Ermäßigter Umsatzsteuersatz als Instrument der Verteilungspolitik ungeeignet

Eine Abschaffung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes in Deutschland, der vor allem auf Grundnahrungsmittel, Zeitschriften und Bücher erhoben wird, hätte eine höhere Ausgabenbelastung aller Haushalte zur Folge. Die Umverteilungswirkungen einer solchen Abschaffung wären aber gering. Außerdem könnten negative Umverteilungseffekte zu Lasten einkommensschwacher Haushalte, die durch die ausnahmslose Anwendung des vollen Umsatzsteuersatzes entstehen würden, ausgeglichen werden, indem der Staat die erzielten Steuer-Mehreinnahmen über Transfers oder steuerliche Entlastung an anderer Stelle wieder an die Haushalte zurückgibt. Dies ist das zentrale Ergebnis einer Studie, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, im Auftrag des Bundesfinanzministeriums erstellt hat.


Die ZEW-Studie bestätigt, dass gering verdienende Haushalte zwar einen überdurchschnittlichen Teil ihres Einkommens auf Güter mit ermäßigtem Steuersatz verwenden und deshalb durch eine Abschaffung der Steuersatzermäßigung am stärksten belastet würden. Der Unterschied in der Ausgabenstruktur zu den einkommensstarken Haushalten ist jedoch sehr gering, so dass die Entlastung einkommensschwacher Haushalte als Argument zur Beibehaltung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes nicht taugt. Von der Ermäßigung profitieren die einkommensstarken Haushalte fast im gleichen Maß. Die ermäßigte Umsatzsteuer stellt somit ein äußerst zielungenaues Instrument der Umverteilungspolitik dar.

Wie aber könnte im Zuge einer Abschaffung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes eine finanzielle Schlechterstellung der Haushalte, insbesondere derjenigen mit niedrigem Einkommen, vermieden werden? Da die EU im Rahmen der Steuerharmonisierung eine Untergrenze für den Umsatzsteuersatz von 15 Prozent vorsieht, ist es nicht möglich, in Deutschland die differenzierten Umsatzsteuersätze durch einen einheitlichen Satz auf mittlerem Niveau, also zwischen den derzeitigen Steuersätzen von 7 und 16 Prozent, zu ersetzen. In der ZEW-Studie werden daher Szenarien untersucht, bei denen das zusätzliche Steueraufkommen aus der Abschaffung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes im Rahmen einer aufkommensneutralen Steuerreform zur Erhöhung von Transfers und zur Senkung der Einkommensteuer oder der Sozialabgaben verwendet werden. Bei geschickter Wahl der Kompensationsmaßnahmen lassen sich Szenarien finden, in denen alle Haushalte besser gestellt werden als vor der Reform. Am stärksten sind die positiven Wirkungen einer solchen umfassenden Steuer- und Abgabenreform, wenn das zusätzliche Aufkommen der Umsatzsteuer dazu genutzt wird, die Sozialabgaben zu reduzieren. Eine Senkung der Grenzsteuersätze der Einkommensteuer ist ebenfalls ein geeignetes Rückverteilungsinstrument, während eine Erhöhung des Freibetrags der Einkommensteuer deutlich schlechter abschneidet.

Die Analyse des ZEW zeigt, dass die Umsatzsteuer als Instrument der Verteilungspolitik aufgrund ihrer Zielungenauigkeit schlecht geeignet ist. Eine Differenzierung des Umsatzsteuersatzes lässt sich verteilungspolitisch somit nicht rechtfertigen. Direkte Transfers oder eine Veränderung des Einkommensteuertarifs versprächen hier deutlich stärkere Effekte.

Sehr viel bedeutsamer sind die branchenspezifischen Effekte der Steuersatzdifferenzierung. Eine aufkommensneutrale Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes führt dazu, dass die Nachfrage nach den bislang reduziert besteuerten Gütern sinkt und die Nachfrage nach den auch bisher schon voll besteuerten Gütern steigt. Die Umsatzsteuerermäßigung ist also von ihrer Wirkungsweise eher eine verteilungspolitisch maskierte Branchensubvention und sollte in der Politik auch als solche diskutiert werden.

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