Beschäftigung, Wirtschaftswachstum, Lohnentwicklung: Frankreich hat mehr erreicht als Deutschland

Seit Beginn der Währungsunion ist Frankreichs Wirtschaft stärker gewachsen als die deutsche. Gleichzeitig haben in Frankreich mehr Menschen einen Arbeitsplatz gefunden.

Anders als in Deutschland blieb die Lohnentwicklung in Frankreich stabil und es gab keine drastischen Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme – mit positiven Folgen für die Binnennachfrage und die konjunkturelle Entwicklung.

Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Vergleichsstudie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

Angesichts der weltweiten Konjunkturabkühlung stehen die beiden größten Volkswirtschaften des Euroraums nun vor unterschiedlichen Problemen, so die Untersuchung, die am heutigen Donnerstag als IMK Report erscheint: Während Frankreich von einem relativ hohen Staatsdefizit belastet wird, „könnte Deutschland seinen einzigen Wachstumsmotor verlieren“ – den Export.

Prof. Dr. Gustav A. Horn, Dr. Heike Joebges, Dr. Camille Logeay und Simon Sturn vergleichen und analysieren in ihrer Studie zentrale Wirtschaftsparameter in Deutschland und Frankreich. Ein wesentlicher Schluss der Wissenschaftler: Die Beschäftigungsentwicklung in Frankreich ist in den vergangenen Jahren sehr positiv verlaufen. Nicht zutreffend sei insbesondere der von deutschen Mindestlohngegnern erweckte Eindruck, „dass die französische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wegen zu hoher Mindestlöhne von Arbeitslosigkeit und Jobverlusten gekennzeichnet ist“, schreiben die Forscher.

So wuchs in Frankreich das Beschäftigungsvolumen in Stunden von Beginn der Währungsunion 1999 bis zum ersten Quartal 2008 um 3,8 Prozent. In Deutschland lag der Zuwachs im gleichen Zeitraum bei lediglich 1,0 Prozent. Gemessen an der Zahl der Personen, die eine Beschäftigung aufnahmen, fällt der französische Vorsprung bis zum ersten Quartal 2008 noch deutlicher aus: 9,1 Prozent Beschäftigungszuwachs in Frankreich stehen 4,6 Prozent in der Bundesrepublik gegenüber, so die IMK-Untersuchung.

Die Arbeitslosigkeit sank nach der für Ländervergleiche maßgeblichen internationalen ILO-Definition in Frankreich seit Januar 1999 von 10,8 auf 7,5 Prozent im Juni 2008 – bei kontinuierlich steigender Bevölkerungszahl. In Deutschland reduzierte sich die Arbeitslosigkeit im selben Zeitraum von 8,6 auf 7,3 Prozent – bei leicht schrumpfender Bevölkerung.

Zum Teil erklären die Wissenschaftler die bessere Entwicklung auf dem französischen Arbeitsmarkt mit dem höheren Wirtschaftswachstum. Während das französische Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen 1999 und 2008 um gut 20 Prozent zunahm, waren es in Deutschland nur rund 15 Prozent.

Das stärkere Wachstum steht nach der IMK-Analyse aber in einer engen Wechselwirkung zu einer anderen Wirtschaftspolitik der Franzosen. Deren zentrale Komponenten: Ein gesetzlicher Mindestlohn und eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit. Flankiert durch Kombilöhne hätten diese Maßnahmen für eine kräftigere Binnennachfrage und eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen gesorgt, betonen die Ökonomen und verweisen auf die wissenschaftliche Debatte im Nachbarland: „Dass die Kombination Arbeitszeitreduzierung-Mindestlohn-Kombilohn in Frankreich Jobs geschaffen hat, ist in Frankreich relativ unumstritten.“ Das Beispiel Frankreich zeige, dass Arbeitsplatzaufbau und reale Lohnsteigerungen keine Widersprüche sind.

Für die deutsche Wirtschaftspolitik habe hingegen stets die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und die Deregulierung der Arbeitsmärkte im Zentrum gestanden, so die Wissenschaftler. Die Kehrseite dieser Strategie: niedrigere Lohnzuwächse, steigende Einkommensungleichheit und eine erheblich schwächere Binnennachfrage. Insbesondere blieben seit Jahren die von vielen Ökonomen erhofften Wachstumsimpulse aus dem privaten Konsum aus. „Insgesamt ist die französische Wirtschaft stärker gewachsen und hat mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integriert als die deutsche. Die bessere Integration ist ein entscheidender Vorteil des französischen Weges“, resümieren die Forscher für die vergangene Dekade.

Der Blick in die Zukunft stimme allerdings für beide Länder skeptisch. In Frankreich seien die positiven Effekte der Arbeitszeitverkürzung ausgelaufen. Vor allem aber hätten die flankierenden und stark ausgeweiteten Kombilöhne das Budget sehr belastet. Außenwirtschaftlich leide Frankreich zunehmend unter der sich weiter verbessernden deutschen Wettbewerbsfähigkeit.

In Deutschland wiederum sei die sehr gute Exportkonjunktur nur wegen des fortgesetzten Lohndrucks nach unten möglich gewesen. Das zunehmende Ungleichgewicht zwischen außen- und binnenwirtschaftlicher Entwicklung habe aber konjunkturelle, politische und gesellschaftliche Probleme mit sich gebracht, die auf Dauer eine Kursänderung erzwingen würden, so das IMK. Auch gerieten die Außenhandelsbilanzen der übrigen Euroländer zunehmend unter Druck. Angesichts der Abschwächung der Weltwirtschaft könnte Deutschland seinen einzigen Wachstumsmotor, den Export, verlieren, warnen die Ökonomen. „Eine stärkere Förderung der Binnenwirtschaft, auch durch wieder produktivitätsorientierte Lohnzuwächse, erscheint daher umso dringender.“

Weitere Informationen:

http://www.boeckler.de/320_92391.html
– PM mit Ansprechpartnern
http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_31_2008.pdf
– Der neue IMK Report als pdf
http://www.boeckler.de/32014_92387.html
– Infografik zum Download im neuen Böckler Impuls 13/2008

Media Contact

Rainer Jung idw

Weitere Informationen:

http://www.boeckler.de

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