kuchen zu erhalten, zieht nicht mehr, da bei sinkenden Produktionsvolumina der Kuchen kleiner wird. Controlling-Experte Professor Hoffjan von der TU Dortmund wollten es genau wissen. Wie kann ein Abnehmer bei einem Machtgleichgewicht einen Zulieferer motivieren, seine Kosten offenzulegen? Dazu hat er zahlreiche Experimente mit Managern durchgeführt.

Eigentlich sollte ein Unternehmer zustimmen, wenn er einen Vorteil hat. Dazu hat er den Managern folgenden Fall vorgegeben: Wenn sie ihre Kosteninformationen teilen, erklärt sich der Abnehmer zu einer spezifischen Investition bereit, von der beide Seiten profitieren. Das Kernergebnis war auch für Professor Hoffjan überraschend: Die Bereitschaft zur Kooperation geht irgendwann zurück, obwohl der eigene Vorteil des Zulieferers steigen würde. Das bedeutet, dass weniger nämlich manchmal mehr ist. Ein zu großes Entgegenkommen des Abnehmers erzeugt Skepsis. Die Manager trauen dem Braten nicht. Sie wissen: Das macht niemand ohne Gegenleistung. „Zu viel Kooperationsbereitschaft weckt bei branchenerfahrenen Managern Misstrauen“, fasst der Controlling-Experte die Ergebnisse zusammen.

Mehr Antworten auf Fragen zu diesem Thema gibt es auf dem Dortmunder Forum Technisches Management. Diese von der Wirtschafts-Fakultät der TU Dortmund durchgeführte Tagung widmet sich dem „Supply Chain Management im Mittelstand“. Dazu werden am 18. und 19.Juni im HCC in Dortmund über 100 Wissenschaftler und Praktiker erwartet. Vorträge zu den Themen: „Wie man die Einkaufspreise über eine Schattenkalkulation prüft?“ oder: „Wie man sich als Zulieferer vor einer Ausnutzung in der Supply Chain schützt?“ sollen Mittelständlern helfen, auch in der Krise zu bestehen.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Andreas Hoffjan
TU Dortmund
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Lehrstuhl für Controlling und Unternehmensrechnung
Telefon:0231 7553140
E-Mail:Andreas.Hoffjan@tu-dortmund.de

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Weitere Informationen:

http://www.tu-dortmund.de

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